Das 14. Berliner Hörspielfestival – Am Limit und darüber hinaus

Das 14. Berliner Hörspielfestival der freien Szene stand unter dem Motto „Am Limit“. Das bislang drei- bis viertägige Festival wurde in diesem Jahr auf einen Tag komprimiert. Dabei ging es auch um die limitierenden Bedingungen der Hörspielproduktion im öffentlich-rechtlichen System.

Tilmann Böhnke, Alexander Scharf, Dana Herfuth. Bild: Filippo Szymczak.

Tilmann Böhnke, Alexander Scharf, Dana Herfurth, Robert Schoen. Bild: Filippo Szymczak.

Mit der Verleihung der „brennenden Mikros“ ging am 16. September in der Akademie der Künste das 14. Berliner Hörspielfestival zu Ende. Der Publikumspreis „Das kurze brennende Mikro“ für Stücke mit einer Länge von 5 bis 20 Minuten ging an die Bestatter-Satire „Am Ende wird alles gut und wenn es nicht gut ist, dann ist es trotzdem das Ende“ von Susann Altmann. Der Publikumspreis „Der Mikroflitzer“ für Stücke bis zu 60 Sekunden Länge, die in diesem Jahr die Frage „Wo brennt’s denn?“ sowie das Geräusch zerplatzender Soundblasen enthalten mussten, ging an die Miniatur „Zorn der Göttin“ aus dem Tonstudio von Tilman Böhnke und Alexander Scharf.

Der Förderpreis „Das zündende Mikro“, der vom Förderverein des Berliner Hörspielfestival ausgelobt wird, ging ebenfalls an Tilman Böhnke und Alexander Scharf, die auch den Text von Susann Altmann inszeniert hatten. Der Förderpreis bietet die Möglichkeit, im renommierten Studio für elektroakustische Musik der Akademie der Künste ein neues Stück zu produzieren, das beim nächsten Festival außer Konkurrenz uraufgeführt wird.

Hörspiel – oder soll man es lassen?

Inwieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch Produzent für ästhetisch anspruchsvolle Hörspiele sein wird, war Thema einer Podiumsdiskussion zum Thema „Hörspiel – oder soll man es lassen?“, die vom Autor dieses Beitrags moderiert wurde. Walter Filz, Leiter der Abteilung „Künstlerisches Wort“ beim Südwestrundfunk (SWR), führte aus, dass man sich gegenwärtig in einer Übergangsphase befinde, in der man gerade durch Sondermittel für Projekte im Unterhaltungsformat – vulgo Podcastserien – sogar mehr Geld für das Hörspiel ausgeben könne. Damit sei es aber spätestens 2025 vorbei, wenn die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) eine Beitragserhöhung verweigern sollte.

Über das grundlegende Problem der Vergütung von Hörspielen wird gerade zwischen der ARD und den Berufsverbänden verhandelt. Diese hing bisher von der jeweiligen Landesrundfunkanstalt ab, dazu kamen die Wiederholungshomorare bei der Übernahme durch andere Sender. Doch die gibt es seit der Onlinestellung fast nicht mehr, was die Mischkalkulation der Autorinnen und Autoren nachhaltig beeinträchtigt. Denn für die Onlinestellung gibt es einen Zuschlag von lediglich 4,5 Prozent des Honorars. In der Regel dürfen dafür die Stücke ein Jahr online stehen – beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) wird hingegen seit neuestem als „Verfallsdatum“ der 30.12.2099 eingetragen – und das nicht nur für Neuproduktionen.

