Bildbeschreibungen

Kathrin Röggla: Bauernkriegspanorama

HR 2 Kultur, Sa 28.11.2020, 23.00 bis 23.50 Uhr

14 mal 123 Meter misst das Bild „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, das sogenannte Bauernkriegspanorama, das der Maler Werner Tübke von 1976 bis 1987 im Auftrag des DDR-Kulturministeriums und also im Staatsauftrag für ein eigens geschaffenes Museum in der thüringischen Stadt Bad Frankenhausen gemalt hat. Ein allegorisches Monumentalgemälde des Scheiterns einer Revolution, der am 15. Mai 1525 in der Schlacht bei Frankenhausen der Garaus gemacht wurde.

„Es bräuchte ein neues ‘Bauernkriegspanorama’, heißt es jetzt immer wieder angesichts der Wahldebakel im Osten, eine für die Rettung frühbürgerlicher Revolutionen geeignete Bildkomposition, die etwas von den damaligen utopischen Kräften bewahrt, indem sie die Betrachter im Kreis gehen lässt wie damals in der späten DDR in Bad Frankenhausen, als der Abgesang auf die staatlich festgefrorene Revolution noch nicht so laut zu vernehmen war.“

Es ist ein monumentaler Satz, mit dem die Schriftstellerin und Hörspielautorin Kathrin Röggla ihren 14-seitigen essayistischen Text beginnt, der mit dem „Wortmeldungen“-Literaturpreis für kritische Kurztexte ausgezeichnet wurde (Preisverleihung). Der Preis wird seit 2018 jährlich von der Crespo-Foundation ausgelobt und wurde von der 2019 verstorbenen Fotografin Ulrike Crespo, eine der Erbinnen des Wella-Konzerns, ins Leben gerufen. Der Preis ist mit 35.000 Euro großzügig dotiert.

Rögglas „Bauernkriegspanorama“ (nachhören) zeigt, wie die Schrift bzw. die Literatur und das Hörspiel als bildverarbeitende Maschinen funktionieren. Zunächst ist ihr Text eine „Bildbeschreibung“ im Sinne Heiner Müllers. Mit dessen gleichnamigem Prosatext aus dem Jahr 1984 hat sich Kathrin Röggla seit 30 Jahren beschäftigt, wie sie in einem Interview verraten hat. Müllers „Bildbeschreibung“ schaffte es 1988 als Hörspiel sogar in den Rundfunk der DDR: Achim Scholz hatte das Stück mit Musik der Gruppe ‘Einstürzende Neubauten’ aus West(!)-Berlin und der Stimme von David Bennent inszeniert.

Während Müllers Text ohne konkrete Bildvorlage auskam, so hat sich Kathrin Röggla in die Rotunde des Bad Frankenhauser Museumsgebäudes begeben, in dem Werner Tübkes Panorama mit einem Durchmesser von 40 Metern in die Höhe ragt. Doch Tübkes Gemälde ist nicht die einzige bildnerische Referenz, die sich auf die Theatrum-mundi-Malerei des Barock und der Renaissance bezieht. Auch Hieronymus Bosch, den Tübke selbst auch zitiert, kommt in Rögglas Text vor. Auf Twitter, der 280-Zeichen-Text-Plattform, die immer bildlastiger wird, postet ein Account namens „@BoschBot“ alle paar Stunden Ausschnitte aus Boschs Triptychon „Der Garten der Lüste“. Die fragmentierte Bildwahrnehmung im Netz und eine ‘holistische’ Bildwahrnehmung inmitten eines Panoramagemäldes schließen sich nicht aus. Denn das Publikum in Rögglas Text sucht auf dem Gemälde nach einem QR-Code, der zu einer „das Bild aufschließenden App führen würde, doch sie finden ihn nicht. Sie erwarten das Interaktive in einer Lethargie, die mir klarmacht, dass die Sache mit dem Körper sich erledigt hat“, so die Autorin.

Rögglas Text ist radikal gegenwartsanalytisch und erzählt dabei von einer Welt, deren Zukunft bereits vergangen ist – ähnlich wie Tübke von einer DDR, deren utopisches Potenzial längst verloren war. Als das Museum mit dem Bauernkriegspanorama im September 1989 für das Publikum geöffnet wurde, dauerte es noch zwei Monate bis zur Implosion des Arbeiter- und Bauernstaates. „Die Handlung ist beliebig, da die Folgen Vergangenheit sind. Fixpunkte einer Erinnerung in einer abgestorbenen dramatischen Struktur“, schrieb Heiner Müller quasi als Regieanweisung zur Inszenierung seiner „Bildbeschreibung“. Sätze, die man in die Fassade des Bad Frankenhauser Museums hätte meißeln, aber auch der im Auftrag des Hessischen Rundfunks (HR) entstandenen Hörspielfassung von Kathrin Rögglas Text hätte voranstellen können.

