Beschimpfungen und Reinkultur

Fabrice Melquiot: Days of Nothing

MDR Kultur, Montag, 25.09.2023, 22.00 bis 23.10 Uhr

Sein Gegenüber mit Vulgaritäten einzudecken, um mit ihm Freundschaft zu schließen, gelingt nicht immer. In Fabrice Melquiots Hörspiel „Days of Nothing“ funktioniert das zwischen dem 15-jährigen Maximilien und dem 45-jährigen Schriftsteller Rémi für kurze Zeit. Bis sich Max umbringt.

In der Regel ist es keine so erfolgversprechende Kommunikationsstrategie, um Freundschaften zu schließen, wenn man sein Gegenüber erst mal als „Stück Scheiße“ und „fette Schwuchtel“ beschimpft. Mildernde Umstände gibt es allenfalls, wenn man ein 15-jähriger Teenager ist und das Gegenüber ein 45-jähriger Schriftsteller, der eine Schreibresidenz an einem französischen Collège absolviert, das nichts anderes als eine heruntergekommene Vorstadtschule ist. Eine Woche pro Monat muss er vor Ort sein, sechs Monate lange für 1.500 Euro pro Monat. Soviel zur glamourösen Schriftstellerexistenz.

Felix Goeser, Adrian ButDoch bevor die Geschichte von Maximilien, dem rüpelhaften Teenie, und dem Schriftsteller Rémi Brossard in Rückblende erzählt wird, ist Maximilien schon drei Wochen tot. Er hat sich aufgehängt. Warum, bleibt offen. Die Exposition des 70-minütigen Hörspiels „Days of Nothing“ nach dem gleichnamigen Theaterstück des französischen Dramatikers Fabrice Melquiot (Regie: Steffen Moratz) schleudert einen von einem Ende der Gefühlsskala zum anderen. Das liegt nicht zuletzt an Adrian But, der sich als Rapper AdyB nennt und als Maximilien hörbar Spaß hat, dem Schriftsteller seine Vulgaritäten entgegenzuschleudern: „Sie stinken nach fettem Teddybär, der keine Krallen mehr hat.“

Hier wird nicht die feine Klinge benutzt, sondern das Hackebeil, um den Gegner herauszufordern, seine Deckung fallen zu lassen. Denn blöd ist Maximilien nicht, auch wenn er Rémi mit Victor Hugo, dem Fußballer, vergleicht oder Cosette und Quasimodo als Romanfiguren von Michel Platini identifiziert. Natürlich weiß er es besser, und wenn er dem Schriftsteller vorwirft: „Schmeiß in deinen Büchern ein bisschen weniger mit Adverben [sic] rum, sonst wiegen die bestimmt Tonnen“, dann merkt man, dass man es mit einem Leser zu tun hat.

Von Maximilien fängt sich Rémi Brossard, zugleich genervt und resigniert gespielt von Felix Goeser, noch andere Rügen ein, wenn er dessen Pöbeleien mit gleicher Münze heimzahlen will: „Sie sind Schriftsteller, Sie dürfen nicht so reden. […] Bei mir sind das meine Wörter. Nehm ich Ihnen vielleicht Ihre Wörter weg? Nein. Ich lasse Sie hübsch in Frieden mit Ihren Adverben und Ihren komplizierten Sätzen.“ Lediglich die Schulbibliothekarin Valérie Filinges (Gisa Flake) bewundert den Mann des Wortes, ist für das Hörspiel aber eine eher Nebenfigur.

Der Roman, den Rémi schreiben will, soll vom Nichts handeln. Es soll um die Sprache in Reinkultur gehen, die Sprache als Gegenwelt zur Wirklichkeit, als heimliche Ekstase. Doch jetzt findet sich Rémi in einer Welt à la „Club der toten Dichter“ vor, die im zuwider ist, und dieser Max ist fast wegen nichts gestorben. Was ihm übrig bleibt, ist die Geschichte von Maximilien und Alix zu schreiben. Alix mit x, nicht Alice mit c. Die 14-jährige (Maleika Dörschmann) war Maximiliens Freundin, und sie probiert Rémi ebenso zu provozieren wie zuvor Max, beispielsweise indem sie sich probeweise eine jüdische Identität gibt. Es soll nicht die einzige bleiben.

„Nichts. Was im Leben wichtig ist“, lautet der Titel eines Romans von Janne Teller aus dem Jahr 2010, das von Leonhard Koppelmann als Hörspiel inszeniert wurde. Dort versuchen Siebtklässler gegen das Nichts einen Berg der Bedeutung aufzurichten und diesen mit persönlichen Opfern aufzuladen. In Fabrice Melquiots Stück gibt es weder für Maximilien noch für Rémi außersprachliche Bedeutungen. Nur das Max daraus die letale Konsequenz zieht. Er schreibt auf die Innenseite des Einbands von Brossards Roman: „Sie haben Recht, Rémi, da ist nichts.“

Der Titel von Melquiots Stück „Days of Nothing“ stammt von einer grungigen Downtempo-Nummer der amerikanischen Band Chokebore aus den 1990er Jahren, die in der Hörspielmusik von Ralf Haarmann kurz anzitiert wird, ebenso wie ein Song von AdyB. Doch es ist nicht nur das untergründig Depressive, dass das Stück durchzieht, es sind auch Identitätskonstruktionen, die man testet und bei Bedarf wieder verwirft. So ist denn auch Alix nicht die, die sie zu sein scheint, was am Schluss des Hörspiels zu einer eher verunglückten Pointe führt. Da hätte man gerne mehr von Adrian But gehört, der als Maximilien dazu sicher eine dezidierte Meinung geäußert hätte.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 21.09.2023

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