Dokumentation, Liquid Penguin: Im schwebenden Mysterium der Töne

Dankesrede anlässlich der Verleihung des „Hörspielpreis der Kriegsblinden“
am 12. Mai 2015 im Deutschlandfunk, Köln

Stefanie Hoster (Deutschlandradio Kultur), die Preisträger Stefan Scheib und Katharina Bihler („Ickelsamers Alphabet“) und Anette Kührmeyer (SR, Dramaturgin) © Heike Herbertz / Film- und Medienstiftung NRW

Stefanie Hoster (D-Kultur), die Preisträger Stefan Scheib und Katharina Bihler und Anette Kührmeyer (SR)
© Heike Herbertz / Film- und Medienstiftung NRW

Am 28. März 1914 sendete die Experimentierwerkstatt für Funktelegrafie auf dem königlichen Schlossgelände in Laeken bei Brüssel ein Radiokonzert zu Ehren der belgischen Königin Elisabeth. Es war der Auftakt zur ersten regelmäßigen Radiosendung der Welt, denn in der Folge wurden jeden Mittwoch und Samstag solche Konzerte ausgestrahlt. Bis zum Sommer. Dann hat der Erste Weltkrieg diese lustvolle und erfinderische Unternehmung jäh abgebrochen. Als die Deutschen schon in Louvain standen, sprengten die Konstrukteure ihre eigene Anlage, um sie für den Feind unbrauchbar zu machen. Die wenigen beweglichen Teile, die in der Eile gerettet und abtransportiert werden konnten, wurden umgebaut und dienten dann gezwungenermaßen weniger friedlichen Zwecken.

Die beiden Konstrukteure Robert Goldschmidt und Raymond Braillard sollten mit dieser Funkanlage auf dem Schlossgelände in erster Linie eine Verbindung in die belgische Kolonie Kongo einrichten. Ihre Funktests wurden aber von den ersten Funkamateuren, die es schon gab, zufällig aufgefangen, und sie waren es, die die beiden Ingenieure darum baten, doch einmal eine richtige Stunde, ein „Programm“ zu senden. So kommt es also zu diesem ersten Radiokonzert, das mit einer Arie aus Puccinis Tosca eröffnet wird. Zuvor gibt es aber noch eine Ansage: Eine männliche Stimme zählt von 1 bis 10 und kündigt dann das Konzert an. Rauschen, Knistern, Zerren, Kratzen, dann schließlich doch: eine Perle Gesangs kullert aus Kopfhörermuscheln, die mit Empfangsgeräten verbunden sind, und rollt zwischen die Ohren der gespannt lauschenden Radioamateure. Unvermittelt befinden sie sich inmitten körperloser Stimmen, ortloser Arien oder – wie eine Zeitung schreiben wird – „im schwebenden Mysterium der Töne“.

Das ist kurz gesagt der Hauptgrund, aus dem wir beide, Stefan Scheib und ich, das Radio und seine Kunstform Hörspiel so mögen: weil wir damit unsere Hörerinnen und Hörer – und uns selbst – ins schwebende Mysterium der Töne versetzen können.

Denn wo ist der Ort der Töne, wenn ich, wie im Radio der Fall, ihre Urheber nicht sehen kann? Der Ort solcher Töne ist der Kopf des Hörenden. Vielleicht gilt das auch für andere Hörsituationen, aber wir finden, es funktioniert ganz besonders gut, wenn man Radio, wenn man Hörspiel hört; in Abwesenheit von den konkreten Schallquellen, den Sprechern, den Schauspielerinnen, den Musikern, den Gegenständen, die Geräusche verursachen. Das Auge braucht die Schallquelle gar nicht zu suchen, sie ist nicht da. Das reduziert die Ablenkung. Am besten schließt man die Augen. Es entsteht eine Konzentration auf das Hören selbst. Und man vernimmt eine Welt, die am Firmament des eigenen Schädelrunds aufgeht.

