Briefroman plus Schauspielertheater gleich Hörspiel
Briefroman plus Schauspielertheater gleich Hörspiel. Regisseur Leonhard Koppelmann hat Sathyan Rameshs „Lélé – Lesestück für Julia Jäger und Matthias Habich“ für das Radio inszeniert und bewiesen, dass schriftliche Kommunikation auch im Emoji-Zeitalter noch funktionieren kann.
Sathyan Ramesh: Lélé
HR 2 Kultur, So, 31.03.2025, 14.05 bis 15.35 Uhr
Wer schreibt im Zeitalter von Emojis, WhatsApp und Social Media überhaupt noch Briefe? Das mag sich der Drehbuchautor Sathyan Ramesh (Jahrgang 1968) gefragt haben und er hat darauf eine plausible Antwort gefunden. Es sind nämlich diejenigen, die diese Kulturtechnik noch beherrschen und diejenigen, die von elektronischer Kommunikation ausgeschlossen sind. Als „Lesestück für Julia Jäger und Matthias Habich“ hat Ramesh sein Werk „Lélé“ untertitelt und so wird es auch am Berliner Renaissance-Theater in 120 Minuten aufgeführt. Als Hörspiel dauert die Inszenierung von Leonhard Koppelmann nur 89 Minuten.
Zu Beginn hackt der 85-jährige Matthias Habich in der Rolle des Gerhard Schütter einen Brief in die Tastatur seiner elektrischen Schreibmaschine, in dem er sich für die Gestaltung des Halsbandes für seinen Hund Oskarla bedankt, das er über die Website „Mit Haftung“ einer Strafvollzugsanstalt bestellt hatte. Daraus entspinnt sich ein Briefwechsel mit Julia Jäger als Helene Goldmann, genannt Lélé, die dieses Halsband hergestellt hat. Außerdem wird noch ab und zu eine Frau Zygalski angesprochen, die die Post in und aus der Haftanstalt von Berufs wegen mitliest: „Sie haben zugenommen, Frau Zygalski, da würde ich aufpassen, in Ihrem Alter wird man die Kilos sehr schwer wieder los.“
Das Dialogische
Nun ist die Reichweite eines Briefes naturgemäß begrenzt. Mehr als ein Adressat ist selten. Der Brief selbst ist eine fixierte Form von Kommunikation, die in ihrer Materialität wie in ihrer Ausgestaltung von der gesprochenen Sprache wie von der Stimme getrennt ist. Wenn dieses Dokument nun laut gelesen wird, verwandelt es sich in etwas Akustisches, was man entweder dokumentarisch, wie im Falle historischer Briefe, oder schauspielerisch, wie im vorliegenden Fall, inszenieren kann. Dass es sich hier um fiktive Briefe handelt, die aber vom Autor für die realen Stimmen von Julia Jäger und Matthias Habich geschrieben wurden, um auf einer Bühne aufgeführt zu werden, macht es nicht einfacher, den medialen Charakter des Stückes zu definieren. Als Hörspielfassung einer Theaterinszenierung, die auf die Unmittelbarkeit der Live-Aufführung verzichtet, wird es noch eine Stufe komplizierter. Zumal am Schluss mit einem überraschenden Twist auch noch die Chronologie der Briefe über den Haufen geworfen wird.
Sathyan Ramesh, der seit 2002 etwa dreißig Film- und Fernsehdrehbücher geschrieben hat, denkt vom Dialogischen her, ohne dabei die Verzögerungen der Briefkorrespondenz zu unterschlagen, die sich von April bis Oktober erstreckt. Doch selbst die Sprunghaftigkeit mündlicher Kommunikation wird emuliert: „Anna und David. Hö?, denken Sie jetzt, fehlt da nicht eine Überleitung? Stimmt, die fehlt, es gibt keine.“ Dass Ramesh Dialoge schreiben kann, hat der schon 2005 bewiesen, als er zusammen mit Hans G. Raeth das Drehbuch für einen der ganz, ganz wenigen gelungenen deutschen Liebesfilme verfasst hat: „Mr. & Mrs Right“ mit Matthias Brandt und Maria Furtwängler in den Titelrollen.
Liebesgeschichte am Schmartphone
Natürlich ist auch „Lélé“ eine Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte mit offenem Ende zwischen einem verwitweten alten Zausel, der immerhin so auf der Höhe der Zeit ist, dass er mit seinem Smartphone umzugehen weiß, auch wenn er es immer „Schmartphone“ nennt. Auf die flache Belehrung, dass „Handy“ nur „die hilflose deutsche Verenglischung eines Begriffes war, den es im Englischen überhaupt noch nie gab“ hätte man vielleicht verzichten können. Nicht weil es das Adjektiv „handy“ im Englischen natürlich schon gab, sondern weil es etwas unangenehm öffentlich-rechtlich Didaktisches hat.
Abgesehen davon entwickelt sich der beiläufige Smalltalk über Gerhards unkastrierten Rüden Oskarla zu intimeren Gesprächen unter den Augen der Zensur. Eine Liebesgeschichte vor einem Publikum, in der von anderen, mitunter tragischen Liebesgeschichten erzählt wird. Julia Jägers Lélé spricht übrigens aus der unangenehm mumpfigen Akustik ihrer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Zell am Berg, während Gerhard Schütter („seit heute Nachmittag noch etwas schütterer“) aus dem Hamburger Stadtteil Hoheluft einen Mimen gibt, der sich an seiner selbst gewählten Rolle ein wenig berauscht und dem man gerne dabei zuhört.
Häufig wird über die Überalterung des Publikums des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gelästert, woraufhin dieser eben nicht mit einem attraktiven und anspruchsvollen Angebot reagiert. Die gerade mal wieder Grimme-Preis-gekrönte Maren Kroymann („Ist die noch gut?“) ist eine der wenigen Ausnahmen. Stattdessen wird in Funk und Fernsehen für ein vermeintlich junges Publikum eine Coming-of-Age-Geschichte nach der anderen rausgehauen. Mit „Lélé“ gibt es jetzt eine weitere Ausnahme intelligenter Unterhaltung nicht nur für die ältere Generation.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst
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