Eich- und Eggebrecht-Preise an Plamper und Filz verliehen
Am 9. September wurden auf dem Mediencampus Villa Ida der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig der Günter-Eich-Preis an Paul Plamper verliehen. Mitglieder der Jury unter dem Vorsitz von Wolfgang Schiffer (ehemaliger WDR-Hörspielchef) waren die Autorin Linde Rotta und ehemaliges MDR-Hörspieldramaturg Thomas Fritz. Zusammen mit dem Günter-Eich-Preis für Hörspiel wurde auch der Axel-Eggebrecht-Preis für Feature an Walter Filz (Jury: Ulrike Toma, Linde Rotta, Leslie Rosin) und der Erich-Loest-Preis für Literatur an Ulrike Almut Sandig vergeben.
Laudatio auf Paul Plamper zum Günter-Eich-Preis
Sehr geehrter Herr Dr. Langenfeld, lieber Herr Seeger, verehrte Gäste, lieber Paul Plamper!
Anlässlich der Verleihung des Günter-Eich-Preises an Dich, lieber Paul, ein paar begründende und Dich lobende Worte zu sagen, das geht heute nicht – man möge es mir verzeihen – ohne auch ein paar Worte über mich selbst zu verlieren.
Als ich vor Jahren den Juryvorsitz zu diesem so großartigen , einen Autor, eine Autorin für ein herausragendes Hörspielschaffen ehrenden Preis übernehmen durfte, da habe ich mich natürlich im Stillen gefragt, wen alles ich mir denn wünschte, dass er oder sie von einer literarischen Institution, von einer Rundfunkanstalt oder Ähnlichem für den Preis nominiert werden möge, sodass wir, die Jury, darüber befinden könnten. Ich würde lügen, wenn ich verschwiege, dass Du, lieber Paul, ganz oben standest auf dieser nur in Gedanken erstellten persönlichen Liste. Eine Nominierung aber blieb – für mich ein wenig unverständlich – in den ersten Jahren zunächst einmal aus.
Dies hier ist nun mein letzter offizieller Akt als Vorsitzender der Günter-Eich-Preis-Jury; Thomas Fritz, der ehemalige Kollege im MDR, wird diese ehrenvolle Aufgabe übernehmen, und wir alle wissen sie bei ihm in besten Händen. Und weil´s mein letzter offizieller Akt ist, so freue ich mich umso mehr, dass ich ihn nun doch noch Dir widmen darf, lieber Paul, und das auf der Basis eines Juryentscheids, wie er deutlicher nicht hätte ausfallen können: einstimmig, mit großem Abstand zu einer beachtlich großen und auch qualitativ guten Konkurrenz.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich 2002 in einem Abhörraum des WDR saß, der nicht alle, aber die meisten Deiner Hörspiele produziert hat, und TOP HIT leicht gemacht gehört habe, eine Deiner früheren Produktionen, und wie begeistert ich war von der Idee und der inszenatorischen Präzision ihrer Umsetzung, mit der dieses Hörspiel der Popbranche die Leviten liest – und dabei, das sei nicht verschwiegen, einerseits selbst einen Popsong kreiert hat, der sogar einen Platz in den deutschen Single-Charts eroberte, andererseits aber vor allem als Hörspiel zu einem echten Kunststück der Radiokunst wird, zu Recht ausgezeichnet mit dem Preis eines internationalen Wettbewerbs, dem Prix Europa.
Ein paar Jahre später, Ende 2008 oder Anfang 2009, saß ich im Museum Ludwig, wo Dein Hörspiel Ruhe 1 kurz vor seiner Ausstrahlung erstmals auch als akustische Installation zu erleben war. In einem fiktiven Café geht man von Tisch zu Tisch, lauscht aus schwarzen Boxen den Unterhaltungen an den Tischen. Plötzlich durchschneidet diese ein Ereignis außerhalb des Cafés: Auf der Straße streiten sich ein Mann und eine Frau. Und dieser Streit eskaliert, schockiert die Caféhaus-Gäste. Ein Moment von Ruhe entsteht im Raum. Ruhe, in der beides möglich ist: sich einmischen oder ignorieren, Aktion oder Distanz.
