Hörspiel des Jahres 2023

Eine jährlich wechselnde, dreiköpfige Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste wählt allmonatlich ihren Favoriten zum Hörspiel des Monats und aus diesen zwölf Stücken das Hörspiel des Jahres. 2023 bestand die Jury aus der Autorin, Journalistin und Podcasterin Yasmine M’Barek, der Spoken-Word-Artistin, Lyrikerin und Moderatorin Miedya Mahmod und dem Rapper, Songwriter und Filmproduzent Horst Wegener. Ihr Hörspiel des Jahres ist:

Playblack Radio – Was ist eigentlich eine „schwarze Stimme“?

von Joana Tischkau und Jan Gehmlich
Regie: Joana Tischkau und Jan Gehmlich
Regieassistenz: Josephine Güntner, Julie Grothgar, Peter Simon
Mit: Engelbert von Nordhausen, Claudia Urbschat-Mingues, Tobias Schmitz, Agnes Lampkin, Samia Dauenhauer, Karmela Shako, Akeem van Flodrop, Calvin E. Burke, Henry Morales,
Luca Müller
Komposition: Diana Ezerex, Sydney Frenz, Oihane Schmutte
Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch, Steffen Jahn, Barbara Göbel
Dramaturgie: Jan Buck
Produktion: WDR 2023,
Ursendung: WDR 3, 30.04.2023
Länge: 51:30

Begründung der Jury

Eine Stimme formt sich nicht nur aus den Lauten und Tönen, die das Selbst aus seinem Körper hervorbringt. Auch die Resonanz des Anderen, wortwörtlich seines Klangkörpers, spielt eine Rolle, so begann Miedya Mahmod unsere Jurybegründung zum Hörspiel des Monats April 2023.

Die Jury hat sich für „Playback Radio“ entschieden, weil hier viele langwierige und viel gehörte feuilletonistische Debatten ein Ende, eine Erlösung finden: In der zynischen Auseinandersetzung mit dem Schwarzsein auf der nicht visuellen Ebene, aktueller denn je. Tägliche Debatten und Whataboutism finden kein Gehör, das große Ganze wird durch zahlreiche Faktoren wie Synchronsprecher, deutsche weiße Schwarze Musik und innere Monologe aufgebrochen. Damit sticht es aus allen wohlverdienten und großartigen Hörspielen des Monats heraus, als klarer Sieger.

Die Erlösung besteht aber nicht aus Antworten: Sie liegt in der Ruhe nach dem (Thesen-)Sturm. Im Innehalten-und-Weitermachen vor dem nächsten frischen Wind – oder der harschen Böe, je nach Grad des zwischenzeitlichen Ohrensausen, je nachdem, ob Anregung oder Erschöpfung einen befallen. Beides darf sein. Eine Lösung also, nicht Auflösung, bietet die Arbeit von Tischkau und Gehmlich durch die Erkenntnis, dass auf tiefe, aufrichtige Auseinandersetzung mehr Fragen folgen müssen; und was sind Fragezeichen, wenn nicht Vorzeichen des Dialogs? Der Gesprächsbedarf ist da und der Blick für die dazu eingeladenen Stimmen, die Frage nach der einladenden Stimme, das Horchen nach unsichtbarer Präsenz und überschaubarer Repräsentation, bleiben.

Wie Miedya Mahmod bereits im April schrieb: Es wäre ein Leichtes, beim Überblicken des gesendeten Programms bei „Playblack Radio“ von einer Collage zu sprechen. Es wäre zu leicht. Bei diesem Palimpsest aus sich überlagernden weißen Fantasien & Schwarzer Kulturgeschichte wird Schicht für Schicht abgetragen, was mit dem nächsten Jingle schon wieder drauf projiziert wird.

Ideen von Originalität und Ursprung verschwimmen mit Fragen nach Authentifizierung und Identifizierung, heitere Dudelfunk-Ästhetik und metakommunikativer Kommentar drehen die Boxen auf. Besonders gelungen ist der Einsatz klassischer Tontechniken bzw. der Stimmeinsätze. So wird beispielsweise das Voice-Over der äußerst bemühten Journalistin Stefanie, die nach Straßenumfrage und Googlesuche, im Gespräch mit ihrer „eigenen Schwarzen Freundin“ Isabel zum Sinnbild bzw. Sinnton für die Machtdynamiken, die es weißen Vorstellungen, sprich Fantasien aus Jahrhunderten der Rassifizierung & Exotisierung, von Schwarzen Lebensrealitäten erlauben, diese Lebensrealitäten tatsächlich und sehr real zu beeinflussen, zu beschneiden, zu Besitz zu erklären.

Nach einer Schalte ins Musikstudio und ins Jahr 1994 zu GI Eric und einem westdeutschen Musikproduzenten, erinnert Samuel L. Ja… – erinnert Engelbert von Nordhausen mich daran, warum die britische Musikerin FKA Twigs Recht hatte damit, die wiederholte Einordnung ihres genre-bending, extrem speziellen Sounds als ‚Alternative R’n’B‘ einen schlampigen Journalismus zu nennen.

Dieses Hörspiel fungiert als neuer Debattenanfang, intensives Hörerlebnis und Audiomeisterwerk. Die verschiedenen collagenähnlichen Elemente unterstreichen die Jurymeinung und nicht zuletzt der Einsatz hoch profilierter Synchronstimmen runden dieses Karussell, bei dem nie ganz klar zu sagen ist, um was oder wen es sich jetzt eigentlich dreht, ab. Herzlichen Glückwunsch und großes Lob an Joana Tischkau und Jan Gehmlich für dieses gelungene Werk.


Das Gewinnerstück wird am Samstag, den 10.2.2024 um 19.04 Uhr auf  WDR 3 ausgestrahlt. Es steht auch zum Download zur Verfügung (Kritik hier).
Zur Ehrung des Hörspiels des Jahres 2023 haben sich Jury und WDR als gastgebender Sender für das Format des Podcasts entschieden, der ab 10.02.2024 in der ARD- und der DLF-Audiothek und auf den einschlägigen Podcastplattformen zur Verfügung stehen wird. Es handelt sich um eine Spezialausgab des monatlichen Magazins Hauptsache Hörspiel, noderiert von Hanna Steger und Max von Malotki, mit den Jurymitgliedern Horst Wegener, Miedya Mahmod, Yasmine M’Barek. Ausstrahlungstermin des Podcasts ist Sonntag, der 11.2.2024 um 18.04 Uhr im Rahmen des WDR 3 Forums.

Das Hörspiel des Monats/Jahres ist eine Initiative, die gemeinsam mit den Landesrundfunkanstalten der ARD, dem Deutschlandradio und dem Österreichischen RUndfunk (ORF) und dem Schweizer Rundfunk und Fernsehen (SRF), die dieser Kunstform ein eigenes Forum gibt und seit 1977 reihum in Kooperation mit den Sendern durchgeführt wird. Eine von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste eingesetzte Jury wählt Monat für Monat aus den Ursendungen die nach ihrer Meinung beste Produktion. Aus den zwölf „Hörspielen des Monats“ wählt dieselbe Jury das „Hörspiel des Jahres“.

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