Selbstgespräch vor entflammtem Mordbrandschimmer
Wenn die Bilder von Gefolterten nur vorgestellte Spiegelung sind, durch die man hindurchschreiten muss, dann befindet man sich in der Welt von Ernst Jünger. Dessen Roman „Auf den Marmorklippen“ wurde nun von Ulrich Lampen als Selbstgespräch des Erzählers inszeniert.
Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen
SWR Kultur, Sa, 29.03.2025, 23.05 bis 0.44 Uhr
Wenn von allen Schrecken der Vernichtung einzig der goldene Schimmer zu den Marmorklippen emporsteigt und ferne Welten zur Lust der Augen in der Schönheit des Unterganges aufflammen, dann ist man in der Welt Ernst Jüngers. Sein 1939 erstmals erschienener Roman „Auf den Marmorklippen“, von dem noch in der Nazizeit 67.000 Exemplare verkauft wurden, ist anlässlich des 130. Geburtstag des Autors vom Südwestrundfunk (SWR) als 99-minütiger Hörspielmonolog mit Sylvester Groth inszeniert worden. Es ist ein Dreiklangs aus Thomas Manns „Die Geschichten Jaakobs“, Heiner Goebbels „Orakelmaschine“ (Kritik hier) und eben Jüngers „Marmorklippen“, mit dem sich der Dramaturg Manfred Hess in den Ruhestand verabschiedet.
Regisseur Ulrich Lampen, der auch den umfangreich instrumentierten siebenteiligen Thomas-Mann-Zyklus inszeniert hat, geht bei Jüngers Text einen anderen Weg. Einzig die Stimme von Sylvester Groth in verschiedenen Umgebungen und Sprechhaltungen und Steffen Schleiermacher am präparierten Flügel (gerne mit viel Pedal) transportieren den Text als Selbstgespräch der Hauptfigur. Das gibt dem Ganzen einige Dynamik, wenn man sich erst mal in den jüngerschen Ästhetizismus hineingehört hat. Denn: „Das Höherlegen von Erzähltem ins Abstrakte-Zeitlose-Allegorische [ist] oft eine routinierte Masche der jüngerschen Texte“, wie der SWR-Literaturchef in einem Essay, das im Anschluss an das Hörspiel gesendet wurde, anmerkt.
Das Allegorische
Zu Beginn der Handlung haben sich der Erzähler und sein Bruder in ihre Rautenklause auf den Marmorklippen zurückgezogen, um botanische Forschung zu betreiben. Zuvor haben sie im Orden der Mauretanier gekämpft. Warum? Darum: „Wie immer, wo der Zweifel sich mit Fülle paart, bekehrten wir uns zur Gewalt. Und ist nicht sie, das ewige Pendel, das die Zeiger vorwärtstreibt, sei es bei Tage, sei es in der Nacht. Also begannen wir von Macht und Übermacht zu träumen. Bei solcher Neigung war es unvermeidlich, dass Mauretanier sich uns näherten. Wir wurden durch den Capitano, der den großen Aufstand in den iberischen Provinzen erledigt hatte, eingeführt.“
Die Anspielung auf den Spanischen Bürgerkrieg ist deutlich, ebenso zahlreiche Anspielungen auf die sogenannte „Systemzeit“ der Weimarer Republik und die internen Kämpfe von SA und SS. Der Erzähler wundert sich ein wenig, dass im Orden der Mauretanier, in dessen „hellen, schattenlosen und abstraktesten aller Räume“ ein Personal herrscht, dessen Geist durch nichts mehr gebunden ist (schon gar nicht durch Moral), eine Figur wie der Oberförster auftauchen konnte. Dieser destruktive Charakter von ungeheurem Reichtum hat den Orden übernommen. Und das hat drastische Folgen.
Die Schinderhütte als erhebendes Bild
Denn so idyllisch ist das Leben in der Rautenklause auf den Marmorklippen doch nicht – auch wenn man im Hörspiel immer wieder Vogelgezwitscher hört. Während sich die Brüder immer tiefer in das Mysterium der Blumen versenken, setzen sie ihre Arbeit an der Sprache fort: „Denn wir erkannten im Wort die Zauberklinge, vor deren Strahle die Tyrannenmacht erblasst.“ Das hätte der Autor Jünger besser wissen können, der aber die Vulgarität der Nazirhetorik vollkommen ausblendet. Stattdessen begeben sich die Brüger auf die Suche nach dem „Roten Waldvögelein“, einer seltenen Pflanze, und finden sie ausgerechnet in Köppelsbleek in der Nähe einer Schinderhütte – einem Folterlager des Oberförsters mit aufgespießten Schädeln als Zeichen.
Der Erzähler beschreibt seinen Eindruck so:
„Das sind die Keller, darauf die stolzen Schlösser der Tyrannis sich erheben und über denen man die Wohlgerüche ihrer Feste sich kräuseln sieht: Stankhöhlen grauenhafter Sorte, darinnen auf alle Ewigkeit verworfenes Gelichter sich an der Schändung der Menschenwürde und Menschenfreiheit schauerlich ergötzt. Dann schweigen die Musen, und die Wahrheit beginnt zu flackern wie eine Leuchte in böser Wetterluft. […] Nur die Höchsten, die mit uns leben, dringen bis in den Sitz des Schreckens ein. Sie wissen, dass alle diese Bilder ja nur in unserem Herzen leben, und schreiten als durch vorgestellte Spiegelungen durch sie in stolze Siegestore ein.“
Doch ausgerechnet diese Passage, die den ganzen kalten Zynismus Jüngers und seines erzählerischen Alter Egos auf den Punkt bringt, fehlt in der Bearbeitung von Ulrich Lampen.
Brachialer Kitsch mit Oberförster
Das kurze Entsetzen hält die Brüder übrigens nicht davon ab, nach einer kurzen Pause an den Ort zurückkehren, um das rote Waldvögelein in ihr Fundbuch einzutragen. Aus den Händeln der Welt können sie sich doch nicht heraushalten, denn am Horizont zeigt sich ein „entflammter Mordbrandschimmer“. Zusammen mit dem Mauretanier Braquemart und dem jungen Prinzen von Summyra ziehen sie samt einer Hundemeute in den Kampf gegen den Oberförster, den sie verlieren. Die Brüder gehen ins Exil, nicht ohne ihre Hütte in Brand gesteckt zu haben. Genauer gesagt: ohne sie mit dem Spiegel Nigromontans entzündet zu haben, ohne ihre Forschungsergebnisse ins Unsichtbare, in ein „Reich jenseits der Zerstörung“ überführt zu haben.
Außerdem nehmen sie den Kopf des Prinzen von Summyra mit, den sie aufgespießt vor der Schinderhütte gefunden haben. Der Ausdruck tiefster Verklärung auf seinem Antlitz macht das Haupt zu einer Reliquie für eine neue Theologie. Das ist schon ein ziemlich brachialer Kitsch, den Jünger hier auffährt. Interessant ist die Wiederbegegnung mit dem Text, weil sich in den Details so viele Parallelen aufdrängen, auch wenn die historische Konfiguration eine andere ist. Und natürlich ist es die Figur des Autors, die die Aufmerksamkeit auf das gegenwärtige Verhalten der Intellektuellen angesichts des aufkommenden Faschismus lenkt.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 02.04.2025
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