Sinn als Unsinn

Björn SC Deigner: Der endlos tippende Affe

SWR 2, Sa, 21.01.2023, 23.05 bis 0.00 Uhr

Mit der Produktion von Sinn ist das so eine Sache. Seit gut zweieinhalbtausend Jahren versucht die Philosophie zu erklären, wie das absolut Unwahrscheinliche – beispielsweise komplexe Gesellschaften, Kunst und Kultur – entstehen und funktionieren kann. Die Sprache der Mathematik, genauer die Wahrscheinlichkeitstheorie, bietet mit dem Borel’schen Null-Eins-Gesetz und dem Infinite-Monkey-Theorem ein weiteres Erklärungsmuster an. Und schließlich ist da noch die Kunst, die nicht nur Sinn produzieren, sondern ihn auch verschwinden lassen kann, während sie zugleich seine materielle Grundlage und die Bedingungen der Produktion reflektiert.

In dem Stück „Der endlos tippende Affe“, das der Dramatiker, Hörspielmacher und Komponist Björn SC Deigner als Auftragsarbeit für das E.T.A-Hoffmann-Theater in Bamberg geschrieben hat (wo auch schon sein als Hörspiel des Monats August 2022 ausgezeichnetes Stück „Die Poilzey“ uraufgeführt wurde), geschieht genau das. In der Bearbeitung und Regie von Zino Wey ist aus dem Theaterabend ein 52-minütiges Hörspiel geworden, das da beginnt, wo das Sprechen beginnt: beim Öffnen und Schließen des Mundes – genauer beim Akt des Ein- und Ausatmens. Diesen Vorgang setzt das Ensemble (Astrid Meyerfeldt, Jirka Zett, Walter Hess, Marie Goyette und Paula Skorupa) gleich zu Beginn in Szene und versucht sich in der Geschwindigkeit gegenseitig zu überbieten.

Obwohl die Akteure Namen wie Lina, Roman und Kurt Schwepper haben, werden sie nicht zu Figuren, sondern sind aus Sprache gemachte Charaktere – wie im Englischen der „character“ einen Buchstaben bezeichnet. Aus eben diesen Buchstaben ergeben sich, wenn man sie nur lange genug nach dem Zufallsprinzip aneinanderreiht, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 die gesamten Werke von Shakespeare oder die der französischen Nationalbibliothek – je nach nationaler Präferenz. Genau das besagt das Borel’sche Null-Eins-Gesetz, das mit dem Inifinite-Monkey-Theorem ins Bild gesetzt wurde.

„Lang genug“ heißt hier, dass ein Affe unendlich lange auf einer Schreibmaschine herumtippen muss, um jedes mögliche Werk zu erschaffen. „Nimm einen Affen, setz ihn vor eine Schreibmaschine: Der Sinn wird sich von ganz von selbst ergeben“, heißt es im Hörspiel. Leider ist die Menge der sinnlosen Zeichenketten mächtiger als die der sinnvollen. Und so haben wir es hier mit unterschiedlichen Unendlichkeiten zu tun, die Deigner unter dem Begriff der Totalität subsumiert.

Experimentell kann man ein Theorem, das mit einer unendlichen Zeitskala arbeitet, nicht beweisen, aber ein paar Studenten haben es natürlich trotzdem probiert, nicht als wissenschaftliches, sondern als künstlerisches Projekt. Sechs Makaken – bei Deigner sind es „in einem Zoo inhaftierte Schimpansen“ – haben eine Schreibmaschine traktiert, und herausgekommen sind fünf Seiten Text, die ausschnittweise im Hörspiel zitiert werden, zum Beispiel „sertsffdsvdsfdsdsfdsfdsfdsfdd“ oder „3r3232rr32“. Der Buchstabe „s“ taucht signifikant häufig auf: „Es erinnerte nicht nur an Dada und konkrete Poesie; bei genauerer Betrachtung löste sich an und für sich eine Grundkonstante unserer Lesart von Welt auf.“

Im Hörspiel wird das überproportionale Auftreten jenes Buchstabens, der jedem Schauspieler Respekt einflößt, „als ging’s um die düsterste deutsche Klassik“, als stimmhafter oder stimmloser Zischlaut [s], [z], [ts] et cetera realisiert. Sprachspiele wie Reduplikationen („Ich hababe eineinen schwererwiegendenden Veredacht“) oder Vokalverschiebungen („Em schneller ze seen, verzechtete er eef dee Vekele, er benetzte ner nech des “E„) bedienen sich der Möglichkeiten gesprochener Sprache, um Sinnkontexte als Zuschreibungen (“Zeschreebeengen“) zu entlarven.

Das klingt nicht von ungefähr wie das Sprechen im Neuen Hörspiel der späten 60er und frühen 70er Jahre, als sich die Laute aus ihrer Funktion als sinntragende Elemente der Sprache emanzipierten und selbstbezüglich wurden. Auch die Intermezzi der Pianistin Marie Goyette stehen in dieser Tradition. Neben der Materialität der verschriftlichten wie der gesprochenen Sprache gibt weitere Elemente, die Deigners Stück mit dieser Hochzeit des deutschsprachigen Hörspiels verbinden: der Blick auf die Arbeit. Die sei „stets gefährlich“, weil sie aus den Menschen aus einem sicheren Grundzustand in ein Risiko überführe. Deshalb wird die Arbeit in Deigners Stück reguliert und kontrolliert, wenn nicht ganz verboten und nur in Ausnahmefällen gestattet.

Daraus folgt fast notwendig die anthropomorphisierende Interpretation, dass die Abwendung der Affen von der Schreibmaschine in dem studentischen Experiment im Zoo eine Absage an den Gedanken der Produktion (lies: der Erzeugung von Mehrwert) sei. Und das ist natürlich ein wenig unterkomplex, gemessen an dem begrifflichen und sprachspielerischen Aufwand, der in dem Hörspiel betrieben wurde. Die Stärke des Stückes liegt denn auch in seiner Fortführung einer literarisch-hörspielästhetischen Tradition, die inhaltliche Überforderung mit einer unterhaltsamen Form verbindet – und so bestenfalls den Unsinn zu einer Steigerungsform von Sinn macht.

Jochen Meißner – epd medien Nr. 06, 10.02.2023

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.