Betreutes Hören
Die 11. ARD-Hörspieltage 2014:
3D-Audio, Tango-Phrasen und ein Erfolg für den WDR
Eigentlich war alles so wie immer. Nach dem zehnten Geburtstag der ARD-Hörspieltage im vorigen Jahr, zu dem sich die Veranstalter ein international besetztes Symposium „Choreography of Sound“ gegönnt hatten (vgl. FK 46/13), verlief die elfte Ausgabe des größten deutschen Hörspielfestivals, die vom 5. bis 9. November im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) stattfand, wieder in ruhigeren Bahnen. Wie gewöhnlich mit dem grafisch missglückten Logo, das auf blauem Grund ein – von der Nicht-Ästhetik der 1970er Jahre geprägtes – oranges Gesicht mit zwei ungleich großen Ohren darstellen soll. Mehr Gestrigkeit kann nur noch das Foto eines 50er-Jahre-Radios mit magischem Auge symbolisieren.
Vielleicht sollte man sich darauf besinnen, dass das Radio seit Anbeginn ein Medium der Innovation war und das Hörspiel dessen Motor. Gegenwärtig bemüht sich das Hörspiel gerade, über das Radio hinaus zu gehen. Mit dem Hörgame „Blowback“ realisiert derzeit Elisabeth Putz für das Deutschlandradio Kultur ein interaktives Projekt für Radio und Smartphone, in dem man sich mittels kopfbezogener Stereophonie durch die Sounds der Handlung navigieren muss. EinBlog dazu gibt es schon (). Der WDR wird unter dem Titel „39“ ein zweiteiliges Hörspiel und ein spielbares Hörgame herausbringen; auch das in „3D-Audio“, wie man die binaurale Technik heutzutage nennt. Beide Projekte wurden im Rahmenprogramm der ARD-Hörspieltage präsentiert.
Räumliche Sounds konnte man auch in der sogenannten Klangdom-Installation im Kubus des ZKM erleben. In eine Neuabmischung für 43 Lautsprecher und 4 Subwoofer war das Hörspiel „The Moon Tapes“ (vgl. FK 24/14) von Stephan Krass und Ulrike Haage zu hören und man wähnte sich ganz real innerhalb der Hohlwelt, auf die in dem Stück angespielt wird.
Doch auch das gute alte live aufgeführte Hörspiel, im letzten Jahr mit Bastian Pastewkas Durbridge-Krimi „Paul Temple und der Fall Gregory“ gestartet, wurde wieder aufgenommen. Diesmal mit einer improvisierten „Mutter und Sohn“-Geschichte von Jan-Georg Schütte mit Hildegard Schmahl, die aus dem Generationenkonflikt zwischen einer rebellischen Mutter und ihrem Yuppie-Sohn komische Funken schlagen konnte.
Deren Kernbestandteil ist der Wettbewerb um den mit 5000 Euro dotierten Deutschen Hörspielpreis der ARD und den per Abstimmung im Netz ermittelten ARD Online Award (Dotierung: 2500 Euro). Unter dem Vorsitz des „FAZ“-Redakteur Jochen Hieber diskutierten die BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz, die Schauspielerin Martina Gedeck sowie Frank Olbert, stellvertretender Kulturchef des „Kölner Stadtanzeiger“ und Jan Linders, Schauspieldirektor des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, die zehn von den ARD-Landesrundfunkanstalten und dem Deutschlandradio eingereichten Hörspiele. Die fünfköpfige Fachjury ging dabei sehr vorsichtig zuwege. Der Satz „Die Einwände, die ich nicht habe, bleiben stumm“, mit dem Jochen Hieber eine Diskussionsrunde schloss, war symptomatisch. Jurorin Martina Gedeck hatte schon früh in einem Interview angekündigt, nicht „die harte Kante der Kritik“ zeigen zu wollen, und Bettina Reitz erwies sich als rhetorische Meisterin der eingeschobenen Nebensätze, die in einer spiralig förmigen Bewegung letztlich immer präzise den Kern ihrer Aussage trafen.
Doch allzu oft wurde nur an der Oberfläche der Stücke gekratzt, anstatt mit spitzer Nadel die Luft herauszulassen. Zum Beispiel aus „Urban Prayers“ von Björn Bicker, einer nicht unproblematischen Litanei aus Fragen und Statements religiöser Subkulturen, oder aus Esther Dischereits Hörspiel „Blumen für Otello“ über die NSU-Morde, das weder in dokumentarischer noch in künstlerischer Hinsicht überzeugen konnte.
Wie man Kunst und Dokumentarisches gekonnt verbindet, bewiesen einmal mehr Helgard Haug und Daniel Wetzel von Rimini Protokoll, deren vom WDR hergestelltes Hörspiel „Qualitätskontrolle oder Warum ich die Räusper-Taste nicht drücken werde!“ (FK 13/14) den diesjährigen Deutschen Hörspielpreis der ARD bekam. Lobend erwähnte die Jury Christine Nagels fiktiven Dialog mit Ilse Aichinger „Nach dem Verschwinden“, der auf Rang 2 kam. Auf den undankbaren dritten Platz landete Dirk Brauns‘ Geschichte „Im Innern des Landes“. Das Stück, das die Nachwirkungen eines durch Mobbing verursachten Selbstmords in der NVA thematisierte, wurde ein wenig unter Wert gehandelt. Das musikalisch anspruchsvolle Stück „Bunyah“ von Catherine Milliken und Dietmar Wiesner nach Texten des australischen Lyrikers Les Murray kam in der Diskussion gut weg.
Ronald Steckel entwaffnete die Kritik an den „pathetischen Atmern“ in dem von ihm selbst gesprochenen Monolog „Der Brief an Winstons Smith“ damit, dass ihm ein Kritiker schon vor Jahren eine Lizenz zum Pathos erteilt habe: „Ich darf das!“ Gänzlich unpathetisch kam René Freunds Literaturbetriebskomödie „Liebe unter Fischen“ daher, die ein angenehmer Zeitvertreib ohne weitere Nachwirkungen blieb. Wohingegen die „Dancefloor Memories“ von Lucie Depauw an ihrem Anspruch, etwas über Tanz und Demenz zu erzählen, so vollständig scheiterte, dass die Jury ihren Hang zum betreuten Hören aufgab und das auf 74 Minuten ausgedehnte, von permanenten und uninspirierten Tango-Phrasen unterlegte Stück ordentlich abwatschte. Eine ähnlich lebhafte Diskussion gab es sonst nur noch zu Bettina Erasmys Stück „Chapters“ über eine Aussteigerin, in dem in rotzfrecher Sprache der wohltemperierte „Vorsicht-Kunst“-Ton vieler anderer Hörspiele konterkariert wurde. „Chapters“ (HR 2 Kultur) erhielt von den Hörern den ARD Online Award.
Im kommenden Jahr werden bei den ARD-Hörspieltagen auch die öffentlich-rechtlichen Sender aus Österreich und der Schweiz dabei sein. Vielleicht schafft es die ARD bis dahin, das Logo zu modernisieren.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 47/2014
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