Kaum Reibungswiderstände
Alexandra Badea: Zersplittert
SR 2 Kulturradio, So 22.02.2015, 17.04 bis 18.19 Uhr
„Pulvérisés“ heißt der Theatertext der rumänischstämmigen französischen Autorin Alexandra Badea im Original. Er ist im Jahr 2013 mit dem „Grand Prix de Littérature Dramatique“ ausgezeichnet und vom Sender France Culture als Hörspiel produziert worden. Unter dem Titel „Zersplittert“ hat nun der Saarländische Rundfunk (SR) den Text auf Deutsch adaptiert (Übersetzung: Frank Weigand), doch dieses Wort verdeutlicht nicht mehr ganz die Radikalität, die in dem ursprünglichen Titel steckt. Denn die vier Figuren in Badeas Stück sind so aufgerieben, ja, geradezu zerrieben, dass sie kaum noch Splitter sind. Sie sind Teile einer Maschinerie, Verschleißteile, um genauer zu sein, die in die Mechanik der globalisierten Arbeitswelt eingebaut sind, einer Arbeitswelt, in der die Restbestände an Menschlichkeit abgeschliffen werden müssen, weil sie als Splitter immer noch Störfaktoren in den Verwertungsketten sein könnten.
In Shanghai funktioniert die Zurichtung einer minderjährigen Arbeiterin in einer Elektronikfabrik gewaltförmig nach frühkapitalistischem Muster unter Einbeziehung moderner Überwachungstechnik. In der senegalesischen Hauptstadt Dakar wird der Teamleiter eines Callcenters über die „Normierung der Semantik“ markttauglich gemacht. Dazu gehört unter anderem die Auslöschung der Namen seiner untergebenen Callcenter-Agents, denn französische Kunden wollen keine afrikanischen Namen am Telefon hören. Motivationssprüche gibt es gratis obendrauf: „Wenn du dich heute bei der Arbeit nicht bemühst, wirst du dich morgen bemühen, Arbeit zu finden.“
In Bukarest ist der Selbstoptimierungswahn einer Entwicklungsingenieurin schon so ins Bewusstsein gewachsen, dass sie für einen Job in der französischen Firmenzentrale ihre Kinder nur noch als zu prozessierende Probleme betrachtet. Zwischen all diesen Orten jettet ein Controller (Martin Engler) hin und her und sorgt dafür, dass die Zahlen stimmen. Die Kosten tragen aber nicht nur die anderen, sondern er muss sie auch selbst tragen – als entortete Hülle eines Menschen, ebenso auf die nicht abschaffbaren menschlichen Grundbedürfnisse reduziert wie die anderen drei Figuren.
„Zersplittert“ ist also ein Feel-Bad-Stück über das, was man früher „entfremdete Arbeit“ genannt hat, über das was inzwischen unter den Bedingungen der Ökonomisierung aller Lebensbereiche als normal gilt, wo Fremd- und Selbstausbeutung Hand in Hand gehen. Aufgeführt wurde das Stück zuerst als Live-Hörspiel, und zwar zum Auftakt des Saarbrücker Festivals „Primeurs“ am 20. November vorigen Jahres. Ein viereinhalb-minütiger Videoausschnitt davon findet sich in der SR-Mediathek. Unter der Regie von Anouschka Trocker agierten neben den Schauspielern Martin Engler, Oliver Urbanski, Bettina Kurth und Astrid Meyerfeldt die Musikerin Andrea Neumann und die Geräuschemacherin Elodie Fiat.
Das kurze Video zeigt, dass es in diesem Fall spannender ist, den Akteuren bei ihrer Arbeit, nämlich dem Verfertigen eines Hörspiels, zuzuschauen, als die vergleichsweise cleane 75-minütige Studioversion nur zu hören. Denn schon Alexandra Badeas Text ist effizient und präzise durchkonstruiert. Die Motive von der Selbst- und Fremdzurichtung ziehen sich durch alle Figuren, die Kinder als Symbol der Zukunft werden vernachlässigt oder gehen gleich ganz verloren. Trotzdem wächst die Ressource Mensch immer weiter nach: eine erneuerbare Energie – und sie ist billig.
Das alles hat man so ähnlich schon öfters gehört und gesehen. Und so wünschte man sich, dass sich in der Inszenierung dem Text ein wenig mehr Reibungswiderstand entgegengesetzt hätte – als der sprichwörtliche Günter-Eichsche Sand im Getriebe der Welt, die hier aber eine gut geölte Theatermaschinerie ist. Als die Normalität noch Entfremdung hieß, also in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, hätte sich das Ensemble vielleicht auch mit den Bedingungen der eigenen Arbeit auseinandergesetzt, hier: den Produktionsbedingungen des Hörspiels im Saarländischen Rundfunk. Aber Alexandra Badea ist eben kein René Pollesch und das Ensemble liefert ein sauberes, nicht zu beanstandendes Produkt ab.
Das Hörspiel wird übrigens von dem Leitmotiv von Pink Floyds Song „Money“ gerahmt, als hätte man nicht geahnt, dass es bei der Vernutzung von Humankapital um Geld geht. Und das geht eigentlich gar nicht, wäre nicht die Cover-Version von Andrea Neumann – die die Seiten ihres elektronisch verstärkten Innenklaviers bearbeitet – so schräg, dass man ihr gleich hinterhergoogelt. Wer sagt denn, dass das Hörspiel keinen Mehrwert erzeugen kann.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 5/2015
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