Akustisch-diplomatische Umschrift
Andreas Ammer/FM Einheit: LiMo on tape – Moderne zum Mitnehmen
SWR 2, Do 12.01.2012, 22.03 bis 23.00 Uhr
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Tod Andreas Ammer und FM Einheit mal wieder einen Strich durch die Rechnung machte. Am Tag vor der geplanten Ursendung ihres neuen Hörspiels „LiMo on tape“ am 2. Dezember vorigen Jahres verstarb Christa Wolf und das veranlasste SWR 2, auf dem entsprechenden Sendeplatz kurzfristig noch einmal die Hörspielfassung ihrer Erzählung „Kein Ort. Nirgends“ auszustrahlen. „LiMo on tape“ musste deshalb ausfallen und wurde auf den 12. Januar verlegt.
Schon der Ursendungstermin ihres Requiems „Crashing Aeroplanes“ (vgl. FK 25/01), das für den 11. September 2001 angesetzt war, hatte aus naheliegenden Gründen verschoben werden müssen. Der Tod hat in seiner nicht-fiktionalen Form schon immer seinen Platz in den Werken von Andreas Ammer und FM Einheit gehabt, ob in Form letzter akustischer Aufzeichnungen abstürzender Flugzeuge oder als O-Ton eines Telefongesprächs mit der besetzten Stockholmer Botschaft, während im Hintergrund die Ermordung eines Botschaftsangehörigen zu hören ist (in „Radio Inferno“, BR 1993).
Ausgangspunkt für das neue Stück des Autorenduos sind Postkarten mit „letzten Worten“ bekannter oder weniger bekannter großer Geister; Ernst Jünger hatte diese Postkarten seit den 1950er Jahren gesammelt. Der Schriftsteller hielt sie für „eine Sammlung von Irrtümern und ungenauer Überlieferung, trotzdem“, so meinte er, „summieren sie sich zu der Wahrheit, die ihnen innewohnt.“ Jünger – der 1998 starb – hatte sogar an sich selbst adressierte Postkarten vordrucken lassen, auf denen der Tippgeber in drei Spalten die letzten Worte, Autor und Quelle notieren konnte. Verwahrt und ausgestellt werden diese Karten jetzt im „Literaturmuseum der Moderne“ (kurz: LiMo) des Deutschen Literaturarchivs in Marbach.
Versammelt sind dort nicht nur schriftliche Zeugnisse, sondern auch Tonaufzeichnungen der Autoren, so zum Beispiel Hugo von Hofmannsthals Rezitation seines Gedichts „Manche freilich müssen drunten sterben …“ Kurt Schwitters ist ebenfalls im O-Ton dabei (und wird gleich remixed), aber auch der Blut-und-Boden-Autor Hans Grimm („Volk ohne Raum“), der sich auf einer Schallplatte darüber aufregt, dass Joseph Goebbels seinen Rat nicht zu schätzen gewusst habe. „Ich habe Sie jetzt loyal gewarnt, Herr Grimm, ein zweites Mal warne ich nicht“, zitiert Grimm den NS-Propagandaminister. Doch nicht nur solche Primärquellen sind in Marbach vorhanden, sondern auch zum Beispiel der Mitschnitt eines Telefongesprächs mit der 1977 entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“, der F.C. Delius als Material für seinen Roman „Mogadischu Fensterplatz“ gedient hat. Des Weiteren kommen Arno Schmidt, Peter Handke und Hans Blumenberg im O-Ton zu Wort.
Was „LiMo on tape“ zu mehr macht als zur akustischen (Re-)Animation reliquienhaft unter Glasstürzen konservierter Manuskripte, ist die musikalische Überformung, mit der die Schrift und der Produktionsprozess von Literatur ins akustische Medium transportiert werden. Anhand von Kafkas Manuskript zu seinem Roman „Der Process“ werden alle metatextuellen Markierungen (Streichungen, Einfügungen etc.) von einem Chor – dem Collegium Musicum Baden-Baden – in einer Art akustisch-diplomatischer Umschrift hörbar gemacht. „LiMo on tape – Moderne zum Mitnehmen“ funktioniert weniger als „Literatur to go“ als vielmehr nach einem Konzept, das Ernst Jünger für seine Sammlung letzter Worte diagnostiziert hatte, nämlich als „Mosaik, dessen Steinchen zwar zufällig geformt sind, doch dessen Ganzes ein Bild ergibt“. Ein Mosaik, dem die musikalische Grundierung von FM Einheit als Mörtel dient, ohne den es zerfallen würde.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 03/2012
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