Sprechkörper spricht Sprachkörper
Händl Klaus: Eine Schneise
WDR 3, Sa 23.11.2013, 15.05 bis 16.00 Uhr
Mit den Wörtern ist das so eine Sache. Kaum spricht jemand sie anders aus, wechseln sie die Bedeutung. Der Theatertext „Eine Schneise“, sagt der Tiroler Autor Klaus Händl, der sich Händl Klaus nennt, sei „ein Sprachkörper, den sich die Figuren teilen.“ Man könnte es auch anders formulieren: Es ist der Sprachkörper, der sich die Figuren teilt. Gesprochen wird der Text von einem Sprechkörper, der sich zusammensetzt aus Kathrin, der Lehrerin (Sophie Rois), Lukas ihrem zehnjährigen Sohn (Kristof van Boven), Peter, dem Inspektor (Jens Harzer), und Wim, dem Imker (André Jung). In der Inszenierung des Schweizer Regisseurs Erik Altorfer können die Figuren gegenseitig ihre Sätze so vervollständigen, dass aus Aussagesätzen Fragesätze werden und umgekehrt. Die Redenden fallen sie sich so geschickt ins Wort und in die Wörter, dass daraus Bedeutungsfunken sprühen und man als Hörer kaum weiß, wie einem geschieht. Wer braucht noch abgegrenzte Figuren, wenn die Sprache so auf ihnen spielt und aus nur einem Satz einen Konflikt begründen kann. Ein eher simples Beispiel ist: „Es schmeckt – mir nicht.“ Den Rest muss man hören, denn der Text von Händl Klaus ist kein Lese-, sondern ein Sprech- und Hörtext.
Die in Jamben und Trochäen rhythmisierten Sätze, die sich über die Figuren und die Szenerie erstrecken, sind nicht experimenteller Selbstzweck. Sie reflektieren vielmehr die verschlungenen Beziehungen der Figuren untereinander und deren Verhältnis zur Natur, die äußerst beschädigt vor ihnen liegt. Denn es hat ein Verbrechen stattgefunden, ein Mord an 14 Bienen-Völkern deren Stöcke angezündet worden sind, woraufhin der Brand eine Schneise in den Wald geschlagen hat, bis das Feuer von dem saftig grünen Bäumen aufgehalten und erstickt worden ist.
Der Inspektor, der daraufhin ermittelt, entdeckt die Massengräber der Bienen und macht in Lukas einen Verdächtigen aus. Der Zehnjährige macht aus seiner Feindschaft gegenüber der Natur keinen Hehl. Denn die Natur, wie immer weiblich konnotiert, empfindet der vaterlos aufgewachsene Junge als übergriffig. Das dunkle Schweigen des Waldes ist ihm am liebsten nach dessen Vernichtung. Die Sehnsucht nach der buchstäblichen väterlichen Gewalt führt dazu, dass er in jedem Gast den unbekannten Erzeuger imaginiert. Peter, der Inspektor, ist da schon einmal eine Autoritätsperson, mit der sich der Bube gerne identifizieren möchte. Nicht ganz unmotiviert, hatten seine Mutter Kathrin und Peter wohl früher etwas miteinander.
Doch auch der dem Brand entronnene Imker Wim kommt als Vater in Frage, teilt er doch mit Lukas den Hang zur Naturvernichtung. Dass Wim Kathrins Vater ist und Lukas Frucht einer inzestuösen Beziehung sein könnte, kommt verschärfend hinzu. Als Imker setzt Wim statt auf die rohe Gewalt des Feuers auf die Tücke der biologischen Kriegsführung. Seine Bienen dienen nicht der Honigproduktion, sondern sind nur die infektiösen Trägersysteme für die Milben, die allgemein für den immensen Rückgang an Bienenpopulationen verantwortlich gemacht werden. Das alles ergibt eine Motivstruktur, bei der man sich schön gruseln kann, aber unklar bleibt, worauf sie letztendlich hinaus will. Auf Zivilisationskritik, Feminismus, Ökologie?
Jenseits des apokalyptischen Furors ergeben sich in der Hörspielfassung von Erik Altorfer mit der Musik von Martin Schütz hinreißend komische Szenen, zum Beispiel über den Nutzen des Gestanks, der sowohl Schutzmechanismus ist, jedoch auch als Identitätsmerkmal dient: „Man riecht nach sich, dem alten Schmalz, das ranzig ist und für uns spricht.“ Olfaktorisch derart überwältigt, ist auch die Stimme, die sonst für uns spricht, ein Angriffsziel. Ein kanonhaftes, kontrapunktisches Sprechduell bildet den Höhepunkt des rund 55-minütigen Stücks: „Mir wird schlecht, sobald du sprichst, weil deine Stimme hässlich ist. Sie kränkt mich, du erreichst mich nicht, weil deine Stimme hässlich ist.“
So gut sprechbar die rhythmisierten Sätze sind, so komplex und „tricky“ ist die Dialogführung, die, ähnlich wie die Makrostruktur des Textes, nach musikalischen Prinzipien gebaut ist. Erik Altorfer inszeniert die von Figur zu Figur hüpfenden Texte fast zu perfekt. Die hier wieder einmal großartige Sophie Rois, immer für einen hysterischen Ausbruch gut, wird gerade noch rechtzeitig gebremst. Das ist gut so, da Altorfer nicht auf die vordergründigen Pointen abzielt, die der Text auch bereithält. Ein wenig mehr Dreck hätte der akustischen Mischung dennoch gut getan, um die Verheerungen hörbar werden zu lassen, die sich in der Brandstiftung manifestiert haben. So glänzt die Inszenierung von Erik Altorfer mit der Sprachkunst von Händl Klaus um die Wette wie „der graue Film, der auf der Haut liegt und uns schmiert“. Das Hörspiel ist zweifellos eine kongeniale Realisation ganz im Dienst der Vorlage.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 47/2013
Update: Das Stück ist am 30.05.2016 beim Verlag „Der gesunde Menschenversand“ auf CD erschienen.
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