Das Phantastische und das Serielle

Der Hörspielwettbewerb beim Prix Europa 2014 in Berlin

Die Seele ist, wenn man dem Schweizer Autor Gion Mathias Cavelty glauben mag, alles andere als ein erhebender Anblick: „Am ehesten könnte man sie als ein Art Qualle mit einem Rüsselchen und einem primitiven Motörchen bezeichnen.“ Nach Ion Andrei Puican war Gregor Samsa ein ziemlich erfolgloser Vertreter der Insektenvernichtungsmittelfirma KFK. Und ein Dostojewski-Übersetzer bei David Zane Mairowitz ist plötzlich um einiges schwerer, weil seine tote Mutter – einem Dybuk gleich – in den Körper ihres Sohnes gefahren ist, um wenigstens posthum ihren Sehnsuchtsort Moskau zu erreichen. Drei Stücke sind hier angerissen, drei Stücke mit einem gewissen Hang zur Phantastik, und sie waren es, die in der Hörspielsparte des diesjährigen Prix-Europa-Wettbewerbs (19. bis 24. Oktober in Berlin) aus den üblichen Sendeplatzfüllern herausragten. Ion Andrei Puican hat für den rumänischen Rundfunk unter dem Titel „Metamorfoza“ eine sehr eigene Fassung von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ produziert. Gregor Samsa wird nicht nur von seiner Freundin Felice, hier Sekretärin des KFK-Chefs Max Brod, abserviert, sondern er verliert auch noch seinen Job und kann sich nur mit der Schneewittchen- und Arbeiterhymne „Sonne“ von der Band Rammstein trösten.

Gott hat ein Loch

Ebenfalls mit Mitteln einer eher klassischen Phantastik arbeitete David Zane Mairowitz in seinem Hörspiel „Nach Moskau!“ Der Dostojewski-Übersetzer Detlev Zacharias Manteuffel, der mit Mairowitz nicht nur die Initialen teilt, fährt nach Moskau, um eine Touristenführerin zu heiraten. Doch seine verstorbene Mutter, eine alte Salonkommunistin, wähnt ihre Chance, als Geist im Körper ihres Sohnes endlich das Paradies der Arbeiterklasse zu erreichen. Zu dumm nur, dass die Sowjetunion seit zwanzig Jahren Geschichte ist und es ihrem Sohn so gar nicht gefällt, dass sie seine Lunge mit dem Rauch übelster russischer Zigaretten verpestet und alte Grammophonplatten mit bolschewistischen Liedern abspielt. Mairowitz, der einzige wahrhaft globale Hörspielautor, hat diesmal sein Hörspiel für den russischen Rundfunk inszeniert.

In Gion Mathias Caveltys Hörspiel „Die Andouillette“ erstickt die Hauptfigur schon in der ersten Szene an der titelgebenden Wurst aus Schweineinnereien und findet sich im Himmel wieder. Dort nimmt sie an einer Expedition in die unbekannten Regionen Gottes teil, stellt fest, dass Gott ein Loch hat, stürzt durch dieses auf die Erde zurück und zieht unfreiwillig mit den höllischen Heerscharen, die allesamt aus ekelhaften Andouilleten bestehen, in den Krieg gegen Gott. Die actionreiche Produktion des (Deutsch-) Schweizer Rundfunks wurde liebevoll von dem Komponisten Martin Bezzola inszeniert.

Den Prix Europa hat jedoch keine der drei Produktionen bekommen. „Nach Moskau!“ landete immerhin auf dem zweiten Platz. Bestes europäisches Hörspiel des Jahres war aber nach Meinung der aus Autoren, Produzenten und Redakteuren sich zusammensetzenden Jury die freie britische Produktion „Everything, Nothing, Harvey Keitel“ von Pejk Malinovski. In dem Stück findet sich die Hauptfigur in einem Meditationskurs neben einem älteren Herrn mit einem roten Kopftuch wieder, den sie als den US-amerikanischen Schauspieler Harvey Keitel erkennt, was die Konzentration auf den eigenen Atem nicht eben leichter macht. Im Wechsel von schön gestalteten akustischen Atmosphären und Filmausschnitten mit Keitel erinnere dieses Hörspiel daran, dass das Radio im besten Fall ein Medium der Intimität sei, meinte die Jury in ihrer Begründung für die Auszeichnung.

Pointierte Politserien

Der Preis für Serien und Mehrteiler, der in der Hörspielkategorie des Prix Europa seit 2008 vergeben wird, ging diesmal an den französischen Fünfteiler „57, rue de Varenne“ von François Pérache. Die Politserie um einen fiktiven Ministerpräsidenten setzt ein, als dessen Gesundheitsminister gerade in Afrika verschollen ist, während sich über dem Finanzminister ein Skandal wegen dessen Dienstwohnung zusammenbraut. Die Komik der Figuren entwickelt sich aus den pointierten Dialogen heraus, ohne kabarettistische Eindeutigkeiten zu bemühen. Außerdem sollen die Charaktere so genau gezeichnet sein, dass französische Hörer durchaus erkennen können, wer hier gemeint ist. Die Dramaturgie der einzelnen halbstündigen Episoden in Echtzeit (Regie: Cedric Aussir) trägt viel zu der authentischen Anmutung der Serie bei. Im Übrigen weiß François Pérache, wovon er redet. Er hat Jahre lang im Nahfeld der Macht gearbeitet, unter anderem als Medienanalyst für verschiedene Ministerpräsidenten, bevor er sich dem Schauspiel zugewandt hat.

„57, rue de Varenne“ war nicht die einzige Politserie im Wettbewerb. Aus Schweden kam „Ditt Parti“ („Deine Partei“), eine Hörspielserie, die im Wochenrhythmus im Vorfeld der diesjährigen schwedischen Wahlen ausgestrahlt worden war und den Kampf einer kleinen Partei um den Wiedereinzug ins Parlament thematisierte. Die Autoren konnten so fast tagesaktuell auf die politischen Ereignisse in der echten Welt reagieren. Aus Norwegen war die Serie „Foxtrott“ dabei, in der es um einen Journalisten geht, der in den 1980er Jahren für die Sowjetunion spioniert haben sollte und zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Dass nun auch für das Radio anspruchsvolle Serien produziert werden, liegt nicht zuletzt an dem Boom entsprechender Formate im Fernsehen. Mitverantwortlich für diesen Boom ist der dänische Fernsehproduzent Ingolf Gabold, der unter anderen hinter so großartigen Serien wie „Borgen“ oder „The Killing“ stand und der deshalb in diesem Jahr in Berlin den Prix Europa für sein Lebenswerk bekam.

Stefan Weigl. Bild: Prix Europa

Stefan Weigl. Bild: Prix Europa

Deutsche Produktionen sind beim Prix Europa 2014 übrigens leer ausgegangen, und zwar nicht nur in der Hörspiel-, sondern auch in allen anderen Radio-, Fernseh- oder Online-Kategorien. Bis auf ein Ausnahme: Der Hörspielautor Stefan Weigl, der für sein Stück „Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen“ (WDR) mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet worden war (vgl. FK 14/05), bekam den Prix Genève-Europe für sein erstes Filmdrehbuch, und zwar für „Die Zeit der Kannibalen“, ein dialogstarkes Kammerspiel aus der Unternehmensberaterbranche. Und in den Genen diese Films liegt noch ein wenig mehr Hörspiel, denn der Regisseur war Johannes Naber, der Sohn des langjährigen Südwestfunk-Hörspielchefs Hermann Naber.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 46/2014

Preisträger und Jurybegründungen in dern Radiokategorien gibt es hier.

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