Todernste Selbstironie
Joana Tischkau, Jan Gehmlich: Playblack Radio
WDR3, 30.4.23, 19.04-20.00 Uhr
„Der Hörer ist ein scheues Wild, sagt man gerne bei uns. Die kleinste Unregelmäßigkeit und er flüchtet panisch in den Wald. Sind Sie so ein Sensibelchen? Wollen Sie tatsächlich von uns behandelt werden, wie ein nervenkranker Verwandter, schonend?“, fragte ein entnervter Rundfunkmoderator in Rafael Jovés Hörfunksatire „Das Radio ist nicht Sibirien“ aus dem Jahr 2013 (epd 22/13).
Und weil Satiren gerne als Gebrauchsanweisungen missverstanden werden, hat uns der Kulturbetrieb die „Triggerwarnung“ geschenkt. So beginnt denn auch das 52-minütige Hörspiel „Playblack Radio“ von Joana Tischkau und Jan Gehmlich mit einer Vorwarnung: „Hey, bevor Du weiterhörst: Dieses Hörspiel thematisiert unter anderem Rassismus und Sexismus. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei Dir der Fall ist.“
Funktionell ist das natürlich keine Warnung, sondern ein Credo und ein Hinweis an die Hörerschaft, in welcher Glaubensgemeinschaft man sich befindet. Und wenn sich die Choreographin und Performerin Joana Tischkau zusammen mit Jan Gehmlich mit „Playblack Radio“ auf die Suche nach Schwarzen Stimmen macht, dann ist ein grundlegender Glaubenssatz, dass das „N-Wort“ immer, überall und kontextunabhängig absolut tabu ist und deshalb nicht einmal zitierend oder erklärend gebraucht werden darf: „Black Musik hieß in Deutschland früher N-Wort-Musik“, heißt es im Stück, in dem sonst drastische Sprache nicht unbedingt vermieden wird – etwa wenn es um das „muttergefickte Denkmal“ für einen deutschen „Kolonialisierer“ geht. Sobald aber das böse S-Wort („Schlampe“) fällt, kommt sofort die PC-Polizei-Patrouille und erteilt einen Verweis: „Wir haben einen Hinweis aus der Bevölkerung erhalten,dass jemand in dieser verfickten WG grade das ‚S-Wort’ gesagt hat. Wir weisen an dieser Stelle freundlich darauf hin, dass es keinen Unterschied macht, ob man eine sexistische, rassistische oder antisemitische Beleidigung ironisch meint oder nicht: Ihre Wirkung ist unverändert sexistisch, rassistisch und antisemitisch.“ So wird Selbstironie funktionalisiert, wenn man es todernst meint.
Doch von Anfang an: die Protagonisten von „Playblack Radio“, die die Autoren Joana Tischkau und Jan Gehmlich in eine sogenannte „Synchron-WG“ gesperrt haben und dort eine Art Radioshow performen, sind Engelbert von Nordhausen, die deutsche Stimme von Samuel L. Jackson und Bill Cosby, Tobias Schmitz (Geburtsname: Schmidt), die deutsche Stimme von Chadwick Boseman, Sam Richardson und John David Washington sowie Claudia Urbschat-Mingues, die deutsche Stimme von Jada Pinkett Smith, Rosario Dawson und Regina King. Und außerdem die von Angelina Jolie, was allerdings nicht erwähnt wird – vielleicht weil die zu weiß ist?
Ausdrücklich erwähnt werden muss aber, dass Tobias Schmitz schwarz ist, was man weder im Hörspiel noch im Synchrongeschäft sieht und den identitätspolitischen Diskurs schon mal schwieriger macht. „Identitätspolitik ist im Kern autoritär, reaktionär und anti-aufklärerisch“, darf Engelbert von Nordhausen in einer heftigen WG-Diskussion einwerfen, die, weil sie vor genüsslichen Beleidigungen strotzt, im Stück als „Selbstparodierung afroamerikanischer Kultur“ benannt wird.
Das Hörspiel ist collagenhaft konstruiert, es verschränkt verschiedene Diskurse miteinander. Kompliziert wird es, wenn eine schwarze Sängerin den Song eines weißen Sängers covert, der aus seiner Perspektive auf schwarze Musik komponiert wurde, wenn also Oihane Roach den Song „Intoxication“ von Tilmann Otto (alias „Gentlemen“) singt. Der Song, so unterstellen die Autoren, ziele „auf ein Publikum ab, das rassifizierende Erwartungen an Musik hat“. Einfacher wird es, wenn ein gewisser „Detlev Dorian“ und die Gruppe „Thrilla Vanilla“ und ein „DJ Lobo“ auftreten, die kaum verklausuliert auf den Produzenten Frank Farian und Milli Vanilli sowie den Schweizer DJ Bobo verweisen. Wird im ersten Fall das Konzept „cultural appropriation“ („kulturelle Aneignung“) quasi zur Implosion gebracht, so wird im zweiten Fall die Komplexität entkulturalisiert und auf das ökonomische Kalkül reduziert.
Dass Nordhausen, Schmitz und Urbschat-Mingues auch über die Enteignung ihrer Stimmen in Nutzungsverträgen erzählen, die zu ihrer Überraschung auch unvergütet in Werbespots auftauchen können, fügt dem Stück eine realistische Dimension hinzu, die die drei Figuren erdet. Sonst klingen sie, wenn sie sich selbst spielen, eherpenetrant „synchronig“.
Die Konstruktion von „Playblack Radio“ ist die einer Bricolage. Tischkau und Gehmlich, die auch selbst Regie geführt haben, sampeln, was aus dem Ozean der Diskurse angeschwemmt wird. Was nicht passt, wird passend gemacht und natürlich wissen die beiden um den Eklektizismus ihres Stücks. Manche Fundstücke sind schöner als andere. Komplexe Mischungen treffen auf simple Albernheiten, wie beispielsweise einen Sprachkurs in afrikanisch-amerikanischem Mundartenglisch. Wunderbare Coverversionen (neben „Intoxication“ hört man auch eine weibliche Version von Peter Fox’ „Zukunft Pink“ von Diana Ezerex und eine männliche von Amy Winehouse’ „Valerie“ von Sidney Frenz) treffen auf Parodien radiophoner Elemente wie ein Voiceover, das live in ein Interview reingequatscht wird, auf das die Gesprächspartnerin hörbar ungehalten reagiert.
2019 hat Joana Tischkau unter dem Titel „Playblack“ eine Performance im Berliner Theater Hebbel am Ufer aufgeführt. Dort hieß es: „‚Playblack‘ verabschiedet sich vom weißen Konzept des Universalismus und teilt stattdessen Schwarze Deutsche Erfahrungen.“ Das Hörspiel „Playblack Radio“ hingegen zeigt, dass die Kategorie Schwarz für Stimmen eine untaugliche Zuschreibung ist. Das Stück wird von der Collage zur Bricolage, wenn man es als Denkwerkzeug benutzt und sich fragt, ob es nicht hinterrücks ebenso Weiß als untaugliche Kategorisierung des Universalismus entlarvt hat.
Jochen Meißner – epd medien Nr. 19, 12.05.2023
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