Viel Retro, wenig Risiko – Die ARD-Hörspieltage 2025
Die ARD-Hörspieltage 2025 zeigen, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk um die Zukunft des Hörspiels ringt – zwischen Innovationsanspruch und Publikumsunterschätzung. Viel Retro, wenig Risiko: Ein Festival, bei dem sich mehr Fragen stellen, als es Antworten gibt.
Wenn alljährlich im November im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) die ARD-Hörspieltage stattfinden, ist das immer auch ein Gradmesser dafür, was der deutschsprachige öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der Kunstform vorhat. Dieses Jahr hatte man sich vom 6. bis 9. November das Motto „Hörspiel trifft Zukunft“ gegeben und die ersten Ergebnisse des Bemühens um die Zukunft jener Kunstform, die das Radio vor einhundert Jahren hervorgebracht hat, waren zu hören.
Doch die ersten Auswirkungen der Strukturreform innerhalb der Hörspielabteilungen der ARD hin zu einer virtuellen Gemeinschaftsredaktion konnte man schon daran erkennen, dass es nicht wie im letzten Jahr zehn Premieren gab, sondern nur sechs. Und einige Landesrundfunkanstalten kamen gar nicht vor. Die Serien laufen unter dem Label „ARD“, auch wenn die Federführung bei einzelnen Landesrundfunkanstalten liegt, was aber nicht mehr ausgewiesen wird.
Vom Leertext zur Poesie
Die Gäste vom Österreichischen Rundfunk (ORF) und der Schweizer SRG, die nicht mit Strukturreformen, dafür aber mit massiven Mittelkürzungen zu kämpfen haben, brachten in diesem Jahr zwei Einzelstücke mit. Ursula Scheidle hat für den ORF den Roman „Antwort auf einen Brief von Helga“ des isländischen Schriftstellers Bergsveinn Birgisson als weitgehend monologisches Stück für den mittlerweile 80-jährigen Wolfram Berger bearbeitet und inszeniert – ein Hörspiel in klassischer Form. Vom SRF konnte man noch einmal „Repeat“ (Kritik hier) zum einhundertjährigen Hörspieljubiläum hören, für das sich der Schweizer Rundfunk die deutsche Autorin Claudia Weber geholt hatte.
„REPEAT“ war denn auch das einzige Stück, das die sich die literarischen und radiophonen Möglichkeiten auslotete, indem es mit einem nur 700 Wörter langen Text fünf verschiedene Settings bespielte (Autodiebstahl, Operation, Sitcom-Aufzeichnung, Horrorfilmabend und Rockkonzert) und dabei den weitgehend aus Leerformeln bestehenden Text in eine poetische Form überführte. Wahrscheinlich ist diese Transformation (vom Leertext zum poetischen Songtext) aber nur ein Rezeptionsphänomen auf das das Stück seine Hörer aufmerksam macht.
Bestseller und Cliffhanger
Das übliche Bestseller-Hörspiel kam dieses Jahr vom Hessischen Rundfunk (HR), für den Leon Haase den Erfolgsroman „Windstärke 17“ von Caroline Wahl realisiert, nachdem der Vorgänger „22 Bahnen“ schon vom WDR inszeniert worden war.. Zum Science-Fiction-Schwerpunkt passte eine Star-Trek-Parodie aus dem Jahr 1969 „Happiness Is a Warm Spaceship“ von Alice B. Sheldon, die ihre Erzählungen unter dem Pseudonym James Tiptree Jr. Veröffentlichte. In der Bearbeitung und Regie von Martin Heindel hört man eine Besatzung aus außerirdischen Bären, Echsen, Ottern und ähnlichen Spezies, die es gar nicht so toll finden, dass jetzt auch die Menschheit dazugehören will. Doch die Komik der Satire, die sich optisch unmittelbar mitteilen würde, braucht im akustischen Medium Beschreibungen, angepasste Info-Dialoge, Geräusche und mehr oder weniger gefilterte Stimmen, was den Fluss und den Witz der Geschichte mitunter ausbremst.
Immer wieder auf die Bremse tritt auch Schahrasad in der von Judith Lorentz für das Deutschlandradio inszenierten Serie „1001 Nacht“ (Kritik hier). Denn am Ende jeder Nacht droht ihr der Tod durch den König Schahriyar, falls dieser nicht die Fortsetzung der Geschichte hören will. Der Erfinder des Femizids trifft so auf die Erfinderin des Cliffhangers. Im Sommer nächsten Jahres soll die Serie mit einer zweiten Staffel fortgesetzt werden.
Ausgetretene Pfade
Einen deutlich weiteren Horizont hat die Science-Fiction-Serie „Unearthing“ von Erik Wunderlich, eine Fortsetzung seines gleichnamigen Einzelhörspiels aus dem Jahr 2022. Das Setting ist bekannt: Ein Raumschiff ist auf dem Weg zu einem bewohnbaren Planeten, während Besatzung und Passagiere im Kälteschlaf warten und eine mehr oder weniger intrigante KI das Geschehen steuert. Schade nur, dass sie so ungelenk spricht, wie es schon heute kein Chatbot mehr tut. Schön hingegen die Idee der Dramaturgin Uta-Maria Heim vom Südwestrundfunk (SWR), die Hauptfigur mit schwäbischem Akzent auszustatten. Martin Buntz inszeniert so die erste Science-Fiction-Serie in Mundart.