Eine denkbare Alltagswirklichkeit, inszeniert wie eine Versuchsanordnung, ein Problemmodell voller Wiedererkennungseffekte, das uns, den Hörerinnen und Hörern, den Spiegel vorhält, uns uns selbst sehen lässt ebenso wie die sozialen Konturen und gesellschaftlichen Konfliktlagen, deren Teil wir sind.
Dieses Hörspiel ist keine „Spielerei“, wie der Begriff Hör-Spiel manchem nahelegen mag, es mischt sich ein, so wie es zuvor schon Die Unmöglichen taten, ein Radiostück zum Thema Präimplantationsdiagnostik, und wie es alle folgenden tun sollten, die Du, Paul, uns als Rechercheur, als Autor, als Regisseur, als ein in inhaltlicher Setzung und – in Deiner einzigartigen Weise der Schauspielerführung – in ästhetischer Realisation unbestechlicher Hörspielmacher geschenkt hast. Viele dieser Hörspiele – ob als Radiosendung oder auf Deiner eigenen Vertriebsplattform HÖRSPIERLPARK später als CD – sind jedes für sich bereits mit angesehenen Preisen ausgezeichnet worden, außer dem bereits genannten Prix Europa mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden, dem Deutschen Hörspielpreis der ARD oder mit dem Deutschen Hörbuchpreis usw.
Manche von ihnen haben, wie Ruhe 1, auch mehrfach öffentliche Inszenierungen und Installationen erfahren, so Der Kauf, ein Hörspiel über den Schöner-Wohnen-Wahnsinn und das Glücksverlangen der Mittelschicht, das ich 2013 in einer Brache in Köln-Kalk erleben durfte, oder Dienstbare Geister, ein Stück über Kolonialgewalt und Migration heute bei der Ruhrtriennale 2017, oder zuletzt, noch vor wenigen Wochen auch hier in Leipzig, im Grassi-Museum, Der Absprung – zum überaus aktuellen Thema Zuwanderung und Fremdenfeindlichkeit. Ja, Du mischst Dich ein mit Deinem künstlerischen Können, lieber Paul, breitest die Problemlagen in unserer Gesellschaft vor uns aus, analysierst und zwingst zur Stellungnahme – und unter anderem das hat nicht nur der Jury des Günter-Eich-Preises 2021 gefallen, es hätte auch Günter Eich gefallen, bedenkt man doch seinen Satz: „Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt!“
Günter Eich war und bleibt einer der ganz Großen im deutschsprachigen Hörspielschaffen; und so manche haben auch Dich längst für einen solchen gehalten. Und nun – wo Du einen Preis mit dem Namen Günter Eichs trägst, sollte es getrost auch der Letzte wissen. Der WDR, die ARD haben es offensichtlich endlich erkannt, denn ausgelöst durch diesen Preis steht im Internet eine Werkschau von Dir in der ARD-Audiothek komplett aufgelistetet bis zum letzten Stück. Das ist ganz großartig. Ja, Paul, Du bist ein Großer! Im Namen der Jury, Linde Rotta war dabei, Thomas Fritz war dabei: Herzlichen Glückwunsch!
Wolfgang Schiffer, Leipzig, den 9. September 2021.
Dankesrede
Sehr verehrte Jury und Kolleg:innen!
Vielen Dank für diesen schönen Preis und meinen wärmsten Dank auch an alle, die uns bisher begleitet und unterstützt haben. Die Arbeiten sind ja im Team entstanden, deswegen geht mein Dank vor allem an die Schauspielerinnen & Schauspieler, mit denen ich bisher das Vergnügen hatte. Dann an alle Kolleg:innen, die mit mir zusammen recherchiert, konzipiert, geschrieben und geschnitten haben. Nicht zu vergessen die Kollegen vom Ton, die Komponisten und Musiker. Und natürlich meine Redakteurinnen Isabel Platthaus und Martina Müller-Wallraf, mit der ich nun schon länger konstant zusammenarbeiten darf.
Aber ich muss hier schnell zu einem Punkt kommen, der mir Riesensorgen macht. Und auch diesen Preis betrifft. Ganz direkt, weil hier Macher:innen ausgezeichnet werden, die sich, Zitat: „um die Gattung Hörspiel verdient gemacht“ haben.
