Nicht nur Worte
Milo Rau: Hate Radio
WDR 5, So 16.04.2013, 20.05 bis 21.00 Uhr
Auf der Website des WDR-Hörspielspeichers steht bei Milo Raus „Hate Radio“ der Hinweis, dass das Stück „aus Jugendschutzgründen bis zum 26. April nur bei WDR 5 in der Zeit zwischen 20.00 und 6:00 Uhr zum Download bereitsteht.“ Das wird die Kids nicht vom Herunterladen abhalten, und doch ist der Hinweis, der als Warnung zu verstehen ist, berechtigt. Denn was man in Milo Raus Reenactment einer Sendung der ruandischen Rundfunkstation RTLM (Radio-Télévision Libre des Mille Collines) zu hören bekommt, kann durchaus verstörend wirken. Ungefähr so verstörend wie der Moment, in dem man als Teenager zum ersten Mal im Fernsehen die Bilder von den Leichenbergen abgemagerter Körper in den deutschen KZs gesehen hat und mit namenlosem Entsetzen erkennen musste, dass manche dieser buchstäblich nur noch aus Haut und Kochen bestehenden Menschen noch lebten. Der Schrecken war nicht fiktional, vielmehr wurde schmerzhaft real, was der Mensch dem Menschen antut. Beim Völkermord in Ruanda wurden 1994 innerhalb von gerade einmal hundert Tagen eine Million Menschen umgebracht.
Die rund 55-minütige, rein deutschsprachige Funkversion von „Hate Radio“ (Bearbeitung und Regie: Milena Kipfmüller), eine Koproduktion von Westdeutschem Rundfunk (WDR) und Österreichischem Rundfunk (ORF), kommt als gutgelauntes Formatradio daher. Die Rollen der vier Moderatoren, die in einer Theaterfassung von überlebenden Opfern des Völkermords gespielt wurden, haben hier professionelle Radiomoderatoren übernommen: Bianca Hauda, Max von Malotki, Uwe Wassermann und Ill-Young Kim. Und sie machen ihren Job gar nicht mal schlecht. Im Verlauf der Sendung steigern sie sich gegenseitig in ihre Rollen – und in den ihnen innewohnenden Hass – hinein. Denn das Radio in seiner Form als unterhaltendes Tagesbegleitprogramm ist inhaltlich nicht festgelegt, sondern nur eine leere Hülle.
Bei RTLM wurden flache Witze unter Beimischung popkultureller Mittel zu Propaganda. Der Nirvana-Song „Rape me“, Dokument der Verzweiflung Kurt Cobains, wurde zum Soundtrack der Gewalt und statt „Flitzer-Blitzern“ wie im deutschen Formatradio wurden Verstecke der Tutsis durchgesagt – mit der Aufforderung, sie zu jagen und zu töten. Ob man sich künstlich über die Verspätungen der Deutschen Bahn oder ähnliche Nichtigkeiten aufregt oder in gleichen lockeren Ton den Hass auf eine Minderheit befeuert, macht hinter den Mikrofonen, wie man hört, kaum einen Unterscheid. Was aus den Lautsprechern herauskommt, sind aber eben „nicht nur Worte“, die da über den Sender gehen, sondern Worte, die in Aktionen umgesetzt werden. Das Radio war in Ruanda immer auch Stimme der Autorität. Gerahmt und unterbrochen wird Kipfmüllers RTLM-Inszenierung von Zeugenaussagen, die in aller notwendigen Drastik dokumentieren, dass es offenbar nicht reichte, seine Opfer zu töten, sondern dass es darum ging, sie zu erniedrigen, sie zu verstümmeln und auf möglichst elende Weise krepieren zu lassen.
Gerne zitiert Georges Ruggiu, einer der Moderatoren von RTLM, Sätze von Machiavelli und Robbespierre. Der Zweck ist immer der gleiche: die Notwendigkeit jeder Grausamkeit als alternativlos darzustellen und jede Niedrigkeit zu legitimieren. Ein besonders zynisches Beispiel ist das eines Händlers, der von einem uniformierten Militär gezwungen wird, einen falschen Schuldschein zu unterschreiben – und damit nicht nur seine Ausplünderung, sondern auch sein Todesurteil. Davon, „eine Kakerlake“ zu sein, was im RTLM-Slang für Tutsi stand, könne man sich nicht freikaufen, so kommentiert Ruggiu den Vorfall, dessen Augenzeuge er war. Parallelen zur Ausplünderung und Vernichtung der europäischen Juden drängen sich auf, auch wenn die Radiopropaganda dazu ein wenig anders klang.
Aus dem Radiofeature von Milo Rau zum gleichen Thema, „Hate Radio – ‘Radio-Télévision Libre des Mille-Collines’ und der Genozid in Ruanda“ (Deutschlandfunk/WDR, Ursendung am 27. März beim DLF), konnte man erfahren, dass dieser Georges Ruggiu, ein ehemaliger belgischer Sozialarbeiter war, der sich gerne „der weiße Hutu“ nannte und später zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Vorher war er noch zum Islam konvertiert und auch da bemühte sich „der weiße Hutu“, mehr Muslim zu sein als alle Muslime.
„Eines der wichtigsten Instrumente des Völkermords war eine Radiostation“ – das ist die These, mit der Milo Rau sein Hörspiel einleitet. Wahrscheinlich stimmt das sogar in dem Sinn, dass die von Adolf Eichmann organisierten Deportationen ein wichtiges Instrument des Völkermords der Nazis an den Juden waren. Milo Raus Hörspiel und Feature zusammen ergeben ein Bild medialer und mentaler Infrastrukturen, die den genozidalen Furor befördert haben.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 17/2013
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