The medium is the massage

Matthias Hornschuh „Diskurssimulation“ oder „Du kannst nicht nicht akustische Kunst machen“

WDR, 19.11.22, 19.11.2022, 23.03 bis 0.00 Uhr

Simulation ist – vor aller postmoderner Theoriebegrifflichkeit – das So-tun-als-ob. Auch der Begriff des Diskurses schwankt in seiner Bedeutung zwischen Habermas und Foucault, Lyotard und Jürgen Link. Der Komponist und Musiker Matthias Hornschuh fasst in seinem Hörstück „Diskurssimulation“ die Floskeln, Sprachregelungen und Versatzstück gegenwärtiger Diskussionen zusammen, und inszeniert so den Sound der Diskurse.

„Du kannst nicht nicht akustische Kunst machen“: So wandelt Matthias Hornschuh den Evergreen des Medientheoretikers Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren“ ab – im Untertitel seines 58-minütigen Hörstücks „Diskurssimulation“. Als Vorsitzender des Berufsverbandes „mediamusic“, der für die Interessen Musikschaffender eintritt, und als Gründungsmitglied des Forums für Medienmusik „Soundtrack Cologne“ ist Hornschuh mit Kommunikationsstrategien vertraut, die der Durchsetzung von Interessen dienen. Aber auch diskurszerstörende Techniken vom Derailing über Framing und Gaslighting bis zum Whataboutism – um nur die gängigsten Buzzwords zu nennen – sind ihm aus Diskussionen in den Sozialen Netzwerken bekannt.

Als Musiker hört Hornschuh aber zunächst auf die rhythmischen Qualitäten, die bestimmten Wörtern innewohnen. So beginnt er sein Stück mit den Daktylen von „Hühnerstall“ und „Umweltsau“ – Begriffen, die kurzzeitig für einen Ausschlag auf der nach oben offenen Empörungsskala sorgten, als der Kinderchor des Westdeutschen Rundfunks Ende 2019 den Gassenhauer „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ parodierte. Woraufhin WDR-Intendant Tom Buhrow sich bemüßigt fühlte, sich beim orchestrierten Mob zu entschuldigen, anstatt sich hinter seine Leute zu stellen.

Nach und nach schälen sich synkopisch pejorative Statements wie „links-grün versifft“, heraus, bevor zum ersten Mal wie eine Art Refrain „Lügenpresse“, „Systemmedien“ und „Staatsfunk“ aus dem Stimmengewirr aufsteigt. Von da aus geht es direkt in die „Echokammer“, in der man allgegenwärtige „Manipulation“ wittert. Immer wieder kommt auch die Formel vor, für die der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan 1967 bekannt wurde: „The medium is the message“ – was ebenso zu einer Binsenweisheit herabgesunken ist wie Watzlawiks Grundsatz.

Diese Sätze sind übrigens die wenigen, in denen Verben vorkommen. Sonst ist nur noch der Demospruch „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ ein vollständiger Satz. Floskeln prägen das Stück, gern als einzelne Substantive wie „Schlafschaf“, „Volksverräter“ oder auch „Ambiguitätstoleranz“ – oder die substantivierte Form eines Verbs: „Zuhören“. Das klingt alles nach einem sehr deutschen Nominalstil.

Der Sound, den Matthias Hornschuh aus dem Sprachmaterial macht, indem er aus Explosivlauten rhythmische Elemente stanzt oder Zischlaute zittern lässt, löst sich aber von dem Gehalt der Wörter. Insofern entwickelt sich in den besten Teilen des Hörstücks ein suggestiver Groove: „The medium is the massage“, wie ein anderer Titel von McLuhan lautet.

So sind denn auch die beiden musikalischen Zwischenspiele, die die Laute des oft ironisch gebrauchten Spruchs „Danke Merkel“ aufgreifen, die stärksten des Stückes. Und mehr Diskursverweigerung als unter Merkel gab es in der bundesdeutschen Geschichte kaum.

Beim Hören von Hornschuhs „Diskurssimulation“ driftet die Aufmerksamkeit öfters vom Gehalt der Wörter zu ihrer musikalischen Transformation. Man spürt förmlich, wie an den virtuellen Reglern der Plugins der Audioworkstation gedreht wird, und man erinnert sich an die Elektronikpioniere von „Kraftwerk“. Das klingt alles sehr glatt und gefällig – und manchmal überzeugt die polierte Oberfläche auch. Beispielsweise dann, wenn man die aus Schmatzern, Atmern und Mundgeräuschen destillierte Passage hört, die hier ganz Kunst geworden ist und nicht als Authentizitätsnachweis missbraucht wird.

Um dem Stück selbst allerdings einen medien- oder diskurskritischen Drive zu verschaffen, fehlt eine Schaufel (gern auch analoger) akustischer Dreck. So ist Hornschuhs „Diskurssimulation“ nicht etwa selbst medienkritisch, sondern der Soundtrack einer Kritik. Sie ist ein So-tun-als-ob, eine Hintergrundmusik, der die Stimme eines emphatisch verstandenen Diskurses fehlt – oder besser: die auf eine solche Stimme ausdrücklich verzichtet. Aber wer lässt sich nicht gerne ab und zu die Gehörgänge massieren, wenn er dem harten Geschäft der Medienkritik nachgeht.

Jochen Meißner – KNA, 01.12.2022

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