Ritualisierte Demütigungen – Die 20. ARD Hörspieltage 2023

Vom 9. bis 12. November fanden im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) die 20. ARD Hörspieltage statt. Was 2003 als ein Publikumsfestival begründet wurde, ist ein ebenso lieblos inszenierter wie lehrreicher Branchentreff geworden. Auf die Idee ein Hörspielfestival zu veranstalten, bei dem keine Wettbewerbshörspiele laufen, kann auch nur die ARD kommen.

Gänzlich wollte man beim eigenen Festival aber doch nicht auf Hörspiele verzichten. Mariolo Brillowska führt ihre Science-Fiction-Komödie „Die Tetris“ (Kritik hier) live auf. Das Stück war im Rahmen des Projekts „2035 – die Zukunft beginnt jetzt“ (nicht mehr online, Begleitmaterial hier) entstanden.

Mariola Brillowska: Die Tetris

Live-Aufführung „Die Tetris“ von Mariola Brillowska. Bild: Jochen Meißner

Außerdem gab es eine Live-Performance der dänischen Klangkünstlerin Sophie Birch, akusmatische Musik aus der Konserve im Klangdom des ZKM, das obligatorische Live-Hörspiel für Kinder – diesmal „Der Tag als die Oma das Internet kaputtgemacht hat“ von Marc-Uwe Kling, und ein Konzert mit zünftiger Blasmusik von der Urban-Brass-Band Moop Mama X Älice.

Als in der „Nacht der Gewinner:innen“ der Deutsche Hörspielpreis der ARD, der max15-Preis für freie Produktionen, der Deutsche Kinderhörspielpreis und der Kinderhörspielpreis der Stadt Karlsruhe vergeben wurden, hätte man auf den Gender-Doppelpunkt verzichten können, wäre da nicht ein Mann gewesen, der für die beste schauspielerische Leistung ausgezeichnet wurde.

Janine LüttmannGleich doppelt erfolgreich war die Autorin und Regisseurin Janine Lüttmann. Für ihre spannende Waisenhaus-Geschichte „Der 13. Februar“, eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR), wurde sie nicht nur mit dem mit 5.000 Euro dotierten und von einer Fachjury vergebenen Deutschen Kinderhörspielpreis ausgezeichnet, sondern auch mit dem Kinderhörspielpreis der Stadt Karlsruhe. Die mit 2.000 Euro dotierte Ehrung wurde dieses Jahr von einer Kinderjury aus der Klasse 4b der Hans-Thoma-Schule vergeben. Die Fachjury lobte den „rauen Ton, mit dem die Autorin den Geist einer autoritären Pädagogik einfängt“, und dass es ihr herausragend gelinge, „die Erfahrungswelt ihrer Protagonist:innen mit einer brisanten und äußerst aktuellen Botschaft [einer Öko-Katastrophe] zu verbinden“.

Katharina Fröhlich und Franziska StuhrMaximal 15 Minuten lange freie Produktionen konnten sich um den max15-Preis bewerben, der mit 1.000 Euro dotiert ist. Der Gewinner wird von Hörspieldramaturgen und ZKM-Mitarbeiten ermittelt und ging in diesem Jahr an den interview-basierten Hör-Monolog „Hysterektomie“ von Katharina Fröhlich und Franziska Stuhr. Darin geht es um die Schwierigkeiten, sich – selbst nach einer Krebserkrankung – die Gebärmutter entfernen zu lassen. Die Autorinnen „invertieren die Medizingeschichte und legen offen wie auch heute noch patriarchale der Fortpflanzung verpflichtete Denkweisen medizinisch mitreden“, so die Jury. Die Protagonistin, gesprochen von Nientje C. Schwabe, schildere ihre Odyssee durch verschiedene medizinische Instanzen ruhig, klar, analytisch. Es war das akustisch am wenigsten hörspielhafte Stück unter den fünf Finalisten.

