Wie die Kosmosoziologie die Erde rettet

Liu Cixin: Der dunkle Wald. 4‑teiliges Science-Fiction-Hörspiel

WDR 5, Mo 01.10.2018 bis Do 04.10.2018,  jeweils 15.05 bis 16.00 Uhr

Was tun, wenn nach Jahren der Suche nach extraterrestrischen Intelligenzen endlich eine Botschaft ankommt, die aber keine freundlichen Grüße enthält, sondern vor der Vernichtung der eigenen Zivilisation warnt? Und die dann noch besagt: „Antwortet nicht!“ Im 600-seitigen Science-Fiction-Roman „Die drei Sonnen“ des vielfach ausgezeichneten chinesischen Schriftsteller Liu Cixin (Jahrgang 1963) erhält eine Astrophysikerin genau diese Botschaft.

Liu Cixin: Die drei Sonnen. Illustration: Jennifer Daniel.

Die Astrophysikerin Ye Wenji antwortet auf die Nachricht der Trisolarier in Liu Cixins Roman „Die drei Sonnen“. Illustration: Jennifer Daniel.

Doch die Wissenschaftlerin, die diese Warnung von einem Pazifisten vom viereinhalb Lichtjahre entfernten Sonnensystem Trisolaris erhalten hat, schert sich nicht um die Aufforderung, nicht zu reagieren, sondern sie sendet einen Hilferuf ins All. Denn, so die nicht gerade unrealistische Befürchtung der Astrophysikein, die Menschheit wird ihre Probleme nicht alleine lösen können. Die Trisolarier reagieren und planen die Übernahme der Erde, denn ihr Planet liegt im Gravitationsfeld dreier Sonnen, weshalb er den chaotischen Mustern des physikalischen Drei-Körper-Problems ausgesetzt ist. Deshalb wird die trisolare Zivilisation in unregelmäßigen Abständen immer wieder zerstört und wiedergeboren. Bevor ihr Planet durch die chaotischen Anziehungskräfte der drei Sonnen ganz vernichtet wird, wollen sie eine neue Heimatwelt suchen.

Der Regisseur Martin Zylka hat nach der Hörspielfassung von „Die drei Sonnen“, die Weihnachten 2017 bei WDR 5 als Sechsteiler und Anfang dieses Jahres dann noch einmal als Zwölfteiler bei WDR 3 lief, nun auch den 800-seitigen zweiten Band der Trisolaris-Trilogie „Der dunkle Wald“ für das Hörspiel bearbeitet. Die Kenntnis des ersten Bandes ist, um Teil 2 zu verstehen, nicht unbedingt erforderlich, aber hilfreich, denn die Handlung wird, wenn auch mit anderen Charakteren, fortgesetzt.

Die Trisolarier haben sich auf den Weg zur Erde gemacht. Ihre Raumschiffe fliegen mit einem Hundertstel der Lichtgeschwindigkeit und werden die Erde in etwas 450 Jahren erreichen. Vorausgeschickt haben sie aber schon einmal zwei Protonen, die sich zu einem elfdimensionalen Supercomputer entfalten und ein lückenloses Überwachungsnetz um die Erde gelegt haben. Wie verteidigt man sich gegen eine Zivilisation, die buchstäblich jede Kommunikation abhört, Forschung und technischen Fortschritt nach Belieben manipulieren kann und eine eigene Untergrundorganisation auf der Erde hat?

Der zum planetaren Verteidigungsrat umgewidmete UN-Sicherheitsrat kommt auf die Idee, vier Menschen als sogenannte „Wandschauer“ – ein alter asiatischer Ausdruck für Meditierende – zu beauftragen, sich eine Strategie gegen die Trisolarier auszudenken, diese Strategie aber mit allen Mitteln zu verschleiern, denn das einzige was die Außerirdischen nicht lesen können, sind menschliche Gedanken. Im Zentrum steht schließlich Luo Ji (Max Mauff), der Begründer der Kosmosoziologie, auf dem alle Hoffnungen ruhen, nachdem die technischen, militärischen und politischen Pläne der drei anderen Wandschauer vorzeitig aufgedeckt worden sind.

Bei allem faszinierenden Tech-Talk, der den Reiz der Science-Fiction ausmacht, wenn die Naturgesetze nicht allzu weit überdehnt werden, handelt Liu Cixins Roman natürlich von der gegenwärtigen Welt. Schon der erste Teil der Trisolaris-Trilogie beginnt im Jahr 1967 zu Beginn der chinesischen Kulturrevolution, als ein Physik-Professor auf offener Bühne gedemütigt und totgeschlagen wird, weil er die „reaktionären Theorien von Einstein“ gelehrt hatte. Im ersten Band der Trilogie sind die Hölle immer die anderen.

Im zweiten Band erfährt man, dass die Welt im kosmischen Maßstab ein dunkler Wald ist, in dem lauter Raubtiere lauern. Schon Kommunikationsversuche sollte man unterlassen, denn sobald man ortbar ist, wird sich irgendeine Zivilisation finden, die einen vernichten will. Denn ob jemand gutmütig oder böse ist, also als Erster angreift oder dies unterlässt, kann man nicht vorhersehen und ist Gegenstand von potenziell unendlichen kosmosoziologischen „Zweifelsketten“. Auf erdsoziologisch nennt man das Phänomen „doppelte Kontingenz“. Denn nur bei einem Mindestmaß an Gemeinsamkeiten und Vertrauensvorschuss kann sich ein soziales System etablieren.

Liu Cixin: Der dunkle Wald. Illustration: Jennifer Daniel.

„Der Tropfen“ aus Liu Cixin:s Roman „Der dunkle Wald“ Sonde oder Waffe?. Illustration: Jennifer Daniel.

Am Ende von „Der dunkle Wald“ ist die Vernichtung der Erde vorerst abgewendet und man darf sehr gespannt sein auf den dritten und abschließenden Teil der Trilogie, dessen deutsche Übersetzung unter dem Titel „Jenseits der Zeit“ nächstes Jahr erscheinen wird. Nach Daniel Suarez („Daemon“, „Darknet“; vgl. FK-Heft Nr. 42/13) hat der WDR mit Liu Cixin einen weiteren Science-Fiction-Autor für das Hörspiel entdeckt und in der Bearbeitung und Regie von Martin Zylka aufwendig umgesetzt. Die vier Teile des Hörspiels, die jetzt bei WDR 5 zu hören waren (jeweils 55 Minuten), laden in der Mediathek zum ‘Binge Listening’ ein, werden aber auch Anfang nächsten Jahres auf dem Halbstunden-Termin bei WDR 3 (ab 19.05 Uhr) in acht Teilen wiederholt.

Jochen Meißner Medienkorrespondenz 21/2018

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