Stilbildend und zeitlos modern – Günter-Eich-Preis für Ror Wolf

Für sein Lebenswerk als Hörspielmacher wurde Ror Wolf am 7. Juli mit dem Günter-Eich-Preis ausgezeichnet. Eine Woche zuvor hatte der Schriftsteller und Collagist, der sich gerne etwas kokett als „Hörspielautor, der gelegentlich ein Buch schreibt“, bezeichnet, seinen 83. Geburtstag gefeiert. Nach Alfred Behrens, Eberhard Petschinka, Hubert Wiedfeld und Jürgen Becker ist Wolf der fünfte Preisträger der alle zwei Jahre von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten Auszeichnung.

Anders als in den vergangenen Jahren wurde der Preis dieses Jahr als Auftakt des Sommerfestes der Medienstiftung in der Villa Ida am Leipziger Poetenweg verliehen – ohne Vortragen der Jury-Begründung und Laudatio, dafür mit einem elfminütigen Videoporträt des Preisträgers, das Thomas Bille angefertigt hatte, der die Veranstaltung auch moderierte und der mit dem neuen Jury-Vorsitzenden, dem ehemaligen WDR-Hörspielchef Wolfgang Schiffer über Ror Wolf und dessen Werk plauderte. Weil der Preisträger aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein konnte, wurde seine Dankesrede ausschnittsweise als Videobotschaft eingespielt; komplett findet man sie auf der Website von MDR Figaro, wo auch das Videoporträt und ein Zusammenschnitt der Veranstaltung abrufbar sind.

Der Günter-Eich-Preis sei ihm ein sehr wichtiger Preis, verriet Ror Wolf, denn seine erste beeindruckende Erfahrung mit dem Genre Hörspiel habe er mit einem Stück gemacht, das er 1951 im Programm des damaligen Süddeutschen Rundfunks (SDR) gehört habe. Wolf lebte da noch im thüringischen Saalfeld/DDR. Er war in der DDR wegen seiner bürgerlichen Herkunft nicht zum Studium zugelassen worden, sondern sollte sich als Betonbauer in der Produktion bewähren. Im Jahr 1953 ging er in den Westen, studierte unter anderem bei Horkheimer und Adorno, wurde Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk (HR) und brachte dort als erster Thomas Bernhard ins Radio. 1963 entschied Wolf sich für eine Existenz als freier Schriftsteller.

Fußball-Collage-Hörspiele

In dem Hörspiel von 1951, das Ror Wolf nach eigener Aussage zwischenzeitlich völlig vergessen hatte, ging es um ein merkwürdiges Geräusch, das die Menschen in London verrückt gemacht habe. Erst sehr viel später bei einer Begegnung mit Günter Eich beim Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld habe er sich wieder an das Stück erinnert und erfahren, dass es sich um Eichs Groteske „Fis mit Obertönen“ gehandelt habe. Eich habe ihn gefragt: „Warum schreiben Sie keine Hörspiele?“ Und Wolf schrieb daraufhin sein erstes Hörspiel, „Der Chinese am Fenster“, das 1971 urgesendet wurde und zu einem Klassiker des sogenannten Neuen Hörspiels werden sollte. Es bildete den Auftakt zur Trilogie „Auf der Suche nach Dr. Q“, die mit dem Stück „Die überzeugenden Vorteile des Abends“ fortgesetzt und mit der „Reise in die Luft in 67 Minuten und 15 Sekunden“ abgeschlossen wurde.

Weit über die Hörspielszene hinaus bekannt wurde Ror Wolf mit seinen Fußball-Collage-Hörspielen, die zwischen 1972 und 1979 entstanden sind. Hier definierte er das O-Ton-Hörspiel neu, indem er nicht nur die Floskelhaftigkeit der Fußballreportage auf ihren rituellen Charakter und ihre unfreiwillige Komik hin untersuchte, sondern indem er zugleich auch die lyrischen Dimensionen der Äußerungen auf den Fußballplätzen und in den Mannschaftskabinen freilegte. Der Arbeitsaufwand zur Erstellung dieser Collagen war im Zeitalter der analogen Tonbandmaschinen und des „blutigen Schnitts“ ins Material enorm: „Ein nahezu endloser Arbeitsprozess und ein ziemlich eindeutiger Fall kreativer Unvernunft“ sei das gewesen, so rekapituliert Wolf dies heute.

Doch die Geschichte des akustischen Werks von Ror Wolf ist nicht nur die seiner selbstgemachten Radio-Collagen, sondern auch die derjenigen seiner Hörspiele, die von anderen Regisseuren inszeniert worden sind. Neben Raoul Wolfgang Schnell, Günter Guben, Hermann Naber, Peter Lilienthal und Jürgen Roth, die je ein Stück von Wolf inszeniert haben, sind es vor allem Heinz Hostnig und in jüngerer Zeit Antje Vowinckel und Thomas Gerwin, die sich mehrfach in den höhlenartigen Kosmos von Ror Wolf begeben haben.

Hörspielpreis der Kriegsblinden

Den größten Erfolg feierte der Jazz-Fan Ror Wolf mit seiner Radioballade „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nordamerika“, unter der Regie von Heinz Hostnig und mit Christian Brückner als Bix. Für dieses Stück wurde Wolf 1988 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde. Denn er ist nicht nur in Gestalt seines Alter Egos Raoul Tranchirer ein genialer Collagist, sondern er beherrscht auch als Schriftsteller sein Metier von den großen Erzählbögen der Trilogie „Auf der Suche nach Dr. Q“ bis hin zu den Miniaturen der „Zweiunddreißig ziemlich kurzen Geschichten“ seines Zyklus „Mehrere Männer“.

In der Jury-Begründung zum Günter-Eich-Preis heißt es: „Ror Wolfs akustische Erzählformen wirkten stilbildend auf nachfolgende Generationen und haben in ihrer zeitlosen Modernität bis heute nichts an Lebendigkeit verloren; ihre künstlerische Raffinesse und die Subtilität der Arrangements befeuern den hohen Unterhaltungswert, den jedes einzelne Hörspiel des Autors besitzt – Hörspiele, die sich in der Summe auch als eine Hommage sehen und hören lassen an das Radio als das Medium des künstlerischen Worts.“ Genau!

  Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 15/2015

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