Manuel HarderDer vom Bundesverband der Hörsysteme-Industrie mit 3.000 Euro dotierte Preis für die beste schauspielerische Leistung in einem Hörspiel ging an Manuel Harder für seine sehr körperliche Intonation der Texte des im Ersten Weltkrieg getöteten expressionistischen Dichters August Stramm in Luise Voigts Inszenierung „Trieb. (Punkt) Krieg“, einer Produktion des Südwestrundfunks (SWR). Der mit Unterstützung einer Butoh-Tänzerin erarbeitete Text überzeugte die Jury:

Diese Stimme spricht und stockt. Sie raunt und rast. Sie klingt verletzt und verloren, aber auch brutal und animalisch. Stimme und Text, Klang und Inhalt verschmelzen zu einem verstörenden Klangtableau, dem man selbst in seinen schmerzhaftesten Momenten nicht entfliehen kann und will. Diese Stimme steht am Abgrund, sie ist eine Zumutung – und genau das muss sie auch sein. Denn das, was sie beschreibt, ist immer eine Zumutung.

Jenni ZylkaDie Jury, die den Preis für die beste schauspielerische Leistung vergibt, entscheidet auch über den Deutschen Hörspielpreis der ARD. Dieses Jahr waren das unter dem Vorsitz der Filmjournalistin und Leiterin der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ der Berlinale, Jenni Zylka, die Autorin und Radiomoderatorin Marion Brasch, die Schauspielerin Dela Dabulamanzi, der Kulturwissenschaftler Vito Pinto und der Filmkurator Matthias Struch an. Letzterer war kurzfristig erkrankt und konnte nicht an der öffentlichen Sitzung teilnehmen, Pinto war wegen Corona nur per Video zugeschaltet.

Ritualisierte Demütigungen

Vor der Corona-Pandemie waren die ARD-Hörspieltage noch ein gut besuchtes vier- bis fünftägiges Publikumsfestival, bei dem sämtliche zehn bis zwölf nominierten Hörspiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgeführt wurden. Anschließend diskutierte die Jury öffentlich das aktuelle Stück, und danach wurden die Macher interviewt. Davon hat man sich verabschiedet. Auch im Jahr zwei nach Corona werden die Wettbewerbshörspiele nicht mehr vorgeführt. Stattdessen gibt es nur kurze Ausschnitte zu hören, bevor die Jury zehn Minuten Zeit hat, das Stück zu bewerten.

Schon dieses Format ist aus mehreren Gründen schlecht. Erstens kann man nicht davon ausgehen, dass das Publikum alle Stücke vorher online gehört hat. So besteht ein Informationsgefälle, was man bei einer öffentlichen Vorführung nicht hat. Außerdem fehlt die Unmittelbarkeit des Eindrucks beim gemeinschaftlichen Hören. Zweitens will man gar nicht wissen, wo und unter welchen Umständen die Juroren die Stücke gehört haben. Und drittens konnten die Juroren schon wegen der Zeitbeschränkung nicht einmal ansatzweise die Werke analysieren, sie in den Zusammenhang anderer Stücke der Autoren stellen, geschweige denn die hörspielhistorischen Kontexte erläutern. Das wurde denn auch gar nicht erst versucht.

Stattdessen herrschte eine konsumistische Haltung gegenüber den Werken vor. Es wurden Höreindrücke beschrieben und die Podiumsteilnehmer fragten sich mehrfach, ob dieses oder jenes Phänomen in dem gerade diskutierten Stück oder nicht doch in einem anderen vorgekommen war. Was sich nicht sofort mitteilte, wurde umstandslos abgewatscht. So wurde das kompositorisch wie inhaltlich komplexe Stück „Wes Alltag Antwort gäb“ (BR) von Gesche Piening als ein René-Pollesch-Abklatsch deutlich unter Wert gehandelt (Kritik hier), und man bemühte man sich gar nicht erst, den auf mythologischer Grundlage durchkomponierten Text des Hörspiels „Goldmädchen“ (SR) von Sébastien David zu verstehen (Kritik hier). Dabei repräsentierte die Auswahl der von den produzierenden Anstalten nominierten Stücke die Bandbreite des ästhetisch wie inhaltlich Möglichen mit mehreren preiswürdigen Stücken.

