Kinderfunk für Erwachsene

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk springt über jedes Stöckchen, das ihm die Politik oder die private Konkurrenz hinhalten. Warum bloß? Und warum werden eigentlich alle Programme immer mehr zum Kinderfunk? Und braucht das Radio eigentlich eine Lobby, oder sollte man den Job nicht lieber selbst erledigen. Ein Text, der für das SWR Dokublog verfasst wurde.

Kinderfunk für Erwachsene

Am 1. April 2014 hat der „Ressortleiter Salon“ des Magazins Cicero Alexander Kissler in seiner Kolumne „Kisslers Konter“ eine Lobby für das Radio gefordert. Kein Scherz. Illustriert ist die Kolumne mit dem Bild eines Philips-Radioempfängsgerätes, schätzungsweise aus den Fünfziger Jahren – mit einer gehäkelter Lautsprecherabdeckung (die wahrscheinlich aus Plastik ist), aber ohne magisches Auge. Bildredaktionen fällt zum Thema Radio immer dieses Bild ein. Das ist natürlich ein Problem der Faulheit und Phantasielosigkeit der Bildredakteure, aber leider auch eines des Radios.

Denn leider man hat sich beim Radio damit eingerichtet, unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung zu segeln. Warum? Zum einen weil es bequem ist, in Ruhe gelassen zu werden und zum anderen weil man als Teil des öffentlich-rechtlichen Systems permanent Gegenwind kriegt. Was Kissler „ein selbstverordnetes Duckmäusertum“ nennt, wird auch dadurch befördert, dass viele Medienredakteure der Printjournaille es als ihre vornehmste Aufgabe ansehen, die öffentlich-rechtlich finanzierte Konkurrenz runterzuschreiben. Dieter Anschlag, Chefredakteur des Medienfachdienstes Funkkorrespondenz (für den auch der Autor dieses Blogs schreibt) hat das in einem Gastbeitrag für das Deutschlandradio Monatsheft im November 2013 so zusammengefasst (leider nicht online verfügbar)

Die dümmlichste Simulation von Medienkritik funktioniert dabei immer nach demselben Muster: Entweder das Programm ist so flach und niveaulos, wie das der privaten Veranstalter und deswegen den Rundfunkbeitrag nicht wert, oder es handelt sich um zu anspruchsvolle Minderheitenprogramme, die eh keiner sehen will – warum sollten dann alle dafür bezahlen?

Auch im Cicero will man schon mal seine Rundfunkgebühren zurück, wenn einem etwas nicht passt und der „Das-muss-doch-billiger-gehen“-Reflex funktioniert zuverlässig. Umso erstaunlicher, dass sich Kissler gegen die „egomanen Strukturreformer und geistlosen Kostenoptimierer“ positioniert, die erst dann beim Fernsehen „bella figura“ machen können, wenn sie das Radio genug geschröpft haben. Organisationssoziologisch mag das sogar verständlich sein, denn Sparmaßnahmen werden immer an den schwächsten Teilen des Unternehmens exekutiert. Will heißen: innerhalb der ARD an den kleineren Rundfunkanstalten, innerhalb der Rundfunkanstalt an der Radiosparte und innerhalb des Radios am „teuren“ Hörspiel. Rundfunkautoren merken das an ihren Honoraren.

Der Intendant des Saarländischen Rundfunk Thomas Kleist hat sich kürzlich gefreut, dass eine Zusammenarbeit der Hörspielabteilung mit dem Deutschlandradio seiner Anstalt hilft „kostenintensive Investitionen in die Technik zu vermeiden.“ Aha, wenn man also nicht einmal mehr in die Voraussetzungen seiner Arbeit investieren will, dann fragt man sich schon wofür man seine Gebühren zahlt. Jedenfalls nicht hauptsächlich für das Programm, denn dafür werden nur 38 % des Rundfunkbeitrags ausgegeben, zitiert Die Zeit die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF).

Nun ist das Radio im Vergleich zum Fernsehen so billig, dass es innerhalb der Anstalt nicht die Rolle spielt, die es verdient hätte. Als der NDR die Minutenpreise für den Fernseh-Tatort veröffentlichte (ca. 15.000 Euro) rieb man sich erstaunt die Augen. Dafür kann man ein komplettes Hörspiel in der Standardlänge von 54:30 produzieren. Eine ach so teure Hörspielminute kostet also etwa 2 % einer Fernseh-Tatort-Minute oder anders gesagt: eine Tatort-Minute ist 50 Mal so teuer wie eine Hörspiel-Minute. Das Deutschlandradio hat den Vorteil, dass es drei Radioprogramm aber keine Fernsehsparte hat, in der man Karriere machen könnte. Trotzdem, so wähnt Kissler, werde da zur Zeit an einer „zur Programmreform aufgehübschten Wortaustreibung“ gearbeitet. Nun ja.

