Hörspiel des Jahres 2013 – Jahresbericht der Jury
Einen guten Abend, Ihnen, sehr verehrte Frau Tiller, sehr geehrter Herr Kuner und uns übrigen allen, ich freue mich wahrhaftig sehr, dass mir die große Ehre und das Vergnügen zugefallen sind, Ihnen ein paar Worte über die Arbeit der Jury zu sagen, die mit dem Vertrauen der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und des im Jahr 2013 den Wettbewerb federführend begleitenden Mitteldeutschen Rundfunks belehnt worden ist – ferner über die Juroren selbst und schließlich über die Gründe, die zu ihrer Entscheidung für das Hörspiel des Jahres geführt haben. Einer Entscheidung übrigens, die zu keinem Zeitpunkt umstritten war, was mitnichten dem Umstand geschuldet ist, dass die Ostdeutschen, zu denen wir drei aus Leipzig, Dresden und Halle hierher kommenden Mannsbilder ja unzweifelhaft gehören, so harmoniesüchtig sind, wie man ihnen gern und vielleicht auch nicht ganz ohne Grund unterstellt.
Vielmehr ist es so, dass wir einige Male durchaus konträrer Ansicht waren, uns aber, wie sich das für faire, gerechte Juroren wohl gehört, dann doch nach von ehrenwerten Skrupeln belasteter Abwägung und nochmaligem Vortrag aller Für- und Widerworte immer in freundlichem Respekt geeinigt haben. Im Falle der „Traumrollen“ aber waren wir von mannhafter Einigkeit, von Anfang an – schon, als wir dieses Stück zum Hörspiel des Monats April kürten – wohl wissend, dass zum Ende des Jahres abgerechnet werden würde und unsere Köpfe und Herzen frei sein sollten für alles, was da noch an Schönem und Bewegendem auf uns zukommen würde. Dem ist auch so gewesen, die Ausbeute, wenn Sie diesen profanen, sehr an die Denkungsart raffgieriger Finanzkapitalisten erinnernden Ausdruck wohlwollend und ohne Pfiffe passieren lassen wollen, die Ausbeute also hat sich, aller uns weniger gelungen erscheinenden Arbeiten durchaus eingedenk, in der Summe wirklich hören lassen können.
Der Ertrag spricht beredt für die Kultur des Hörspiels und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überhaupt in Deutschland, vor allem aber für die Fantasie der Autorinnen und Autoren, Dramaturginnen und Dramaturgen, Regisseurinnen und Regisseure. Und nicht zuletzt für die hohe Kunst der Darstellerinnen und Darsteller – ich komme nicht umhin, es so geschlechterkorrekt (und zugegeben etwas länglich) auszudrücken, nicht etwaiger Auguren wegen, sondern weil es sich schlichtweg so gehört. Gleichwohl, so erfrischend und wundervoll uns viele der in den zwölf herrlichen (und herrlich anstrengenden) Monaten ausgezeichneten (und auch einige der als Zweitplatzierte leider nicht ausgezeichneten) Stücke erschienen, so fanden wir bei aller schuldigen Hochachtung für sämtliche der Bewerber unter ihnen doch keinen, der uns auch nur annähernd so verzaubert hätte wie „Traumrollen“.
Bevor dieses Hörspiel noch so gebührend gewürdigt werden soll, wie es sich in aller gebotenen Kürze denn überhaupt leisten lässt, will ich Ihnen nun einige wenige Worte über die Jury-„Täter“ sagen, denen es sämtlich, ich behaupte dies schlankweg, so geht wie mir: Gern nähmen wir diese großartige Pflicht ein weiteres und noch ein weiteres Mal auf uns! Lassen Sie es mich mit einem Genre-Bild beschreiben: Einige Male, zwischen Frühling und Herbst, sind Norbert Wehrstedt, mein lieber Feuilleton-Kollege von der Leipziger Volkszeitung, und ich in meinem braven, alten Diesel aus dem Mitteldeutschen weit in die Lausitz gesummt, um dort im zauberhaften Garten des Ehepaares Floß bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen mit dem Dresdner Schriftsteller Rolf Floß über das Gehörte zu beraten.
Es waren dies, bei aller Konzentration, wirklich köstliche Stunden, die dem Medienarbeiter, der ja angesichts rauer Zeiten in der Branche über einen Mangel an Arbeit nicht klagen kann, bisweilen erschienen sind, als sei er in ferne, deshalb so heiter erinnerte Schultage versetzt und hätte eben einen halben Tag des manchmal ungeliebten Unterrichts geschwänzt. Wie könnte man seine Zeit schöner und den Menschen wie sich selbst zugewandter verbringen als mit der Produktion – oder eben in der Betrachtung, mit dem Genießen von Kunst!
Erlauben Sie mir also, hier noch wenige Bemerkungen über einige meiner weiteren persönlichen Favoriten des Hörspiel-Jahrgangs 2013 zu machen: „Pieta Piëch“, das „Dokumentarpassionsspiel“ von Walter Filz, eine SWR 2-Produktion, hat mich mit seiner heiter-anarchischen Ernsthaftigkeit überzeugt, die MDR-Figaro-Produktion „Im Inneren des Landes“ von Dirk Brauns ging dem Ostdeutschen vielleicht besonders, aber hoffentlich nicht nur diesem ans Gemüt. Und „Stille Nacht“ von Paul Plamper (vom WDR produziert) hat den alljährlich wiederkehrenden, durchaus rührenden Wahnsinn in deutschen Wohnzimmern auf ein wunderbar komisches, menschliches Maß gebracht.
Diese und andere Hörspiele mehr haben mich (oder haben uns, wie ich meinen beiden Jury-Kollegen wohl nicht zu Unrecht unterstelle) den Atem anhalten lassen. So berührend, so unvergleichlich schön kann Radio sein, wenn es mehr will und mehr wagt als Hitparaden-Briketts im Kamin der allgemeinen, flüchtigen Lustbarkeit verglimmen zu lassen!
Bei dem Doppel-Selbstporträt aber, das uns die wunderbare Nadja Tiller und ihr kongenialer Widerpart Fritz Lichtenhahn im Verein mit dem Autor und Regisseur Jean-Claude Kuner geschenkt haben, hat tatsächlich mehr alles gestimmt – eine Aussage, die in der Wissenschaft wohl als paradox zurückgewiesen werden würde, in der Kunst indes, wenn es wirklich welche ist, darf eben dies als Kriterium der Wahrheit gelten. „Traumrollen“ ist melancholisch und komisch, tiefernst und selbstironisch – vor allem aber hinreißend charmant – eine Qualität, der man in den flotten Einweg-Zeiten von Email, Facebook und Twitter nur noch annähernd so häufig begegnet wie einem Dinosaurier.
Ein solches Zeugnis menschlicher Größe und künstlerischer Souveränität ist dieses Radio-Melodram, dass dem, der hier zu ihnen sprechen darf (und damit gleich enden wird) beim ersten Anhören wahrhaftig die Tränen gekommen sind. Und beim zweiten Hören war es immer noch groß. Vielleicht, wenn ich es auch, was Sie mir nachsehen werden, für unwahrscheinlich halte, wird es anderen anders mit diesem Werk ergehen, die Jury jedenfalls war nachhaltig bezaubert. Ich selbst empfand und empfinde „Traumrollen“ als einen Moment des Glücks. Lassen Sie uns zuhören, teilhaben, genießen – und den Urhebern wie den Produzenten dankbar sein!
Andreas Montag, Sprecher der Jury zum Hörspiel des Monats 2013.
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