Da gab es Antonio Fians Dramolette aus Österreich vom ORF, eindrücklich Dokumentarisches aus der Schweiz „Welcher Art die Wärme ist“ von Melinda Nadj Abonji, Carmine Andreotti, Paola De Martin (SRF). Von Ivana Sajkos „Songplay (eine Sekunde für die Wiesel)“ (DLF) gab es Komprimiertes aus Kroatien und mit Nis-Momme Stockmanns  „Der Betreuer“ (NDR) Satirisches aus Hamburg (Kritik hier). Mit „Tiefer sinken auf sandigen Grund“ von Lena Müller und Leo/ni Weyreter Gefühlvolles vom RBB und mit „The Sick Bag Song. Das Spucktütenlied“ von Nick Cave Musikalisches vom Radio Bremen (Kritik hier). In „Entgrenzgänger II“ (HR) von Robert Schoen hörte man die verschiedenen Landessprachen der autonomen Republik Karatschai-Tscherkessien (Kritik hier), in „Playblack Radio“ (WDR) von Joana Tischkau und Jan Gehmlich schwarze Stimmen, die meist von Weißen synchronisiert werden (Kritik hier).

Nun gehört das Lästern über die Jury bei den ARD-Hörspieltagen zu den beliebten Pausengesprächen – auch der Autor dieses Textes saß selbst mehrfach in dieser Jury. Aber Ignoranz gegenüber den Dimensionen des zu diskutierenden Werks und manchmal auch eine gewisse Herablassung gegenüber den Autoren sorgt nicht nur für Frustrationen bei Hörspieldramaturginnen und -dramaturgen, sondern auch beim fachkundigen Publikum. Dass man damit auch der Gattung Hörspiel schadet, kommt verschärfend hinzu – eine dreifache Demütitung. Mehr auf einmal kann man eigentlich nicht falsch machen. Ironischerweise kann sich die ARD ihre Kritiker auf dem Podium selbst aussuchen – was auch ein Zeichen dafür ist, welche Wertschätzung man seinen eigenen Produkten entgegenbringt. Man darf da gerne von Vorsatz ausgehen – was auch der sogenannte Event-Tag eindrucksvoll demonstrierte.

Am Wärmepol

Mara May, Jurate BraginaiteDer mit 5.000 Euro dotierte Deutsche Hörspielpreis der ARD ging an ein Stück, das am Wärmepol der Einreichungen angesiedelt war, und der liegt in einem Problemviertel im Sendegebiet der Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Das Originalton-Hörspiel „Vogel Igel Stachelschwein. Ein Spiel in Weimar-Nord“ von Mara May und Jūratė Braginaitė schildert in Interviews mit Anwohnern, von der 13-jährigen Levke bis zur 91-jährigen Maren Schild, den Alltag in ihrem Viertel – und das Spiel, das gespielt wird, ist „Wahrheit oder Pflicht“.
Die Jury meinte:

„In dieser Gegend wohnt die große Welt im Kleinen. Im Schatten der Platten trifft man Menschen aller Altersstufen und Herkünfte, mit großen Plänen oder bescheidenen, mit guten Erinnerungen oder traurigen. Dieses Hörspiel nimmt sich liebevoll und spielerisch eines Stadtviertels an, aus dem man sonst wenig, vor allem aber wenig Positives hört. Dadurch entsteht eine vorsichtige Hoffnung, die in komplexen Zeiten wichtiger ist denn je. Um aus dem Stück selbst zu zitieren: Auf einer Skala von 1 bis 10 hat dieses Hörspiel so viel Liebe zu geben, dass es uns einen Preis wert ist.“

Der Hörspielpreis der ARD ist mit der Übernahme des Preisträgerstückes durch alle ARD-Anstalten sowie des Österreichischen und Schweizer Rundfunks verbunden, was den Preis durch die Wiederholungshonorare zum bestdotierten Hörspielpreis überhaupt macht. Bei den beiden anderen großen Hörspielpreisen, dem Hörspielpreis der Kriegsblinden und dem Hörspiel des Jahres ist das nicht der Fall. Weil es sonst keine Übernahmen mehr gibt, erodiert das ‚Geschäftsmodell‘ der Hörspielautoren.