Die Kunstform Hörspiel ist bedroht. Es brechen Sendeplätze weg. Auch die Wiederholungen und vor allem Übernahmen in anderen Sendern, die unsere Grundgagen aufgebessert und überhaupt erst in den grünen Bereich gebracht haben, sind in den letzten Jahren ganz massiv zurückgegangen. Dies und die generelle Verlagerung der Sendung ins Internet wird durch die aktuellen Onlinezuschläge in keinster Weise aufgefangen. Schnöde Zahlen, ich weiß, aber das alles ist kein kokettes Gejammer. Sondern für Leute, die Hörspiel hauptberuflich machen wollen, ganz real existenzbedrohend.
Es betrifft ganz besonders den Nachwuchs. Ich konnte mich als junger Hörspielmacher noch durch die Wiederholungshonorare in den langen Entwicklungs- und Schnittphasen zwischenfinanzieren. Hörspiel war als grenzfreies Experimentierfeld zu erleben, auf dem ich mich auf professionellem Niveau ausprobieren und künstlerisch wachsen konnte. Die Arbeiten sind so also nicht trotz, sondern auch wegen der Verhältnisse entstanden. Die jungen, hochbegabten Kolleg:innen, die ich immer wieder im Team habe, müssen mittlerweile Podcasts in Serie schneiden, 1000 Projekte nebenher machen, um durchzukommen, anstatt sich auf die Entwicklung ihrer ureigenen Hörspielsprache konzentrieren zu können. Dabei braucht es Zeit und finanziellen Spielraum, um Risiken eingehen zu können, damit überhaupt etwas Neues passieren kann für die Gattung!
Machen wir uns nichts vor: Zweitverwertungen von Bühnenstücken, oder Hörspieladaptionen von großen Werken der Weltliteratur und Bestsellern, bei denen es im Vorfeld schon Etats und Gagen gab, sind gerade auffällig ‚en vogue‘ beim Hörspiel. Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass manches davon sehr gelungen, vielleicht sogar genial ist, erkenne aber leider auch darin (wie an so vielen Punkten bei den Öffentlich-Rechtlichen gerade) verdeckte Sparmaßnahmen, mit denen unter anderem das aufwändigere und deswegen teurere Originalhörspiel zunehmend umschifft wird.
Wenn noch Stoffe spezifisch für das Spiel mit dem Hören entwickelt werden sollen, Stoffe, die zuallererst ein Hörspiel sein MÜSSEN, braucht es ganz grundlegende Veränderungen bei den Vergütungen. Wir hoffen alle sehr auf den runden Tisch mit der ARD, der jetzt im Herbst auf unseren offenen Brief der Autor:innen hin stattfinden soll.
Wenn wir jetzt alle auf Nummer Sicher gehen und lernen, möglichst schnell möglichst viele Hörspiele möglichst professionell verpackt runter reißen zu können, dann wird in Zukunft nichts passieren außer: Routine, Kommerzalltag, … das Erwartbare. Für die „Fortentwicklung eines vielstimmigen Repertoires der Gattung Hörspiel.“, also einer Kunst-Gattung, werden Sie hier dann niemand mehr auszeichnen können. Pardon für den ‚Downer’, aber die Situation ist zu ernst, um hier nicht angesprochen zu werden. Vielen Dank.
Paul Plamper, Leipzig, den 9. September 2021.
Laudatio auf Walter Filz zum Axel-Eggebrecht-Preis
Sehr geehrter Dr. Walter Filz, werte Preisträgerin, werter Preisträger, verehrtes Publikum, geschätzte Medienstiftung,
ich möchte mit einem Geräusch in Ihren Köpfen beginnen. Bitte stellen Sie sich vor: ein Fahrzeug auf offener, anspruchsvoller Strecke, es geht rechts herum, und links herum, Serpentinen, so eine Art Ralley. Und es wird ziemlich rasant gerast. Zugegeben, das ist nicht ganz zeitgemäß und schon gar nicht ökologisch zu vertreten. Aber: Hören Sie das? Das Kurvennehmen? Das Rumkurven?
