Ein Kammerspiel als Kammernspiel

Bettie I. Alfred: Aus dem Hohlraum – Acht Szenen einer Ehe. Ein Kammernhörspiel

SWR 2, So 31.7.2022, 18.20 bis 19.15 Uhr

„Ein Zimmer ist kein Zimmer, sondern eine Kammer“ heißt es in Bettie I. Alfreds Hörspiel „Aus dem Hohlraum“. Aber in was für Kammern spielen sich die acht Szenen einer Ehe ab? In einer Camera obscura oder in einem abgeschlossenen Raum im Innern einer Maschine?

Das Prinzip, nach dem das Kammernhörspiel „Aus dem Hohlraum“ der Berliner Autorin Bettie I. Alfred funktioniert, war schon den alten Griechen bekannt. Dabei ist es weniger die Wortherkunft vom altgriechischen kamara, als vielmehr das optische Prinzip, nach dem ein kleines Loch in einem sonst abgeschlossenen Raum ein auf dem Kopf stehendes und seitenverkehrtes Bild der Außenwelt erzeugt.

Ein „Zimmer ist kein Zimmer, sondern eine Kammer“, lautet denn auch der Refrain in dem von der Autorin als „Schwarz-weiß-Hörspiel“ bezeichneten Stück. Eine Kammer ist aber auch ein größtenteils oder vollständig abgeschlossener Hohlraum in einer Apparatur oder Maschine. In Bettie I. Alfreds Hörspiel sind es zwei Kammern, in denen sich die acht Szenen einer Ehe abspielen, wie in einem Zweizylinder, in dem abwechselnd das Gemisch verdichtet und zur Explosion gebracht wird.

Das klingt martialischer als es ist, findet dieser Vorgang doch mehrere tausend Mal pro Minute statt. Ohne ihn würde der Zweitakter nicht funktionieren.

Das „zusammen Alleinsein“ hört man dem Stück auch überdeutlich an. Die Frau, gesprochen von der Autorin selbst, kommt wie über eine schlechte Telefonleitung vermittelt an und trifft auf die viel klarere Stimme des Mannes, der von Iffland-Ring-Träger Jens Harzer gesprochen wird, mit dem Bettie I. Alfred schon die Hörspiele „Zauderwut“ und „Scheinwut“ (die beiden letzten Teile ihrer „Wut“-Trilogie) bestritten hatte.

Die Frau, Schriftstellerin, arbeite an einem nicht enden wollenden Romanprojekt „Das Komma im Ablaichsubstrat“, und der Mann ist ein existenziell herausgeforderter Erfinder: „Ich erfinde alles neu. Natürlich bringt das wenig ein, denn es ist schon alles da.“ Die beiden leben so prekär, dass ihr Steuerberater sie ob der geringen Summen schon auslacht.

Ihre beider Kammern sind durch ein Fenster in der Wand für beide jeweils einsichtig – was aber nicht unbedingt zu einer gelungenen Kommunikation beiträgt. Denn seine Kammer wird von einer Jupiterlampe erhellt, derentwegen sie eine Dunkelbrille trägt. Sie liest gern und mag Buchstaben und Bücher, besonders „das Blicke-Buch“ von Brinkmann – gemeint ist natürlich „Rom/Blicke“ von Rolf Dieter Brinkmann, einem Autor, dessen Selbstreflexion mit dem Aufnahmegerät im „Die Wörter sind böse“ 1973 für Furore gesorgt hatte. Dem Mann liest die Frau „nicht mit Pathos – mit Liebe“ aus dem Buch vor, aber ihm ist es ganz egal, was sie ihm vorliest, so lange sie ihm etwas vorliest. Natürlich verweist das „Blicke“-Buch auf den Camera-obscura-Charakter des Hörspiels.

Der Mann hat „ein extremes Faible für Vorgänge fernab des rein Menschlichen“ und „flüchtet sich gerne in die Welt der Mechanik und ab und an auch in die eines kleinen Insekts hinein“. In seiner Figur ist die andere Bedeutung des Begriffs einer Kammer verwirklicht – jener, in der entweder mechanische Arbeit verrichtet wird oder die bewusstlose Arbeit eines Insekts. Natürlich sind beide Begriffe in Bettie I. Alfreds „Kammern“-Hörspiel, das zwar auch ein Kammerspiel ist, aber nicht zufällig mit dem geringstmöglichen Plural operiert, nicht wirklich miteinander kompatibel – und erstaunlicherweise funktionieren sie doch.

Entstanden ist das Hörspiel übrigens im sogenannten Balkonstudio der Autorin – das natürlich weder ein richtiges Studio ist, noch über einen Balkon verfügt, sondern eine dritte Kammer ist – eine akustische Camera obscura. Jener leere Hohlraum also, den es braucht, um Bilder erzeugen zu können. In diesem Fall die etwas melancholischen Schwarz-weiß-Bilder einer Ehe.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 04.08.2022

 

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