Hörspiel als Hobby

Walter Filz, Chef der SWR-Abteilung „Künstlerisches Wort“ und Leiter der ARD-Hörspieltage, der als Radioautor Anfang der 1990er Jahre die Kunstform der Information – das Radiofeature – revolutioniert hat, und dafür 2021 mit dem Axel-Eggebrecht-Preis für sein Gesamtwerk ausgezeichnet wurde, hat das Talent ganz nebenbei den leisen Part laut auszusprechen. So hatte erschon auf einer Podiumsdiskussion beim Berliner Hörspielfestival dieses Jahr lakonisch konstatiert, dass er seine Autorschaft fürs Radio nur noch als Hobby hätte betreiben können. Für jemanden, der mittlerweile Aufträge an Autoren zu vergeben hat, war das eine bemerkenswerte Aussage.

Dass die versammelten Hörspieldramatruginnen und -dramaturgen der ARD bei den eigenen Hörspieltagen die unentspanntesten Gäste sind, hat allerdings nicht in erster Linie damit zu tun, dass man unter dem Druck steht, mit einem Preis für das eigene Stück Angestellte oder Angestellter des Monats werden zu können. Auch die im Rahmen des Festivals stattfindende Hörspielleitertagung spielt eine Rolle, da dort, so wird kolportiert, in der Vergangenheit die Damen und Herren von ihren Programmdirektoren des Öfteren an die Kandare genommen wurden.

Auch dieses Jahr währte die Erleichterung nicht lange, dass nach den vom ARD-Vorsitzenden und SWR-Intendanten Kai Gniffke initiierten Prüfaufträgen zu den Felder Gesundheit, Klima, Verbraucher und Hörspiel jeder Sender überhaupt noch eine eigene Hörspielabteilung und einen Etat hat. Denn dass jene, die für mehr als 20 Prozent Hörvolumen in der Audiothek sorgen, nämlich die Hörspielabteilungen mit ihren Produkten, denen man in den vergangenen Jahren von der Senderseite her effektiv ihr Selbstbewusstsein aberzogen hat, jetzt triumphierend „Told you so“ sagen, gilt es natürlich zu vermeiden.

Ein ungeheures Kanalsystem

Dafür gab es den sogenannte Event-Tag zum Thema „Die ARD-Audiothek – ein Hotspot für Hörspiele“ und der zeigte die Richtung an, in die es gehen soll. Wie schon im vergangenen Jahr wurden zunächst Hörspielserien vorgestellt, die ein jüngeres Publikum erreichen sollen. War vor einem Jahr mit dem interaktiven Hörspielpodcast „Schreib mich ab“ wenigstens noch ein Projekt dabei, dem man seine Herkunft aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk anmerkte, hätten die vier Serien, die diesmal vorgestellt wurden, auch von jedem beliebigen Streamingdienst kommen können.

Die Mystery-Serie „Mia Insomnia“ geht in die zweite Staffel, und zum „Distributionsfaktor“ Bastian Pastewka in einer Nebenrolle kommt ein weiterer hinzu: Oliver Rohrbeck, der Justus Jonas aus der Hörspielserie „Die drei ???“. Ebenfalls eine zweite Dosis Mystery liefert der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der seinen „Forever Club“ fortsetzt, diesmal aber nicht von der Produktionsfirma der Autorin produzieren lässt, sondern festgestellt hat, dass die eigenen Studios billiger sind. Der WDR hat außerdem mit der Serie „Boudicca, die Keltenkriegerin“ ein Format am Start, das keltisch-nationales „Female Empowerment“ feiert. Mit der Serie „Die andere Frida“ leuchtet die Rundfunkanstalt das Leben der Malerin Frida Kahlo „zwischen Unterhaltung und Romantik“ aus (vgl. Kritik in MD 46/23). „Yume_Leaks“ vom SWR schließlich soll ein Near-Future-Science-Fiction-Thriller werden, für den man sich einen weiblichen TikTok-Star mit 2,5 Millionen Followern eingekauft hat.