Ähnlich bekannt ist die Struktur, die Gregor Schmalzried für seine Serie „Die Blender“ ausgewählt hat – es ist ein klassisches Agatha-Christie-Szenario, bei dem auf einer eingeschneiten Bergstation eine Hochzeit stattfinden soll, würde da nicht der Bräutigam tot aufgefunden. Die Rolle des Hercule Poirot übernimmt die einzige Figur mit einem Alibi, eine Ärztin. Ob dieses Stück denn schnell veralten würde, war denn auch die einzig halbkritische Frage der SWR-Journalistin Katharina Borchardt beim Gespräch im Anschluss.
Eine Antwort hat sie darauf nicht bekommen, lediglich die Radio-Bremen-Dramaturgin Lina Kokaly, die hier die Federführung hatte, betonte, dass sie schon oft für und mit ihrer Zielgruppe, der Generation Z, gearbeitet habe und alle Redundanzen im Skript auf ihre Rechnung gingen. Auch so kann man, ohne es zu wollen, seine Geringschätzung für jenes junge Publikum zeigen, das man eigentlich ansprechen will – indem man es nicht nur für wenig aufnahmefähig hält.
Dass selbst Stoffe und Formen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts extrem unterhaltsam und gegenwärtig sein können, hat Oliver Sturm mit seinem Zehnteiler „Die Erschöpften“, einer Variation von Thomas Manns „Zauberberg“, bewiesen (Kritik hier). Mit „Die Blender“ wandelt die ARD-Serien-Unit nicht nur auf längst ausgetretenen Pfaden, sondern hängt sich außerdem an einen aktuellen Trend an, nämlich an Privatfernseh-Reality-Formate wie „Die Verräter – Vertraue niemandem!“ von RTL.
Ein ähnliches Produkt wie „Die Blender“, von (Kunst-)Werken möchte man da nicht sprechen, scheint die Serie „Monos – Gefängnisinsel“ zu werden. Auch hier hat man es mit einem im Wortsinn abgeschlossenen Handlungsort zu tun. Und auch hier entwickelt sich das kammerspielartige Szenario um eine angespülte Leiche. Von beiden Serien gab es nur die erste Folge zu hören, vielleicht wird daraus ja noch was.
Problematisch ist aber nicht nur die vorsätzliche Unterschätzung des Publikums, in dessen Dienst man angeblich arbeitet. Noch problematischer ist, dass man mit jeder Sendung sein Publikum erzieht. Wer ein unterkomplexes Verständnis von Unterhaltung hat, wird auch ein Publikum generieren, das jede Anspielung über das bereits Gelernte hinaus als Zumutung empfindet. Was unvermeidlich zum „race to the bottom“ führt, einer Abwärtsspirale, für die es keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht.
Der Publikumsverachtung der Macher korrespondiert eine Geringschätzung gegenüber der Unterhaltung selbst. Denn die ist in ihrer Herstellung mindestens genauso anspruchsvoll, wie ein beliebiger „ernster“ Stoff. Unterhaltungs-Slop kann man sich schon jetzt in Sekunden von einer KI generieren lassen. Der Witz, den man noch im letzten Jahr machen konnte: „Das ist so schlecht, hat das eine KI geschrieben?“ hat sich ins Gegenteil verkehrt: „Das ist so schlecht, das kann keine KI geschrieben haben.“
Young Adult Mystery
Die letzte Serie, die bei den ARD-Hörspieltagen präsentiert wurde, ist gerade komplett online gestellt worden. Acht Teile umfasst die „Young Adult-Mystery“-Serie „Lamyas Buch der Scharlatane“ von Amal El Ommali und Andrea Geißler. „Lamyas Buch der Scharlatane“ handelt von der marokkanisch-stämmigen Jurastudentin Lamya aus Frankfurt (gespielt von der Autorin selbst), die auf einer Reise in ihre alte Heimat das mysteriöse Buch der Scharlatane entdeckt. Hierin findet sich eine Anleitung zum kunstvollen Betrug, aber auch eine Recherche zur Kolonialgeschichte und Kriegsverbrechen mit Giftgas, an denen auch nachfolgende Generationen noch zu leiden haben.
Das Stück arbeitet mit authentischen Sprecherinnen und Sprechern, die Tamazight sprechen, eine der ältesten indigenen Sprachen aus Nordafrika – was die Besetzung vor einige Probleme gestellt hat. Die Musik kommt unter anderem von der Rapperin Kauta. Neu ist das nicht: Hiphop im Hörspiel gab es schon Ende des letzten Jahrhunderts (bsps. „Hüttenkäse“ von Tim Staffel, WDR 1999). Anders als manch andere Serien merkt man „Lamyas Buch der Scharlatane“ an, dass es von einem öffentlich-rechtlichen Sender produziert worden ist.
