Umverteilungen auf dem Rastplatz der Reflexion
22. Akademie-Gespräch:
Kulturfreie Zone? Zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
In einem Akademiegespräch in der Berliner Akademie der Künste zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestritt der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke, dass an der Kultur gespart werde. Das entsprach nicht den Erfahrungen der Teilnehmer.
Als sich die Filmemacherin und Präsidentin der Berliner Akademie der Künste Jeanine Meerapfel am 4. September bei der Begrüßung zum 22. Akademie-Gespräch zum Thema „Kulturfreie Zone? Zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ an die verehrten „An- und Abwesenden“ wandte, zitierte sie eine längere Passage aus der Rede zur Eröffnung der Berliner Funkausstellung 1930 von Albert Einstein. Das Radio, so Einstein, mache die Werke der feinsten Denker und Künstler, deren Genuss noch vor kurzem ein Privileg bevorzugter Klassen gewesen sei, der Gesamtheit zugänglich und erwecke so die Völker aus schläfriger Stumpfheit.
Ein „Rastplatz der Reflexion“, solle die folgende Diskussion sein, zitierte die Moderation Diemut Roether (verantwortliche Redakteurin des Fachdienstes epd Medien) den Dokumentarfilmer Andres Veiel („Black Box BRD“), der den Rundfunk als einen solchen Ort beschrieben hatte. Doch das blieb ein frommer Wunsch, wie sich im Laufe des Abends herausstellen sollte.
Kultur wird marginalisiert
Denn obwohl im dem seit dem 1. Juli 2023 gültigen Medienstaatsvertrag die Kultur an erster Stelle als Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks definiert wird, werde sie in den Rundfunkanstalten als marginales und elitäres Phänomen betrachtet, bemerkte die Schriftstellerin, Hörspielmacherin und Vizepräsidentin der Akademie der Künste, Kathrin Röggla, in ihrem Eingangsstatement. Und das, obwohl die Kultur fundamental für die Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen sei und der Diskursivierung und Kontextualisierung bedürfe. Diese „ständige Kernaufgabe“ des Rundfunks sehe sie aber in Gefahr. Der Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und gegenwärtige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke konterte: Woher man denn die Geschichte habe, dass in der Kultur gerade gekürzt werde? „Nennen Sie mir ein einziges Beispiel“, verlangte Gniffke mit (schlecht) gespielter Naivität. Beim SWR werde kein einziger Cent aus der Kultur rausgenommen und auch keine einzige Stelle gestrichen: „Lasst uns ein bisschen bei den Fakten bleiben.“ Lediglich beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) gestand er mit Blick auf Einsparungen „eine Sondersituation“ zu. Alles andere seien „Umverteilungen im Transformationsprozess“ vom linearen Programm zu Online-Angeboten.
Mit dieser Auffassung war er im voll besetzten Auditorium allerdings ziemlich allein. Der Geschäftsführer des deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, wollte sich mit Gniffkes rhetorischem Taschenspielertrick nicht über den Löffel balbieren lassen und wies darauf hin, dass es bei einem fixen Rundfunkbeitrag nie Kürzungen geben könne, sondern alles Umverteilungen seien. Zimmermann hatte am gleichen Tag in einem Artikel für die „Neue Musikzeitung“ dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk attestiert, „fast alle seine Freunde vergrault“ zu haben: „Der Kulturbereich gehört noch zu den letzten guten Freunden, die bei aller deutlicher Kritik im Einzelfall immer für das System als solches eintreten. Aber diese Freundschaft wird durch das Verhalten von Intendantinnen und Intendanten gerade auf eine harte Probe gestellt.“ Kai Gniffke machte am Abend die Probe aufs Exempel.
Streichung von Hörspielterminen
Der freie Radiojournalist Tomas Fitzel ironisierte in der anschließende Fragerunde, dass seine geringere Honorierung für Podcastbeiträge im Vergleich zu Beiträgen für das lineare Programm offensichtlich auch keine Kürzungen seien, sondern lediglich Umverteilungen. Ähnlich konkret wurde der Hörspielregisseur und -autor Oliver Sturm, der etwas zu bescheiden „aus der Froschperspektive“ argumentierte und auf die Streichungen von Hörspielterminen beim Norddeutschen und Mitteldeutschen Rundfunk und auf nicht nachbesetzte Stellen verwies. Dass außerdem die Onlinestellung von Hörspielen (beim WDR bis zum 31.12.2099) gegenwärtig noch mit lächerlichen 4,5 Prozent Honoraraufschlag honoriert werden, erdete die Diskussion zusätzlich. Gegenwärtig wird darüber verhandelt.
Dass die Verlagerung von Mitteln in On-Demand-Angebote im Netz den Verlust an Kompetenzen im linearen Programm nicht ausgleicht, ist schon jetzt zu beobachten. „Niedrigschwellige Angebote“ für eine junge Generation, die keine linearen Programme mehr hört oder sieht, zu machen, soll der Weg sein, neue Publika zu schaffen. Zu dumm nur, dass eine 26 Jahre junge Hörerin von Deutschlandfunk Kultur aus dem Publikum bemerkte, dass der Sender sie wohl mit solchen Angeboten eher verlieren würde. Auch die Hörer lassen sich also nur ungern für dümmer verkaufen, als sie sind.
Dem gegenüber heftete sich Gniffke den vom SWR veranstalteten Karl-Sczuka-Preis für Radiokunst (vgl. MD 27/23) ans Revers, der nur eine sehr spitze Zielgruppe erreiche. Unter welchen prekären Bedingungen beim SWR Klangkunst produziert wird, kann er in eigenen Haus erfragen. Und auch für die Summe von 22 Millionen Euro, die er für die Kulturwelle SWR 2 ausgebe, wollte Gniffke gefeiert werden. Denn für die populäre Welle SWR 3 sei es schließlich nur die Hälfte. Doch daran sieht man zweierlei: erstens, dass ein Wortprogramm mit hohem Anteil an Eigenproduktionen notwendigerweise mehr kostet als ein Musikprogramm, das man sich auch von einem Algorithmus zusammenstellen lassen könnte. Und zweitens, wie billig Radio im Vergleich zum Fernsehen ist.
Kulturauftrag einklagen
„Man wird das Gefühl nicht los, dass die Verantwortlichen in den Anstalten oft nicht wissen, was für eine Qualität sie da eigentlich produzieren – und aus Unkenntnis, Rücksichtslosigkeit oder Dummheit zerschlagen sie dann, was sie haben“, schrieb kürzlich Tobias Rüther in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ anlässlich des geplanten Abbaus von etablierten Kulturformaten im Bayerischen Rundfunk.
Nach dem heftigen Bemühen seitens der Akademie der Künste, in ihrem zusammen mit dem Deutschen Kulturrat veranstalteten Gespräch Fürstenerziehung zu betreiben und Bündnispartner zu gewinnen, blieb bei einigen am Ende des Abends das etwas resignierte Fazit, dass man wohl nicht umhinkommen wird, die Erfüllung des staatsvertraglich definierten Kulturauftrages einzuklagen, um die Rundfunkhierarchen aus ihrer schläfrigen Stumpfheit zu erwecken.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst 07.09.2023
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