Das Hörspiel ist ein Zeitgespinst. Es entsteht in der Zeit. Und es vergeht, indem es gesendet wird. Während es „im Äther“ verschwindet, taucht es in den Köpfen derer auf, die es hören. Dort wird die Linearität des Zeitablaufs vielleicht aufgehoben, einzelnes hallt länger nach nach als anderes, der ein oder andere Satz, ein Klang oder ein Geräusch verfangen sich, und schon geht das Dichten weiter, hoffentlich und im allerschönsten Fall, in den Gedanken der Hörer, die etwas ergänzen, was nicht gesagt wurde, den Widerhall im eigenen Kopf ins Gehörte einfügen.

Wir sind sehr froh, uns in diesem immer auch ein bisschen geheimnisvollen, puren akustischen Medium auszudrücken. Hörspiele fürs Radio sind unsere künstlerische Hauptbeschäftigung neben der Entwicklung von live-Projekten. Und immer bedeutet die rein akustische Arbeit eine Vertiefung. Dass wir dazu die Gelegenheit haben, hängt mit einer Institution zusammen, mit der ARD, genauer, mit dem Saarländischen Rundfunk, noch genauer, mit Menschen, die diese Institution ausmachen, und die uns die Gelegenheit sichern, in Ruhe der künstlerischen Arbeit nachgehen zu können; die Mittler zwischen Institution und Kunst sind; uns manches vom Leibe halten; die Einfühlungsvermögen ins künstlerische Chaos haben und genug Ordnungssinn, um wichtige Hinweise geben zu können.

Für uns verkörpert diese Qualitäten insbesondere eine Frau, mit der wir zusammenarbeiten dürfen, nämlich unsere Dramaturgin und Redakteurin Anette Kührmeyer. Über gut elf Jahre hat sich großes gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Von der ersten Idee an ist sie dabei. Hört zu. Bemerkt Ungereimtheiten. Kann warten. Hakt zur rechten Zeit nach, aber nicht früher. Und ist dann, im Gegensatz zu uns selbst, unglaublich schnell und kann schnell und präzise Rückmeldung geben. Setzt klärende, nicht selten entscheidende Impulse. Und eben vor allem: sie vertraut uns. Danke!

Und wir dürfen dieses Mal auch Stefanie Hoster und Deutschlandradio Kultur danken. Als Koproduzentin hat Stefanie Hoster dieses Buchstabenspiel ebenso vertrauensvoll mitgespielt.

Dank dieses Vertrauens konnten wir „Ickelsamers Alphabet“ realisieren, und das ist für uns beide ein besonderes Hörspiel, weil sich jeder von uns hier wirklich im Kern oder am Ursprung seiner jeweiligen Sparte, Sprache bzw. Musik, befindet und gleichzeitig genau in der Schnittmenge von beiden, an dem Punkt, wo beide ineinander fallen: Mit Valentinus Ickelsamers Hilfe haben wir uns mit den kleinsten Teilchen beschäftigt, aus denen Sprache und Musik zusammengesetzt sind: Laute, Klangpartikel, Klanggesten, Buchstaben, ihre Charaktere, ihre zuweilen tierische Ausdruckskraft, auf die uns der erste deutsche Grammatiker mit ganzer „subtiligkait“ aufmerksam gemacht hat, und wir haben uns ganz der Geräuschfülle der Sprache und der Sprachkraft von Klängen hingegeben. Das – musikalische – Spiel mit diesem unserem Material hat im Grunde alles andere hervorgebracht und folgen lassen: Geschichten, Recherchen, Kompositionen.

Dass wir diesen Preis also für ein Hörspiel bekommen, welches das Herz unserer Zusammenarbeit betrifft, und für ein Hörspiel, in das wir unsere Weise zu hören in ganz besonderem Maße hineinprojiziert haben, freut uns sehr.

Und dass wir für dieses Hör-Spiel den Preis einer Jury bekommen, in der Spezialisten fürs Hören sitzen, wie die meisten von uns es nie sein können, weil diese Spezialisten nämlich viel mehr als wir auf das Hören angewiesen sind, auf das Ohr als erstes Wahrnehmungsorgan, das ist uns eine besondere Ehre.

Wir danken der ganzen Jury sehr herzlich für diese Auszeichnung.

(Katharina Bihler und Stefan Scheib, Liquid Penguin)

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