Im Furor der Selbstoptimierung

Nis-Momme Stockmann: Der Betreuer

NDR Kultur, Mi, 05.04.2023, 20.00 bis 20.55 Uhr

In Nis-Momme Stockmanns temporeicher Komödie aus der Coachingszene „Der Bertreuer” geht es darum das Perpetuum mobile der Leere am Laufen zu halten. Denn erst wenn jeder Betreuer seinerseits einen Betreuer hat, läuft das System wirklich rund.

Nis-Momme Stockmann braucht kaum ein paar Sätze, um in seiner satirischen Komödie „Der Betreuer“ die Figur des frustrierten Risiko-Controller Dante Meyrowitz (Moritz Grove) und sein Arbeitsumfeld in einer Versicherung zu etablieren. Schon der Pförtner verballhornt seinen Namen, der Chef ertappt ihn bei einem potenziell kostspieligen Fehler in einer Excel-Tabelle und auf den ersten Schrecken des „Oh Gott, er siezt mich, das ist das Anfang vom Ende“ folgt zwei Sätze später das panische: „Jetzt duzt er mich, noch schlimmer…“

Nis-Momme Stockmanns Bürowelt wird von den üblichen Charakteren wie dem intriganten Kollegen, dem tumben aber mächtigen Chef und dem heimlichen Büroschwarm bevölkert. Da zählen neben der Figurenzeichnung die Präzision in den Dialogen und das Tempo doppelt um das Publikum bei der Stange zu halten. Und das gelingt über die ganze Distanz des 58-minütigen Hörspiels, das Stockmann selbst inszeniert hat und in dem er auch die Rolle des etwas schleimigen Kollegen Bernd übernommen hat, der sich als doch nicht so intrigant herausstellt wie zu Anfang vermutet.

Aufs Tempo drücken auch die weit nach vorne gemischten, illustrierenden Geräusche (Wecker, Zähneputzen, Internet-Porno, Primitivo-Entkorkung) von Komponist und Sounddesigner Toben Piel. Moritz Grove als Dante Meyrowitz und Erzähler mimt den von Underdog zum Topperformer gecoachten Protagonisten mit hörbarer Spielfreude. Dante sucht seine Anzüge mit einer Akribie aus wie zuletzt Patrick Bateman in Bret Easton Ellis „American Psycho“ seine Visitenkarten. Doch damit der geknechtete Controller aufsteigen kann, bedarf es des Bertreuers Tim Würfel (Ole Lagerpusch).

Der taucht eines Tages einfach bei Dante zu Hause auf – nachdem der einmal mehr von dienstleistungsunwilligen Handwerkern gedemütigt wurde – und bringt ihn auf Vordermann. Und dazu wird das (Sprech-)Tempo angezogen. Tim Würfel, als ein Art Marie Kondo für alle Bereiche des Lebens, staucht erst mal den Pförtner so zurecht, dass der sich von nun an immer an den Namen Dante Meyrowitz erinnern wird, und stellt – und hier wird das Tempo geradezu halsbrecherisch, die Büroordnung auf den Kopf.

Natürlich kriegt Dante auch seine Madita (Milena Dreißig), aber die Beziehung ist nur von kurzer Dauer, denn es gibt immer weiteren Betreuungs- und Optimierungsbedarf. Und als Tim Würfel Dante seinen eigenen Betreuer Drako Milfler (Leon Ullrich) vorstellt, dreht sich das Karussell immer schneller. Selbst zu seiner eigenen Beförderung muss Dante nicht mehr gehen, das erledigen seine Betreuer für ihn („Drei sind einer zu viel“).

Natürlich bleiben in der von der Bundesregierung per Innovationsprämie geförderten Betreuerrepublik ein paar Leute auf der Strecke. Dantes Vater zum Beispiel, der angstvoll und ohne den Beistand seines Sohnes sterben muss, und der Ex-Kollege Bernd, der als einer der wenigen Obdachlosen ohne eigenen Betreuer an übel beleumundeten Plätzen herumhängt. Doch genauso sanft, wie die Umformung der Gesellschaft zum betreuten Leben begonnen hat, beginnt auch der Aufstand gegen die Betreuer.

Wozu man den ganzen Furor der Selbstoptimierung braucht, hat Berteuer Tim ziemlich am Anfang des Stückes ganz nebenbei verraten: um das „Perpetuum mobile der Leere“ am Laufen zu halten. Um aber eine physikalische Unmöglichkeit zu betreiben braucht es paradoxerweise jede Menge Energie und das Scheitern ist gewiss. Im Gegensatz dazu ist die Energiebilanz von Nis-Momme Stockmann, Toben Piel und ihrem Ensemble durchaus positiv.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 13.04.2023

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