Geld ist also genug da, aber all die Sondermittel fließen in ein Subventionsprogramm für kommerzielle Produktionsfirmen und Influencer, denen man leider häufig anhört, dass hier Learning-on-the-job praktiziert wird. Gerne wiederholt man so die Fehler aus dem Fernsehen, nur noch das zu machen, was anderswo schon erfolgreich ist, und versucht damit ein neues Publikum zu adressieren, das vor allem eines ist: weiblich, ob zwischen 15 und 25, 25 und 35 oder über 35 Jahre alt. So definiert man die zu erobernden Milieus, die man für das Hörspiel interessieren will.

Das neue Zauberwort

Wie das gelingen soll: mit Distribution. So lautet das neue Zauberwort, mit dem alle Aktivitäten von Marketing über die Auswahl von Ausspielwegen, Social-Media-Coverage, Pre-post-Exclusivity et cetera gemeint sind. Der Channelmanager der ARD-Audiothek, Thomas Müller, und seine Hörspiel-Kuratorin Gisela Krone erklärten in ihrem Vortrag, wie kompliziert es sein kann, was man wie wo programmiert und wie schick doch „Panorama-Slider“ zu Hörspielserien passen würden. In der Tat ist die Distribution keine triviale Aufgabe. Aber dass ein Publikum, das man konsequent mit Dieter Bohlen beschallt, irgendwann mal Heiner Goebbels hören will, ist bestenfalls ein frommer Wunsch. Wahrscheinlicher ist eine sich selbst verstärkende Rückkopplungsschleife: ein Publikum, was man für dumm und anspruchslos hält, wird mit dummem und anspruchslosen Programm bedudelt, wodurch es noch dümmer und anspruchloser wird und mit einem entsprechendem Programm gefüttert werden muss, was zur Folge hat …

Nachdem mit dem Aufkommen des Internets an so ziemlich alle Forderungen aus Brechts sogenannter Radiotheorie ein Erledigt-Haken gemacht werden konnte, sehen wir uns einem massiven Rollback gegenüber: Dieser will das Radio von einem (zumindest ansatzweise) Kommunikationsapparat wieder zu einem Distributionsapparat umbauen – in eine leere Hülle, oder, um es mit Brecht zu sagen, in ein „ungeheures Kanalsystem“. Und was wird noch mal über ein Kanalsystem distribuiert?

„Eine Produktion weniger …“

Weil aber, was unten liegt, auch noch getreten werden muss, werden die Hörspielabteilungen damit konfrontiert, 20 Prozent in Distribution zu stecken. Noch besser wären 50 Prozent(!). Ob damit Arbeitszeit oder Etat gemeint sind, blieb unklar. Geleistet werden soll das natürlich von den Hörspielabteilungen, nicht von der ARD-Audiothek. Zusätzliche Stellen oder Gelder gibt es dafür natürlich nicht. Man kann natürlich Dramaturgen zu Werbern und Verkäufern degradieren. Als könnte die ARD keine gute Unterhaltung. man muss nur an die aufwändig produzierte „Trisolaris“-Trilogie (WDR) von Liu Cixin erinnern, oder gerade aktuell an die ebenso witzige wie gewitzte „Krähe“-Trilogie (SWR) von Ulf Stolterfoht – deren dritter Teil gerade erschienen ist (Kritik hier). Doch hier schafft es die ARD noch nicht einmal, alle drei Folgen online zu stellen. Digenlich sollte es doch so sein, dass das Marketing sich bemüht die besten (und auftragsgemäß vom Beitragszahler finanzierten) Produktionen ganz nach vorne ins Schaufenster zu stellen und zu bewerben, stattdessen rennt man einem Publikum hinterher, das angeblich nur noch Mystery-Serien hören will.

Doch diese Forderung hört man selten. Aber wieder versucht man sich anzupassen: Man könnte ja „eine Produktion weniger“ machen und das gesparte Geld dann in die Distribution stecken, hört man aus den Abteilungen. Man könnte auch „eine Produktion weniger“ manchen und dafür die anderen Autoren besser bezahlen. Man könne ja auch den ARD-Hörspielpreis abschaffen und das Geld in den laufenden Betrieb stecken. Es ist immer dasselbe: Auf jede neue Zumutung reagiert man mit neuer Anpassung.