Geld fließt statt in In-House-Produktionen inzwischen auch gerne an externe Produktionsfirmen. So produziert die vom ehemaligen Programmdirektor des Deutschlandradios Andreas-Peter Weber gegründete Firma Audiowunder die Comedy-Soap „Lost in Neulich – kein Dorf für Anfänger“ für Radio Bremen. Billig ist das natürlich nicht. Kommentar von Walter Filz: „Ich bin so froh, hier nicht für Radio Bremen sprechen zu müssen.“

In der ARD hat sich nun auch bis in die oberen Etagen herumgesprochen, dass die Hörspielredaktionen der Sender schon seit mehreren Jahrzehnten keinen Theaterbetrieb mehr simulieren, der neun Inszenierungen desselben Stücks produziert. Daher wurde die ursprüngliche Idee, hier analog zu den Themen Gesundheit, Klima und Verbraucher ein „Kompetenzzentrum“ unter Federführung einer ARD-Anstalt auch fürs Hörspiel zu schaffen, fallengelassen. Nun soll es eine „virtuelle Gemeinschaftsredaktion“ geben, so dass jede Hörspielredaktion in ihren Studios (so vorhanden) weiter Hörspiele produzieren darf.

Holger Schulze, Leiter des Sound Studies Lab an der Universität Kopenhagen, ergänzte die internationale Perspektive. Denn in Dänemark hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor etwa zehn Jahren sämtliche Sendeplätze für Klangkunst, Medienkunst, Hörspiel gestrichen. Das habe dazu geführt, dass die freie Szene sich andere „Sendegefäße“ suchen musste. Die nationale Kulturförderung sei zwar mit neuen Förderprogrammen eingesprungen – was aber einer Prekarisierung der Verhältnisse für die Macher nicht verhindert habe. Von außen betrachte solle man die einzigartige Radiokulturlandschaft nicht leichtfertig wegstreichen. Das werde im Ausland als „tragisch“ und als eine „Verscherbelung des Tafelsilbers“ wahrgenommen.

Der Hörspielmacher und Komponist Björn SC Deigner wies darauf hin, dass die zunehmende „Metrisierung“ und das „Monitoring“, also die Nutzungsmessung bei Kulturprodukten, implizit kunstfeindlich sei. So würden auch experimentelle Formen dem Diktat einer „Mehrheitsfähigkeit“ unterzogen. Nun veröffentlicht die ARD-Audiothek keine Zahlen. Wie man aber hört, entfallen auf die sechs Prozent, die das Hörspiel in diesem Angebot ausmacht, etwa 30 Prozent der Hörzeit. Deigner empfahl in der gegenwärtigen Umbruchphase eine Selbstorganisation der freien Szene, und die Schaffung eigener Plattformen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Kulturverpflichtung immer weniger nachkomme.

Keine „Wurfsendungen“ mehr ab 2024

Was bisher als Gerücht durch die Szene geisterte, nämlich die Abschaffung der maximal 45 Sekunden langen Mini-Hörspiele, die als „Wurfsendungen“ zufällig im Dreierpack ins Tagesprogramm von Deutschlandfunk Kultur gestreut werden, bestätigte der Ressortleiter Hörspiel Marcus Gammel. Man wolle die begrenzten Mittel einsetzen, um andere Formate zu entwickeln. Die „Wurfsendungen“ seien ein lineares Format, das online weiniger funktioniere.

GlasBlasSing: Happy Hour. Bild: Anke Beims.

GlasBlasSing. Bild: Anke Beims.

Neben den Wettbewerben wurden beim 14. Berliner Hörspielfestival in diesem Jahr auch die Ergebnisse eines Hörspielworkshops für blinde und sehbehinderte Menschen vorgestellt und Audiowalks der Theater- und Performancegruppe Rimini Protokoll („The Walks“) konnten absolvieren werden. Werke von Christian Collets „Kassationskunst“ wurden ausgestellt, der mit den materiellen Tonträgern arbeitet, die im Zuge der Digitalisierung zunehmend vernichtet werden. In einem Livekonzert überprüfte das Berliner GlasBlasSing-Ensemble Produkte des Flüssigkeitenaufbewahrungsfachhandels auf ihre klangliche Wiederverwertbarkeit („Liedgut auf Leergut“).

Das Festival wurde auf dem Digitalkanal „Dokumente und Debatten“ des Deutschlandradios via DAB+ übertragen. Der Livestream ist weiterhin auf der Website des Festivals abrufba

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 21.09.2023

 

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