Hörspiele würde sie nicht hören, gab die Autorin Amal El Ommali im Nachgespräch zu. Aber wenn sie schon eines mache, sollte das „cool“ sein. Aber natürlich gab es auch schon vor ihrer eigenen Produktion coole Hörspiele – von Hans Flesch bis Christoph Schlingensief. Dass das ARD-Hörspiel insgesamt anscheinend als uncool wahrgenommen wird, dürfte neben einer gewissen Unkenntnis aber auch daran liegen, dass sich in der ARD niemand die Mühe macht, solch coole Stücke ins Schaufenster zu stellen. Und stattdessen lieber das promotet wird, was die Hörerforschung für erfolgversprechend hält – und wenn es Agatha Christie ist. Uncooler geht es kaum.
Neue Stimmen, junge Preise
Infusionen aus der freien Szene holt sich das Medium Radio alljährlich mit Hilfe des Wettbewerbs „max15“ für Hörspiele, die maximal 15 Minuten lang sind. Fünf Stücke kommen in die Endauswahl und sind dann bei den ARD-Hörspieltagen zu hören. Nominiert waren das Bedienungsanleitungsstück „Bashslap und Joyful schließen eine Abschiedspuppe an“ von Michael Duszat, das Seenotrettungsstück „No One Is Coming Except the Waves“ von Alexander Scharf. Außerdem Hannah Güses Stück über das Lachen „macht_t_raum“ und eine Satire über die Diplomarbeit der Hildesheimer Kulturwissenschaftler von Carsten Schneider mit dem Bandwurmtitel „Ein filmanalytischer Vergleich populärkultureller Strategien in psychoanalytischer Unterhose zur Analyse des Gelingens und Scheiterns von Komik als Modell polyästhetischer Erziehung“.
Der mit 1000 Euro dotierten „max15“-Preis ging an „Touch Pool – Berührungsbecken“ von Alisa Kossak und Sarah Veith. Ein klanglich fein gesponnenes Stück darüber, wie sich ein versehrter Körper in einer Klinik verhält. Der ebenfalls auf den ARD-Hörspieltagen verliehene und mit 2000 Euro dotierte Kinderhörspielpreis der Stadt Karlsruhe ging an die sechsteilige Serie „Die Glitzer-Gang“ von Arne Salasse (HR/NDR).
Vergangenheit trifft Zukunft
Getreu dem diesjährigen Motto „Hörspiel trifft Zukunft“ warf die „Lauscherlounge“ um Oliver Rohrbeck einen Blick auf die Geschichte des berühmtesten Hörspiels aller Zeiten, Orson Welles‘ „Der Krieg der Welten“, und führte es als Live-Hörspiel im Medientheater des ZKM auf. Der damals gerade mal 23-jährige Welles, der mit seinem „Mercury Theatre on the Air“ allwöchentlich den Hörspielsendeplatz des CBS bespielte, kommt dabei als manischer Wüterich nicht gut weg. Sein Autor Howard Koch, der die Romanvorlage von H.G. Wells zur Radioreportage umschrieb, dafür umso besser.
Ebenfalls von H.G. Wells stammt der Roman „Die Zeitmaschine“, der als inszenierte Solo-Performance von dem Schauspieler (und Tatort-Kommissar) Mark Waschke zusammen mit dem Perkussionisten Stefan Weinzierl aufgeführt wurde. Weiter zurück in die Vergangenheit ging nur noch der Vortrag von Raoul Schrott über seinen voluminösen „Atlas der Sternenhimmel“, von dem es auch eine Hörspielfassung gibt (siehe Mediendienst 23.07.2025). Für Freunde des Hörspielfeeds „Das war morgen“, der Science-Fiction-Stücke aus dem Archiv des SWR wiederveröffentlicht, wurde das Hörspiel „Sternenvogel“ von Nelson Bond (SDR 1985) vorgeführt. Alles ziemlich retro.
Für Science-Fiction-Hörspiele gibt es in der ARD-Audiothek übrigens ab sofort einen neuen Kanal: „Das Portal“. Er steht neben den vier anderen „Große Geschichten“ (für Literatur im Hörspiel), „Nothing serious“ (Satire und Comedy), „Soundart“ (Klangkunst) und „Hörspielspeicher“ (originäre Radioproduktionen).
Interessanterweise gab es – anders als 2024 – in der ARD-Audiothek keinen eigenen Kanal für die Hörspieltage. Lediglich die Abschlussveranstaltung „Die Nacht des Hörspiels“ ist abrufbar. Und dort erfuhr man vom Science-Fiction-Enzyklopädisten Dietmar Dath (“Niegeschichte – Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine“), dem Hörspielmacher Albrecht Kunze (“Space is the Place“) und dem aus der DDR stammenden Autor und Futurologen Karlheinz Steinmüller (“Goulasch á la Ganymed“) doch noch einiges Interessante über die Zukunft – auch über das Hörspiel hinaus.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst 15.11.2025


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