Man hätte sich gewünscht, dass ähnlich viel Hirnschmalz, wie heute in die Distribution von Mainstreamprodukten investiert wird, die mit veralteter Ästhetik nach Drehbuchratgebern aus dem vergangenen Jahrhundert zusammengebaut werden, in die Distribution der Hörspielkunst geflossen wäre. Stattdessen hat man sich in den vergangenen Jahren bemüht, Kosten zu reduzieren, was zur Folge hatte, dass das Hörspiel so unsichtbar wie möglich gemacht wurde. Inzwischen sind alle Programmbroschüren eingestellt und die Webauftritte der eigenen Audiotheken bis zur Unbenutzbarkeit runiert, wie beispielsweise beim Bayerischen Rundfunk.

Das Deutschlandradio hat seine in der Corona-Pandemie unterbrochenen monatlichen öffentlichen Hörspielvorführungen nicht wiederaufgenommen und wird Ende April kommenden Jahres seine „Wurfsendungen“ einstellen, bei denen bislang Minihörspiele ins lineare Programm geworfen werden. Das war nicht nur für das Hörspiel gut, sondern auch für die Senderidentität, die auf diese Weise immer erkennbar war, ohne das permanent gejingelt die Station-ID werden musste.

Bisher hatten sich die Hörspielabteilungen ganz gut damit eingerichtet, unter dem Radar zu fliegen. Das ist spätestens seit dem ARD-Prüfauftrag und seit sich die ARD anschickt, sich vom Kulturradio zu verabschieden, unmöglich geworden.

P.S. Für nächstes Jahr ist das ZKM schon gebucht. Die ARD will sich offensichtlich nicht die Blöße geben ihr eigenen Hörspielfestival zum hundertjährigen Jubiläum der Gattung einzustellen. Ob es dann Hörspiel zu hören geben wird, weiß man noch nicht. Habt ihr Vorschläge wie man Macher, Publikum und Gattung noch kreativer demütigen kann? Schreibt’s in die Kommis.

Jochen Meißner, KNA Mediendienst, 16.11.2023 (erweiterte Fassung)

Nominerungen für den Deutschen Hörspielpreis der ARD

BR, Gesche Piening: Wes Alltag Antwort gäb, Regie: die Autorin
DLF, Ivana Sajko: Songplay (eine Sekunde für die Wiesel), Regie: Erik Altorfer
HR, Robert Schoen: Entgrenzgänger II, Regie: der Autor
MDR, Mara May und Jūratė Braginaitė: Vogel Igel Stachelschwein. Ein Spiel in Weimar Nord, Regie: die Autorinnen.
NDR, Nis-Momme Stockmann: Der Betreuer, Regie: der Autor
ORF, Antonio Fian: Dramolette, Regie: Harald Krewer
RB, Nick Cave: The Sick Bag Song. Das Spucktütenlied, Regie: Kai Grehn (überraschenderweise nicht in der Übersicht der ARD-Hörspieltage gelistet)
RBB, Lena Müller und Leo/ni Weyreter: Tiefer sinken auf sandigen Grund, Regie: Anouschka Trocker
SR, Sébastien David: Goldmädchen, Regie: Anouschka Trocker
SRF, Melinda Nadj Abonji, Carmine Andreotti, Paola De Martin: Welcher Art die Wärme ist, Regie: Erik Altorfer
SWR, Luise Voigt: Trieb. (Punkt) Krieg, Regie: die Autorin
WDR, Joana Tischkau und Jan Gehmlich: Playblack Radio, Regie: die Autoren

Nominierungen für den max15-Preis

Katharina Fröhlich und Franziska Stuhr: Hysterektomie
Tilman Böhnke und Alexander Scharf: Am Ende wird alles gut und wenn es nicht gut ist, dann ist es trotzdem das Ende
Lena Müller: Schnursein, Maulsein
Livia Valensise: Fiktive Gelände
Ingrid Wenzel: Ingo3000

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