Wüste Storys

Katharina Volckmer: Der Termin

SWR 2, Sa 17.9.2022, 23.03 bis 0.30 Uhr

In der Hörspielfassung des Debütromans „Der Termin“ der in London lebenden Autorin Katharina Volckmer geht es auf drastische Weise um eine interkulturelle Geschlechtsumwandlung, eine fiktive sexuelle Obsession für den geliebten Führer, groteske Komik und allerhand Identitätspolitisches. Darf die das?

„Alles fühlte sich herrlich kontrovers an“, heißt es an einer Stelle in Katharina Volckmers knapp 130 Seiten langem Debütroman, als sie sich über ihren Therapeuten Jason lustig macht. Den mit dem „rundum anpassungsfähigen Gesicht“, der yogalehrerhaft alle Gräuel einfach weglächelt. So einen kann man natürlich nicht ernst nehmen, weshalb die namenlose Hauptfigur ihm wüste Storys über ihre sexuelle Fixierung auf „unseren lieben Führer“ Hitler erzählt – den sie sich in Bettwäsche mit Hakenkreuzmuster und passendem Schlafanzug vorstellt. Eine Obsession, die dazu geführt habe, dass sie einem Kollegen gedroht habe, ihm das Ohrläppchen auf den Schreibtisch zu tackern – was eben zu ihren verpflichtenden Therapiesitzungen geführt hat.

Hannah Schutsch, Franziska Machens, Tilman Strauß, Rebekka David (Regie) Bild: Sabine Stumpp / SWR.

Regisseurin Rebekka David hat den Text voller grotesker Komik für das Radio inszeniert (bis 18.3.2023 nachhörbar, nur zwischen 22 und 6 Uhr), und die Hauptfigur ist auf vier Stimmen aufgeteilt: zwei weibliche von Hannah Schutsch und Franziska Machens und zwei männliche von Tilman Strauß und Dor Aloni. Als stummes Gegenüber kommt noch „K“ hinzu, der Komponist Camill Jammal.

Das ebenso stumme aber reale Gegenüber, dem die vierstimmige Hauptfigur im Hörspiel ihre Geschichte erzählt, ist Dr. Seligmann – und den will sie auf gar keinen Fall provozieren – denn der hat gerade den Kopf zwischen ihren Beinen, um sich ihre deutsche Vulva anzusehen, die er mit einem jüdischen Schwanz versehen soll. Was zunächst wie ein psychotherapeutisches Gespräch daherkommt, ist also die Vorbereitung einer interkulturellen Geschlechtsumwandlung. Von einer Geschlechtsangleichung wird man hier kaum reden können, weil es nicht in erster Linie um Gender und Sex geht, sondern eher um die Wiederbelebung ihres totgeborenen Bruders, dessen Reinkarnation aus einem spielzeugeisenbahnartigen Jesusautomaten in ihrer Kirche befreit werden soll.

Kurz: Es ist mächtig was los in Katharina Volckmers Text, den die 1987 geboren Autorin, die seit Längerem in London lebt, auf Englisch geschrieben hat („The Appointment“) und der von Milena Adam ins Deutsche übersetzt wurde. Die Autorin kokettiert mit dem herrlich Kontroversen, dem Drastischen und dem Provokativem virtuos wie zuletzt Christoph Schlingensief (1960-2010), der diese Technik meisterhaft beherrschte und wusste, dass die besten Provokationen immer die Selbstprovokationen sind. Insofern stellt sich die Frage „Darf die das?“ gar nicht erst, denn offensichtlich kann sie es und zwar in einer Sprache, deren Wüten viele Rezensenten an Thomas Bernhard (1931-1989) erinnert hat, auch wenn Sibylle Berg eine angemessenere Referenzgröße wäre.

Beispiel gefällig? Bitte: „Und sogar heute noch, Dr. Seligman, ist ein lebender Jude für eine Deutsche eine aufregende Sache, auf die man uns in der Kindheit nicht vorbereitet hat. Wir kannten nur tote oder elende Juden, die uns aus zahllosen Fotos heraus anstarrten – sie ohne den Anflug eines Lächelns, wir auf ewig in ihrer Schuld. Und unsere einzige Wiedergutmachung bestand darin sie alle in magische Kreaturen zu verwandeln, denen Feenstaub aus allen Löchern kommt.“

Genauer und provokativer kann man das magische, essenzialistische Denken der Identitätspolitiken wohl kaum ins Bild fassen, während ein paar Sätze später diagnostiziert wird, dass die Deutschen „auf hysterische Weise nicht rassistisch, jegliche Unterschiede negierend“, sich in einer anderen Version neu erfinden wollten. Natürlich ist das ein Beleg dafür, dass einander ausschließende Gedanken gleichzeitig in einem Kopf existieren können.

In Rebekka Davids Inszenierung fällt auf, dass eine Stimme aus dem Quartett herausfällt, jene die den Umlaut „ü“ nicht zu beherrschen scheint und immer zum „u“ macht. Es ist die des israelisch-stämmigen Schauspielers und Regisseurs Dor Aloni, der schon in vielen Hörspielen des Autors und Regisseurs Noam Brusilovskys (unter anderem „Broken German“ von Tomer Gardi) zu hören war, weil er so schön jüdisch klingt. Möglicherweise ist das eine zu naturalistische Vereindeutigung in einer Inszenierung, die sich so in den Dienst des Textes gestellt hat, dass man sich öfters wünscht, die allzu sehr in den Hintergrund gemischte Soundkomposition von Camill Jammal wäre um drei bis sechs Dezibel angehoben. Ein bisschen mehr Vertrauen in die radiophonen Mittel hätte der Inszenierung dieses wilden Textes gutgetan. Das Stück ist der Wettbewerbsbeitrag des SWR bei den ARD-Hörspieltagen im November in Karlsruhe.

Jochen Meißner, KNA Mediendienst, 15.9.2022

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