Vom deutschen Wesen
Paul Plamper: Dienstbare Geister. 2-teiliges Hörspiel
WDR 3, Mi 30.08.2017, 19.04 bis 19.58 Uhr / Do 31.8.17, 19.04 bis 19.56 Uhr
MDR Kultur, So 03.09.2017, 18.00 bis 18.54 Uhr / So 10.09.17, 18.00 bis 18.52 Uhr
DLF Kultur, Mo 04.09.2017, 0.05 bis 0.59 Uhr / Mo 11.09.17, 0.05 bis 0.57 Uhr
Bayern 2, Sa 07.10.2017, 15.05 bis 16.51 Uhr
Anno 1905 fragt eine 26-jährige Deutsche artig bei den zuständigen Behörden, in welcher Kolonie eine Frauensperson, die gut waschen und kochen kann und die sich auf Geflügelzucht und Milchwirtschaft versteht, eine Anstellung als Wirtschafterin in einem frauen- oder mutterlosen Haushalt finden könnte. Es verschlägt sie nach Kamerun und dort gehört die Frau plötzlich zur herrschenden Klasse. Auf der Veranda ihres Lebens angekommen, hat sie plötzlich viele dienstbare Geister zur Verfügung „ihre Jungs“, die sie lediglich beim Scheuern und Putzen anzufeuern hat. Einhundertundzehn Jahre später, 2015, macht sich einer der Nachfahren jener dienstbaren Geister auf den Weg nach Deutschland. Er ist ausgebildeter Statiker mit hervorragenden Deutschkenntnissen und bekommt trotzdem erst nach rund zweihundert erfolglosen Bewerbungen einen Job, natürlich erst einen prekären, dann einen befristeten.
Die Geschichte der beiden Figuren, die Paul Plamper in seinem zweiteiligen Hörspiel „Dienstbare Geister“ in einer ineinander verschachtelten Parallelmontage erzählt, beruhen zum einen auf Dokumenten und Tagebüchern ausgewanderter Frauen aus der Kolonialzeit, zum anderen auf Interviews mit gegenwärtigen Flüchtlingen und Migranten. Doch bei Plamper wird nicht das übliche antirassistische und antikolonialistische „Irgendwas-mit-Flüchtlingen“-Narrativ bedient, bei dem man schon dem Ton der Schauspieler anhört, wer der verachtenswerte Böse und wer der bemitleidenswerte Gute ist.
Die Irritation beginnt schon ganz zu Anfang, als die Figur der namenlosen Auswanderin mit entwaffnender Unbefangenheit ihre neue Heimat Kamerun erkundet. Fast meint man dem Klischee eines präfeministischen Rollenmodells gegenüberzustehen, wären da nicht die Äußerungen, mit denen sie das ausbeuterische Kolonialregime für völlig selbstverständlich, ja, es sogar für „im innersten Interesse des Negers selbst“ hält. Sandra Hüller brilliert derart in ihrer Rolle, dass man ihr williger, als es die eigenen moralischen Ansprüche eigentlich zulassen, noch ein paar Schritte weiter folgt. Dass eine so sympathische und emanzipierte Frau auch eine Rassistin sein kann, ist natürlich eine Herausforderung für den denkfaulen Teil eines sich als politisch korrekt empfindenden Milieus.
In eben dieses Milieu gerät der Kameruner Statiker namens Martin Gouambo, gespielt von Olivier Djommou, der als selbstbewusster Mann Wert auf seine Unabhängigkeit legt und sich nicht in der Vorstellung eines hilfsbedürftigen Opfers unterordnen will. Sobald er sich als Hauptmieter eine eigene Wohnung leisten kann, verlässt ihn dann auch seine Freundin mit dem Helfersyndrom. Dafür bekommt er es mit der Chefin einer Firma für Zaun- und Gerüstbau zu tun, die in mehrerer Hinsicht eine Wiedergängerin der namenlosen Kolonisatorin von Anfang des 20. Jahrhunderts ist – nur in unsympathisch. Cristin König spielt diese Silke Krämer als fleischgewordenen Dunning-Kruger-Effekt. Will heißen, sie ist in einer derartigen kognitiven Verzerrung gefangen, dass sie das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht zu erkennen vermag, während gleichzeitig ihre Selbstüberschätzung kaum zu toppen ist. Beschrieben wurde der Effekt von den amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger 1999 in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift.
Nie würde Silke Krämer den Begriff „Neger“ verwenden, denn das wäre ja diskriminierend, was nicht heißt, dass sie ihren Untergebenen Martin Gouambo nicht als solchen behandeln würde, indem sie ihn zwei Jahre „auf Probe“ beschäftigt und danach seinen Job an eine von ihm angelernte Frau vergibt. Dass der Satz „Wir haben uns für die Frau entschieden“ eine sexistische Diskriminierung sein könnte, kommt der Chefin natürlich nicht in den Sinn. Stattdessen schickt sie Martin als Projektleiter zurück nach Kamerun, um a) dort mit begrünten Bauzäunen die Verwüstung zu bekämpfen, die in dem Land allerdings nur ein sehr marginales Problem ist, und um b) im Gegenzug für ihre Firma ein CO2-Zertifiat zu bekommen.
Dass Martin Kamerun aus existentiellen Gründen verlassen hat, vor allem wegen des bürokratischen Korruptionalismus, der dort herrscht und der sich bis in die Herzen der Familien gefressen hat, ist der Chefin herzlich egal. Denn wenn sie eines weiß, dann, dass Afrika am politisch-korrekten und ökologisch sauberen, kurz: am deutschen Wesen genesen wird. Das wusste die von Sandra Hüller gespielte Figur schon vor mehr als hundert Jahren. Nur die Adjektive waren damals andere. Das Tragische dabei ist bis heute, dass sich ein Staatswesen wie das von Kamerun, das nun seit 43 Jahren von derselben Clique regiert wird, kaum am eigenen Schopf aus dem Sumpf wird ziehen können.
Die Figuren in Paul Plampers insgesamt 106-minütigem Zweiteiler sind hart an der Grenze des Klischees inszeniert, was aber nicht weiter schlimm ist, weil es in dem Stück nicht um vielschichtige Charaktere geht, sondern um Charaktermasken. Charaktermasken aber, denen ein hervorragendes Ensemble genug Tiefe und Farbigkeit gibt, um nicht von vornherein Ablehnung zu provozieren.
„Dienstbare Geister“ ist ein Lehrstück über die Heuchelei und Doppelmoral der Wohlmeinenden, eine soziologische Studie über ein Milieu, das keinerlei Bewusstsein für die mentalen Kontinuitäten hat, in denen es steht, und schließlich eine überraschende Lektion über ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutscher Kolonialgeschichte.
In den Hörspiel-Mediatheken der an der Produktion beteiligten Sender WDR, MDR, Deutschlandfunk Kultur und Bayerischer Rundfunk (BR) ist „Dienstbare Geister“ jeweils nur kurze Zeit verfügbar. Dafür kann man das herausragende Stück über Paul Plampers Website hoerspielpark.de als Download oder auf CD erwerben. Als Audioinstallation war das Hörspiel Anfang September auf der Ruhrtriennale zu erleben; im November wird es im Rahmen des Berliner Herbstsalons (11.-27.11.17) im Maxim-Gorki-Theater in Berlin vorgeführt.
Jochen Meißner – Mendienkorrespondenz 19/2017
Zusatzmaterial: 130 Jahre wie geschmiert von Richard Djif (PDF vom Hörspielpark)
Jelka Plate über Recherche und Konzeption von „Dienstbare Geister“ (PDF vom Hörspielpark)
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