Damit zu Walter Filz. In seinen Features, für die er heute mit dem Axel-Eggebrecht-Preis ausgezeichnet wird, gibt er gedanklich, gibt er ästhetisch und gibt er vor allem klanglich richtig Gas. Er kurvt von Idee zu Geistesblitz und noch weiter bis er sein phantastisches Ziel erreicht hat, das zeitlos flüchtige Momentaufnahmen fixierende und Horizonte erweitende humor- und klangvolle Radiofeature.
Walter Filz bringt damit eine besondere Qualität ins deutschsprachige Radiofeature, dass zwar manchmal krachledernen daherkommt, aber auch mit einem sehr feinsinnigen Humor. Mal geht er durch die ganz weit offene Tür – und mal nimmt er lieber die Katzenklappe. Das ist überraschend und manchmal unglaublich. Das ist so unglaublich wie seine Geschichten selbst.
Als Begründer des – wenn man so will – thetisch-komischen Features kurvt Filz durch Archive und Arbeitszimmer, von Datenbank zu Parkbank. Ob es nun um Katzenfutter, Tupperware oder Herztöne geht: er fährt alle Winkel ab, schaut mal vorbei, klingelt hier und dort und sammelt ein, um schließlich – mit Pauken und Trompeten, auch gern aus dem deutschen Schlager – seine Beobachtungen zu verkünden. Dabei geht es ihm – das war vor allem der Eindruck der Jury – bei allem Sinn für Komik und Schabernack – um die Erkenntnis. Nach dem Anhören seiner wortwilden und klangkuriosen Stücke kann man sich fühlen wie nach einer richtig guten Party: ziemlich gut gelaunt, beflügelt und doch irgendwie klüger als zuvor.
Der gebürtige Kölner Walter Filz – so scheint es – ist nicht nur inspiriert von den großen Philosophen, Soziologen und Entertainern der 50er bis 80er Jahre (verschiedener Jahrhunderte), sondern auch vom Hör- und Fernsehspiel, vom Karneval ganz gewiss, von der Werbeästhetik und von Märchenmotiven, das war schließlich auch das Thema seiner Promotion, 88. Da gibt es Schmuse- und Wildkatzen, Riesen und Zwergen, die kleinen und großen Helden.
Und so erzählt er mit jedem Thema, mit jeder These auch etwas über uns und unsere Gesellschaft. Das macht er selbstironisch und offenbar und ganz offensichtlich getrieben von Neugier und aus erkenntnisleitendem Interesse. Statt mit deutscher Edelkatze, die Filz in seinem Stück „Zur Ästhetisierung des Katzenfutters im ausgehenden 20. Jahrhundert“ besingt, haben wir es hier mit einem deutschen Edelautor zu tun. Filz ist philosophischer Feature-Pop vom Feinsten. Oder, um es werbeästhetisch zu sagen: Filz, der Frischekick im Radio.
Was hätte Axel Eggebrecht gesagt, lieber Walter, wenn er Deine Arbeit gekannt hätte. Eggebrecht, der im NWDR und dank BBC das Feature nach Deutschland brachte. Der junge Autor*innen in seinem Nachwuchsstudio unterrichtete und mit seiner Arbeit ganz gewiss sehr viel bewegte. Vielleicht hätte er gesagt: Das ist doch mal was, das ist mutig, das ist zutiefst menschenliebend und kulturbewusst. Und wie Eggebrecht von sich sagte, dass er einfach „der Eggebrecht vom Rundfunk“ sei, hätte er vielleicht gesagt: das ist „der Filz vom Radio“ – und um es vielleicht noch zeitgemäßer auszudrücken: „der Filz vom Audio“.
In Filz‘ eBay-Feature von 2005 lernen wir: alle drei Minuten geht ein Auto unter den virtuellen Hammer, war jedenfalls damals so. Und damit noch einmal zum Geräusch vom Anfang: dieses Auto, das Sie da gehört haben, rasend, kurvend, das ist übrigens nicht so ein roter Ferrari oder irgendein anderer gewaltiger Rennwagen; das ist ein kleiner gelber Fiat Cinquecento, und am Steuer sitzt: Walter Filz.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Walter Filz, zum Axel Eggebrecht Preis! Danke auch auch die Jury an Linde Rotta und an Leslie Rosin.
Ulrike Toma, Leipzig, den 9. September 2021.
Die Dankesrede von Walter Filz wurde frei gehalten. Stream hier.
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