Hilfe, Tatort
Kleine Radiovorschau. 12. bis 17. Oktober
Die Kulturrevolution ist voll im Gang, zumindest im Radio. Dabei spielt die Marke ARD Radio Tatort eine wesentliche Rolle. Nein, er wird nicht abgeschafft, denn er ist von den Marketingstrategen ja extra eingeführt worden. Angeblich, um das Hörspiel bekannter zu machen. Tatsächlich ist die mäßige Krimireihe, die auf den meisten Kulturwellen der ARD die seltenen Hörspielsendeplätze blockiert, ein Mittel zur Kostensenkung. Denn Übernahmen sparen Eigenproduktionen. Der aktuelle RadioTatort thematisiert Pädophilie. Das einzig Positive: Til Schweiger hat offenbar nicht das Drehbuch entworfen. Sonst gäbe es unter den Verdächtigen viele Tote. Wem die nicht mal Kunsthandwerk zu nennende Produktreihe begegnen sollte, schnell weglaufen und um Hilfe schreien! Oder einfach das Radio abschalten.
Wer Krimi hören will, kann den von Götz Fritsch umgesetzten Wolf–Haas-Krimi »Das ewige Leben« (Sa., 0 Uhr, DLF) hören. In der Heimatstadt Graz wartet auf Kultermittler Brenner erstmal nur eines: die Psychatrie. Entgegen der Arztmeinung ist er aber kaum depressiv und wühlt gefährlich tief in der eigenen Vergangenheit.
Die Szenerie in Anne Leppers Theaterstück »Seymour« ist in einem abgeschotteten Dicken-Sanatorium in den Schweizer Bergen angesiedelt. Fünf hierher abgeschobene Kinder warten auf Doktor Bärfuss und den Kurerfolg. Ihnen ist bald klar, daß sie für ihre Eltern Aussätzige bleiben – wenn sie nicht dünner werden. Bärfuss läßt auf sich warten. Da Kinder aber bekanntlich ebenso grausam wie verletzlich sind, passiert auch ohne ihn einiges, nicht nur in den abgründigen Dialogen (Sa., 15 Uhr, WDR 3).
Gesine Schmidt hat ein Hörspiel über Autismus gemacht. Das Stück mit dem treffenden Titel »Oops, wrong planet!« sendet der DLF (Sa., 20 Uhr). Eine etwas untypische Liebesgeschichte wartet mit A.L. Kennedys »Love, love, love – Wie die Beatles« auf die Hörer von hr 2 (So., 14 Uhr).
Bei »On The Tracks« von Andreas Ammer sind lauter Beschatter unterwegs. In sieben zufällig ausgewählten Passanten erblicken sie archetypische Gestalten. Mal sehen, wohin die Spuren führen (Mo., 23 Uhr, WDR 3/ Di., 23 Uhr, 1Live). Welche Panikreaktionen eine Lücke im Lebenslauf verursachen kann, zeigt »Die Lücke« von Mariann Kaiser (Di., 20 Uhr, WDR 5). Zeitgleich ist Ivan Bunin, erster russischer Literatur-Nobelpreisträger, mit »Tolstois Befreiung« im DLF zu hören. Schließlich kommt die wohl beste Radio-Parodie aller Zeiten: »Das Radio ist nicht Sibirien« (Mi., 0 Uhr, DKultur) von Rafael Jové ist ein spaßiges, aber auch resignativ lethargisches Statement gegen die Kulturrevolution aus der Marketingabteilung.
12.10.2012 junge Welt, Rafik Will
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