Kürzlich hat man beim Deutschlandradio die Digitalwelle „DRadio Wissen“ umgebaut. Warum? Weil man die falschen Hörer hatte: 80 % Männer und mit viel zu hohem Durchschnittsalter für eine Jugendwelle. Das Programm DRadio Wissen war ein in den Rundfunkstaatsvertrag gegossener Wunsch der Politik – ähnlich wie es der vieldiskutierte ARD Jugendsender im Fernsehen werden soll. Trotzdem ist es eine ganz dumme Idee ein Programm, das DRadio Wissen heißt und mit dem Claim „Hirn will Arbeit“ beworben wird, als Jugendwelle zu profilieren. Aber in Eigenwerbung war das Deutschlandradio noch nie gut. Auf den Seiten von Digitalradio.de gibt es ein paar Werbespots, die so witzfrei und uncool sind, dass sie selbst die Mitwirkung von DLF-Literaturredakteur und „Druckfrisch“-Macher Denis Scheck – anerkanntermaßen die coolste Sau des DLF – nicht retten können. Satt elektronischer Musik hört man jetzt auf DRadio Wissen, was man auch sonst so im Radio (auf Fritz oder 1Live) hören kann: Bonaparte, Kaiser Chiefs, The Hives, Maximo Park usw. usf.

Man darf sich schon fragen warum Programmverantwortliche eigentlich ein junges Programm machen wollen, wo ihnen doch die Zielgruppe altersmäßig entgegen wächst (Silke Burmester). Was bedeutet „jung“ eigentlich in den Köpfen dieser Leute? Die Jugend ist im Gegensatz zur Kindheit das Alter der Identitätsfindung. Man will sich abgrenzen, hingebungsvoll eigene Vorlieben und Ideosynkrasien pflegen und schräge Musik hören, die das Umfeld hasst. Hört man DRadio Wissen, dann wähnt man sich eher in einer Altersphase, in der man sich vergesellschaften und dazugehören will – und natürlich auch wissbegierig ist: kurz in der Kindheit. DRadio Wissen ist also kein Jugendsender sondern Kinderfunk. Ebenso wie auch viele durchformatierte Kulturprogramme Kinderfunk sind. Ist der Trend zur Nivellierung nach unten, den ich gestern beklagt habe, der Trend zum Kinderfunk in allen Programmen und zur Befriedigung angeblicher Hörererwartungen eigentlich systemimmanent? Er ist es nicht, wenn man nicht über jedes Stöckchen springen will, das einem die Politik oder die private Konkurrenz (werberelevante Zielgruppe 14-49!) hinhält. Wenn man es wirklich will, kann einen niemand daran hindern ein ebenso aufregendes wie intelligentes Programm zu machen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht verfassungsrechtlich auf so sicheren Beinen, dass er sich nur selbst zu Fall bringen kann. Und das tut er leider des Öfteren, was dem Wort „Programmreform“ seinen üblen Klang verpasst hat. Knapp 20.000 WDR-3-Hörer, die gegen die fünfte Programmreform ihrer Kulturwelle eine Petition unterzeichnet haben, wissen inzwischen, dass es auf ihren Hörerwillen nicht ankommt, sondern nur auf den von der Marktforschung der Reformer ermittelten. Eines der besten Programme, das eine Landesrundfunkanstalt in den letzten zwanzig Jahren veranstaltet hat, war die ORB-Welle Radio Brandenburg (1991-1997). Intelligente Moderatoren wie Lutz Bertram, von dem sich leider herausstellte, dass er früher bei der Stasi war, agierten in einem Programmumfeld aus sorgfältig ausgesuchter Musik, die man woanders nicht so ohne weiteres hören konnte. Reformiert wurde die Welle nie. Sie wurde gleich ganz abgeschaltet und durch Radio Eins ersetzt. Mit gewaltigem Werbeetat (Radio Brandenburg hatte man so gut wie keinen zugestanden) verbreitet man bis heute dem pubertär-trotzigen Claim „Nur für Erwachsene“ – und das ist so natürlich das glatte Gegenteil von erwachsen.

In einer neueren Kolumne fordert Alexander Kissler von den Zeitungsredakteuren allerdings genau die Orientierung an gefühlten Mehrheitsmeinungen, der sich laut Bundesverfassungsgericht der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausdrücklich nicht beugen muss. Weil der auf Krawall gebürstete Katzenkrimi-Autor Akif Pirinçci mit seinem Buch “Deutschland schafft sich ab“ „Deutschland von Sinnen“ in den Kommentarspalten der Online-Auftritte der Zeitungen so viel Zustimmung bekommt, konstatiert Kissler eine Entfremdung zwischen den Lesern und den sich als meinungsbildend verstehenden Journalisten. „So geht man nicht mit Lesern um“ meint Kissler. Als dürfte man Pirinçci und seine Klaqueure nicht als das bezeichnen, was sie sind – ressentimentgeladene Kleinbürger deren Horizont kurz vor ihrer Stirn endet. Wahrscheinlich wäre das für Auflage und Klickzahlen nicht gut und man soll ja auch nicht die Gefühle der Leser verletzen. Denn der Kolumnist mag den „zwangsironischen Nörgelton der Hyperkorrekten und Dauerbesorgten, der Schönredner und Weggucker und Besserwisser“ nicht. Vielleicht ist Alexander Kissler doch kein so guter Lobbyist für das Radio. Wenn er in seinem Magazin eine Rubrik für Radiokritik einrichten würde, wäre das vollkommen ausreichend.

Jochen Meißner

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