Leopold von Verschuer, Lebensgefährte von Kathrin Röggla und häufig Regisseur ihrer Hörspiele, hat den „Bauernkriegspanorama“-Text auf drei Figuren aufgeteilt und neben Liese Lyon und Severin von Hoensbroech auch selbst eine der Sprechrollen übernommen. Franz Hackl an der Trompete erinnert mit Fanfarenstößen an die historische Grundierung des Textes. Schnipsel aus manchmal arg naheliegenden Musikstücken von Carl Orff bis Heavy Metall ergänzen punktuell das rund 50-minütige Sprechstück. Eher misslungen ist jedoch der Einsatz des an einer Stelle umformulierten Chansons „Göttingen“ der französischen Sängerin Barbara: „Gewiss, dort gibt’s kein Fremdgeschäme / Und auch nicht Hass und bittre Häme / Doch gäb‘s viel, was zu sagen bliebe / Von Göttingen, von Göttingen“. Dies ist eine der wenigen Stellen, die nicht in Rögglas Prosatext stehen und die belegt, dass chorisches Sprechen oder Singen im Hörspiel nicht zwingend gute Ideen sein müssen.

Kathrin Röggla stand für ihren Text vor dem gleichen Problem wie Michael Lentz in seinem Stück „Hörspiel Hölle“ (Kritik hier), das auf Hieronymus Boschs Weltgerichts-Triptychon reagierte. Es geht darum, die ebenso handlungs- wie figurenreiche, aber dennoch in der zyklischen Abgeschlossenheit eines Panoramabildes stillgestellte Szenerie in die Dynamik eines linearen Textes zu transponieren und es zugleich zu vergegenwärtigen. Dazu dienen unter anderem die Techniken der Überblendung und Filterung, also ein doppeltes Sehen auf das Bild und durch das Bild hindurch auf unsere Gegenwart. Hinzu kommt bei Röggla noch die Einbeziehung bildfremder Betrachter, die das Gemälde schlechtestenfalls gelangweilt konsumieren und sich mit ihren Handys ein eigenes Bild machen – gerne als Selfie, während „die sogenannte gesellschaftliche Mitte“ nicht mehr so gerne Zentrum eines „Pan-o-ramas“ sein möchte.

Spöttische Betrachtungen des eigenen Milieus, die sich wieder vertiefende Spaltung zwischen Stadt und Land, ein Zeitregime, das im Millisekundentakt der Börsengeschäfte das menschliche Verständnis von Kausalität unterminiert – Kathrin Rögglas anspielungsreicher Text ist nicht spekulativ, sondern immer konkret. Ebenso wie man mit der Lebenserfahrung eines DDR-Bürgers 1989 konkrete Referenzen und Rahmungen in Tübkes Panorama entdeckt, die weit über den Gegenstand des Bildes hinausgehen, begegnet man in Kathrin Rögglas Text bundesrepublikanischen Referenzen – beispielsweise einem so absurden Vorfall wie dem, als die Polizei ernsthaft eine Hellseherin zur Aufklärung rechtsextremistischer Mordanschläge heranzog. So geschehen bei den Morden jener Terrorgruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte.

„Wo stehe ich eigentlich?“, fragt sich ein Ich inmitten des Textes und gibt sich eine Antwort: „Halb drinnen, halb draußen, jenseits der Abgründe zwischen Bildkomposition und Interpretation mit Sicherheit.“ Kathrin Rögglas Text ist nicht die Geschichte einer Dolmetscherin, „die an entscheidender Stelle die Dinge falsch übersetzt hat und so alles zum Guten wendet“, wie es im Hörspiel heißt, aber es ist auch kein dystopischer Text im Vorschein der Klimakatastrophe.

Es ist ein Text und ein Hörspiel, das die Gegenwart auf einen Punkt bringt, der von den Zumutungen der Welt umringt wird. Als Preisträgerin des „Wortmeldungen“-Literaturpreises war Kathrin Röggla aufgefordert den Teilnehmern des „Wortmeldungen“-Förderpreises eine Aufgabe zu stellen. Ihre lautete: „Die Geschichte läuft wieder, nur eben rückwärts. Wie erobert ihr euch die Zukunft zurück?“ Auch ihr eigener Text lässt sich als Antwort auf diese Frage verstehen und diese Antwort ist beeindruckend. Als Hörspiel – und diese Produktion zählt zu den besten des Jahres – entwickelt der Text noch eine zusätzliche Wucht und bildet den krisenhaften Zustand der Welt im Jahr 2020 am besten ab.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 25/2020

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