Das bewirtschaftete Ich

Gesche Piening: Wes Alltag Antwort gäb

Bayern 2, Fr, 27.01.2023 21.00 bis 21.55 Uhr

„Wirke ich eigentlich konstruiert?“, fragt sich die Hauptfigur in Gesche Pienings monologisch angelegtem „Wes Alltag Antwort gäb“, das zum Hörspiel des Monats Januar gekürt wurde. Darin geht es um den Versuch der Selbstversicherung eines Ichs, das sich permanent den Anforderungen medialer Kommunikationsagenten gegenübersieht und dabei den Verdacht hat, dass es in dieser Welt gar nicht vorkommt.

Für seinen Newsletter „Cool genug“ forderte der Journalist und Hörspielautor Gregor Schmalzried („Mia Insomnia“) ein KI-Sprachsystem dazu auf mit einem einzigen Wort zu beweisen, dass sie ein Mensch sei. ChatGPT antwortete mit dem Wort „Empathie“. Wenn die künstlichen Intelligenzen Menschen schon besser simulieren können als Menschen sich selbst, dann treten wir in eine neue Phase von Weltwahrnehmung ein.

In Gesche Piening neuem 54-minütigen monologischen Hörspiel „Wes Alltag Antwort gäb“ wird der umgekehrte Weg beschrieben und beschritten: „Doch wer fürs Schöner-Färben nicht gemacht ist / sein eignes Denken stets sehr objektiv gestaltet, / dem sei im Eigeninteresse abgeraten von jeder Art von Empathie […] Denn Empathie verausgabt auch / Das Wohlgefallen beim Miterleben hat immer einen Preis. / Und manche interessieren sich einfach stärker für sich selber.“

Stephan Bissmeier. Bild: BR/Steffi Ramb

Doch so lyrisch geht es nicht weiter, wenn das namenlose Ich, großartig gesprochen von Stephan Bissmeier, zu einer Selbstbeschreibung ansetzt, die mal an sich selbst, öfter aber an andere gerichtet ist. Das klingt mal floskelhaft wie in einem Bewerbungsschreiben, mal erzählend wie für einen Social-Media-Post und mal wie ein Sprachmemo an sich selbst.

In gewisser Weise schließt das Stück an Gesche Pienings Kurzhörspiel „Produziere Ich“ an, in dem von einer Autorin von ihrer Auftraggeberin eine „diskurs-sichere Subjektivierungskompetenz“ gefordert wurde. Die Frage wie sich ein produktives Ich nach wechselnden Anforderungen zu (re-)produzieren hat, wird auch in Pienings aktuellem Stück erneut verhandelt. Diesmal anhand eines Beitrags über Menschenrechtsverletzungen für den der Redakteur gerne einen „persönlichen Erfahrungshintergrund“ hätte. Diese zynische Absurdität ist mit großer Ernsthaftigkeit so dialogisch inszeniert, dass man die Jumpcuts eines Youtube- oder Tiktok-Videos zu sehen meint.

Überhaupt hat sich die Gattung des kostengünstigen Hörmonologs, die in der Vergangenheit gerne für hochliterarische Stoffe verwendet wurde, im Zuge der (sozial-)medialen Entwicklung soloselbstständiger Influencer formal neue Impulse bekommen. Zusammen mit der Komposition von Michael Emanuel Bauer und den differenzierten akustischen Räumen wird hier hörbar, was das Hörspiel kann, wenn man Profis ranlässt, die die Gestaltung seiner einzelnen Elemente genau so viel Aufmerksamkeit widmen wie dem Text.

Sylvana Krappatsch. Bild: BR/Steffi Ramb

In Gesche Pienings Stück ist es das kongeniale Zusammenspiel von Musik, Sounddesign und Sprache. „Ich komme hier nicht vor“, ist ein Mantra, das sich durch das Stück zieht. Gesagt wird dieser Satz nach zwei Drittel des Hörspiels erstmals auch von einer weiblichen Stimme, der von Sylvana Krappatsch. Und in der Tat sind Genderidentitäten für die Kommunikationsverhältnisse durch die sich die Figur bewegt völlig irrelevant. Ein wie auch immer geartetes „Eigentum am Lebenslauf“ (Alexander Kluge) besitzt das Ich in Gesche Pienings Stück nicht – im Gegenteil es begreift sich wesentlich als Kostenfaktor: „Was mich umtreibt ist, dass ich Geld koste, im Laufe meines Lebens ziemlich viel.“

Was ein paar Jahrzehnte neoliberaler Gehirnwäsche und die Durchökonomisierung aller Lebensbereich angerichtet haben, kann man hier hören. Das kommt aber weder im wohlfeilen Gestus der empörten Anklage, noch als larmoyantes Lamento daher. Wie sollte es auch: das Ich ist in der Bewirtschaftung von Emotionen trainiert. „Sie werden nichts von mir erfahren“, heißt es im Stück von dem Ich, das sich „nur eine Variable der Empathie anderer“ sieht. Von der Welt und dem Alltag, deren es sich erwehren muss, erfährt man dafür umso mehr. „Wes Alltag Antwort gäb“ ist ein Höhepunkt des noch jungen Hörspieljahres 2023.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 02.02.2023

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