Unterspielte Humoreske
Bonn Park: Traurigkeit und Melancholie oder der aller aller einsamste George aller aller Zeiten. Ein Fragment
Deutschlandradio Kultur, So 31.05.15, 18.30 bis 19.30 Uhr
Seit Schorsch Kamerun ihn in seinem Hörspiel „Ein Menschenbild, das in seiner Summe null ergibt“ (vgl. FK 39/06) erwähnt hat, ist „Lonesome George“ auch in der Hörspielwelt eine Berühmtheit. Lonesome George war eine Galápagos-Riesenschildkröte und der letzte Vertreter seiner Art. Für Kamerun war es schlicht unvorstellbar, dass ein Wesen, das sich im Alter von 157 Jahren nur fünf Meter pro Tag bewegt und fünf Kilo Salat isst, nichts denkt. 2012 ist Lonesome George gestorben. Bis zuletzt hat er sich standhaft geweigert, sich mit extra eingeflogenen artverwandten Schildkröten zu paaren.
In dem Hörspiel „Traurigkeit und Melancholie“ nach dem Theatertext des 1987 geborenen koreanischstämmigen Autors Bonn Park spielt Lonesome George die Hauptrolle – auch hier wieder ein Denker. In Parks Stück ist George nicht nur unfassbar alt (100.000 Millionen Jahre) und ziemlich unsterblich, sondern er hat auch gigantische Dimensionen und steht gleichzeitig prototypisch für jene Form der Existenz, der es nicht vergönnt ist zu sterben.
Die Unsterblichkeit ist nur eines der quasi göttlichen Attribute, über die George (gesprochen von Tilo Prückner) verfügt. Außerdem kann er sich in beliebige Gestalten verwandeln und Welten erschaffen. Die Welt, wie wir sie kennen, ist beispiels weise das Ergebnis eines Verrottungsprozesses, der nach einem missglückten Festmahl eingesetzt hat. George hatte dazu alle Tiere der vorherigen Welt ineinander gestopft und mehrere Tage in einem Ofen von den Ausmaßen einer Mehrzweckhalle gegart: Es gab Blauwal gefüllt mit Pottwal, gefüllt mit Delphin, gefüllt mit Kaffernbüffel, und so weiter und so fort.
Die Vernichtung einer Welt zugunsten einer anderen hat sich aber auch nicht unbedingt positiv auf den Seelenhaushalt von George ausgewirkt. Einsamkeit, Traurigkeit und Melancholie gehören offenbar zur Grundausstattung eines Gottes. Jedenfalls dieses Gottes. Da kann ihm nicht mal eine Seelendoktorin helfen- gespielt wird sie von Jule Böwe, die sonst als „Dritte“ agiert und neben George und einer Autor/Erzähler-Figur (Trystan Pütter) das Hörspiel bestreitet. Hinzu kommen noch die Stimmen von Gina V. D’Orio und Annika Line Trost, die sonst die Elektropunkband Cobra Killer bilden.
Die superlativische Traurigkeit und Melancholie des „aller aller einsamsten George aller aller Zeiten“ wird nur von den aller aller skurrilsten Einfällen getoppt, die Bonn Park in den Sinn gekommen sind. Beispielsweise die Zwischenspiele über „George und das Haar der Rapunzel“ die mit einer Art Stummfilm-Slapstick-Musik unterlegt sind, oder die Verwendung des Märchens von „Hans im Glück“ als Metapher für die Dysfunktionalität kapitalistischer Tauschprozesse. Ähnlich wie Gion Mathias Cavelty („Die Andouillette“, vgl. FK 46/14) oder Matthias Schamp („Der Aufstand in den Sinnscheiße-Bergwerken“, vgl. FK 16/07) ist auch Bonn Park ein Erbauer phantastischer Welten, die manchmal erstaunliche Überschneidungen zu unserer realen Welt aufweisen.
Christian Wittmann und Georg Zeitblom, die schon mit „BeatTheater 2011“ ein Expose Ferdinand Kriwets aus dem Jahr 1964 erfolgreich reanimiert haben (vgl. FK 13/11), inszenieren Bonn Parks Text auf einem Bett elektronischer Musik. Der Flow dieser Musik trägt in seiner Variabilität über die vollen 60 Minuten des Hörspiels. Durch die bedacht eingesetzten Stimmen werden die Kuriositäten und Bizarrerien des Textes zusammengehalten, ohne sie der Albernheit preiszugeben, während gleichzeitig die im Titel versprochene Traurigkeit mit dem Komischen in der Balance gehalten wird. Das Stück funktioniert als eine unterspielte Humoreske. Am Ende stirbt George – nicht. Wie sollte er auch. Letztendlich begreift er, dass der Wunsch zu sterben lebenserhaltend war und dass Depressionen gesund sind und in großen Maßen mit großen Löffeln zu sich genommen werden sollen.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 13/2015
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