Rollentausch mit Känguru

Marc-Uwe Kling: Schreiben und Schreddern. 6-teiliger Podcast

Freitags 01.12.2023 bis 04.01.2024 ARD Audiothek / RBB Radio Eins

Nicht jedem Autor ist es gegeben, reflektiert über die eigene Kunstproduktion zu sprechen. Marc-Uwe Kling und Horst Evers produzieren komische Texte und können darüber im Podcast „Schreiben & Schreddern“ auch noch lustig und erkenntnisreich reden.

„Nichts macht so kreativ wie ein Termin“, gesteht der Schriftsteller Horst Evers im Gespräch mit seinem Kollegen Marc-Uwe Kling in der Auftaktfolge der von RBB-Radioeins produzierten sechsteiligen Podcast-Serie „Schreiben und Schreddern“. Live vor dem Publikum des Mehringhof-Theaters in Berlin-Kreuzberg stellen die beiden Fragen, die sie sich eigentlich selbst beantworten könnten.

Denn beide sind vom komischen Fach und beide kennen solche standardisierten Leser- oder Journalistenfragen. Warum man ihnen trotzdem 112 Minuten amüsiert zuhört, ist zum einen, weil sich beide bestens verstehen und einander nicht nur Pointen gönnen, sondern weil das Ganze auch ein professioneller Austausch über die jeweiligen Arbeitsweisen ist.

Diskutiert wird über die Strategien, wie man am besten Pointen setzt, die man a) nicht kommen sehen darf und die b) überraschend sein sollten – was nicht dasselbe ist. Diskutiert wird immer an konkreten Beispielen unter der Leitfrage, wie man komische Kurzgeschichten schreibt. Wie kurz sie sein dürfen, welche Rolle das Thema spielt, wie man strategische Ablenkungen einbaut, ob Ich-Erzähler oder auktorialer Erzähler in puncto Humor hilfreicher sind, ob Interpunktion wichtig ist und so weiter und so fort. Nun müssen Gespräche über das komische Handwerk selbst nicht komisch sein, hier sind sie es aber doch.

Die beste Kurzgeschichte

Zu Beginn lesen die beiden Autoren ihre nach eigener Einschätzung jeweils beste Kurzgeschichte. Evers legt mit dem sehr kurzen Text „Auf dem Amt“ vor, in der er einer Sachbearbeiterin erklärt, dass sein Nachname Strobinski sei, der sich aber E-V-E-R-S buchstabiere. Und weil diese Geschichte sehr kurz ist, legt er noch den Verwechslungstext „Stade“ nach, die in ihrem Verlauf viel witziger ist als die verzichtbare Schlusspointe. Dies ist eine besondere Eigenart von Evers, der auch auf Kabarettbühnen liest, auf denen diverse Geschichten ganz ohne Pointe mit der Formel „Endet da“ beschlossen wurden.

Marc-Uwe Kling kontert mit seiner eigenen Lieblingskurzgeschichte, der gekürzten Fassung seines hochkomischen Kinderbuches „Der Tag, an dem Papa ein heikles Gespräch führen wollte“ – ein metaphorisch komplett aus dem Ruder laufendes Aufklärungsgespräch eines Vaters mit seiner 17-jährigen Tochter unter Anteilnahme der ganzen Familie.

Berühmt geworden ist Kling (Jahrgang 1982) mit der Känguru-Tetralogie, die mit der Serie „Neues vom Känguru“ für die RBB-Jugendwelle Fritz entstanden ist. Inzwischen gibt es zwei Kinofilme, Comicbände, Gesellschaftsspiele und Hörbücher mit dem Känguru. Sein Near-Future-Science-Fiction-Roman „Qualityland“ war schon Abiturthema an Berliner Schulen. Horst Evers (Jahrgang 1967) hat zahlreich Erzählbände („Gefühltes Wissen“, „Der kategorische Imperativ ist keine Stellung beim Sex“, „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“) und Hörbücher veröffentlicht.

Gemeinsam ist beiden Autoren, dass ihre Texte bühnenerprobt sind. Da ist das Timing eine kaum zu überschätzende Dimension für den komischen Effekt. Das Fegefeuer wäre für die beiden, wenn man ihnen die Längen aus ihren Geschichten vorlesen würde. „Irgendwann hat man die Bühne auch im Kopf“, beschreibt Kling den Lerneffekt öffentlichen Lesens. Dass Texte sich beim Vorlesen auf der Bühne noch verändern können, und das zu schwierigen Situationen führen kann, wenn ein spontan improvisierter Einfall sich auf der nächsten Seite schon im geschriebenen Text findet, ist nur einer der Einblicke, den Horst Evers in seine Praxis gewährt.

Ein Känguru namens Horst

Weil aber nicht nur über, sondern auch mit Texten gesprochen werden soll, tauschen im Verlauf des Gesprächs Kling und Evers die Geschichten und lesen die des Anderen vor. Also hören wir das Känguru mal mit der tiefen Stimme von Horst Evers. So quäkig wie gewohnt spricht das Känguru übrigens nur, weil Kling dessen Stimme nicht von den Radio-Fritz-Technikern technisch hochpitchen lassen wollte und den Text lieber noch einmal eingelesen hat.

Bleibt am Schluss die Frage, was noch zu tun ist und woran beide bisher gescheitert sind. Evers will einen Text schreiben, nach dessen Vortrag die Revolution losbricht, nur um unmittelbar danach ins Koma zu fallen. Sein Anhänger hätten dann nur seine (Evers) bisherigen Texte, um die neue Gesellschaft aufzubauen. Kling ist bisher am Vorhaben gescheitert, eine Fantasy-Trilogie zu schreiben („Die Trilogie ist die Kurzgeschichte der Fantasy“), weil er das Genre nicht richtig ernstnehmen kann: Es gerät ihm immer zu witzig, um spannend zu sein.

Neue Folgen des Podcasts „Scheiben und Schreddern“ werden jeden Freitag veröffentlicht. Am 08.12.2023 geht es um das Schreiben von Liedern mit Dota Kehr, am 15.12.2023 um das Zeichnen von Comics mit Ralph Ruthe, am 22.12.2023 um das Fernsehmachen mit Sarah Bosetti und Torsten Sträter, am 29.12.2023 um das Kreieren von Science-Fiction-Welten mit Tom Hillenbrand und am 04.01.2024 um das Kinderbuchschreiben mit Andreas Steinhöfel.

Jochen Meißner- KNA – Mediendienst, 07.12.2023

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