Stotternder Motor
Wilhelm Speyer: Charlott etwas verrückt. Ein Hochgeschwindigkeitshörspiel mit Musik
RBB Kulturradio, So 26.1.2014, 14.04 bis 15.00 Uhr
Als „ein Hochgeschwindigkeitshörspiel mit Musik“ will Regisseur Moritz von Rappard seine Funkbearbeitung von Wilhelm Speyers Roman „Charlott etwas verrückt“ verstanden wissen. 1927 ist die Buchvorlage erschienen, die Hyperinflation in Deutschland war vorbei und hatte einige Pleitiers und Bankrotteure hinterlassen. Der Hochstapler war die Figur der Stunde. Walter Serners Roman „Die Tigerin“ war bereits veröffentlicht, auf Erich Kästners „Fabian“ musste man noch etwas warten.
In ähnlichem Setting spielt auch der Erfolgsroman „Charlott etwas verrückt“ des heute fast vergessenen Schriftstellers Wilhelm Speyer (1887 bis 1952), der schon im Jahr nach seinem Erscheinen verfilmt wurde. Da er jüdischer Herkunft war, musste Speyer 1933 zuerst nach Österreich und dann über Frankreich nach Amerika emigrieren. Im Jahr 2008 druckte der umtriebige kleine Bielefelder Aisthesis-Verlag – dessen Audio-DVD „Blackbox“ mit Hörspielen und Tondokumenten von Michael Klaus übrigens gerade zum Deutschen Hörbuchpreis nominiert wurde – Speyers Roman nach.
„Ein Buch wie Champagner, spritzig, heiter, überschäumend“, so hatte der Ullstein-Verlag bei der Erstveröffentlichung das Buch angepriesen. Und in der Tat versprechen Handlung und Personal von „Charlott etwas verrückt“ eine elegante Screwball-Komödie. Die Berliner Bohème lässt es sich gutgehen. Man lebt auf Pump, rast mit einem zu einem Sechstel bezahlten Cabrio mit 130 Sachen über die Avus, isst Hummermayonnaise mit Ananasscheiben und heiratet einander ebenso schnell, wie man sich wieder scheiden lässt. Die 20-jährige Charlott Verloh, geborene Landgraf (Kathrin Angerer), beschließt denn auch, ihren Justus (Ingo Hülsmann), von dem sie sich nach kurzer Ehe gerade hat scheiden lassen, wieder zu heiraten.
Dass der Mann pleite ist, stört sie nicht weiter, erwartet sie doch „die großen Anderthalb“ – ein Erbe von 1,5 Millionen Pfund von ihrem verstorbenen Onkel, einem Teeplantagenbesitzer aus Colombo im damaligen Ceylon. Leider wacht Lady Cornelia Fisher (Sophie Rois) über das Erbe, das Charlott erst mit der Vollendung des 25. Lebensjahres ausgezahlt werden soll. Also beschließt sie, die Sache etwas zu beschleunigen, und tut sich dafür mit Cornelias Sohn Stanley Fisher (Stefan Kaminski) zusammen. Indem sie ihren eigenen Tod vortäuscht und „die großen Anderthalb“ ihrer Cousine, Fräulein Dr. Camilla Blank (Judith Engel), vermacht, will sie die Restriktionen des Testaments umgehen. In der Rolle von Camilla sucht sie dann Cornelia in Paris auf, um sich das Erbe auszahlen zu lassen. Natürlich führt das zu verwechslungskomödiantischen Komplikationen und den üblichen amourösen Verwicklungen.
Wie bei fast jeder Romanbearbeitung für das Hörspiel ist auch hier die Erzählerfigur die Sollbruchstelle. Dass etwa Charlotts Ex- und zukünftiger Ehemann Justus zwar wohlbeleibt, aber tänzerisch dennoch enorm gewandt ist, mag für die Charakterzeichnung im Buch oder den komischen Effekt im Film wichtig sein – in diesem Hörspiel ist es vollkommen irrelevant. Warum wird es also erzählt? Durch die erläuternden Einschübe fühlt man sich fortwährend genötigt, sich ein Bild von der Szenerie zu machen. Was im Film über Blicke und Bildschnitt in Sekundenbruchteilen klar wird, wird hier im Hörspiel überflüssigerweise ausführlich erklärt. Jede Schilderung von Äußerlichkeiten bringt den Motor dieses Stücks zum Stottern und nicht auf den Hochgeschwindigkeitskurs, dem es sich verpflichtet fühlt. Da helfen dann leider auch das Sprechtempo, die stimmlichen Exaltationen oder die treibenden Jazz-Rhythmen des Mifrás-Quartetts um den Schlagzeuger Tom Dayan nur bedingt.
Die Dialoge sind oft nicht so spitz und pointiert, wie in den hell ausgeleuchteten Schwarzweiß-Komödien Hollywoods jener Zeit, was auch auf Kosten des Tempos und des Timings geht. Angesichts der komplizierten Erbschaftsmaterie kommt das Vergnügen von den deutsch-umständlichen-juristischen Spitzfindigkeiten her, mit denen Charlott Cornelia über den Tisch ziehen will – was die sich schließlich gefallen lässt. Jede Konversation hat einen doppeltem Boden: Man durchschaut einander, ohne es sich anmerken zu lassen – gerade weil man weiß, dass das Gegenüber dieses Spiel ebenfalls beherrscht. Man stellt einander Fallen, die man entweder vermeidet oder auf die man kalkuliert hereinfällt. Das macht auch beim Hören den meisten Spaß. Dennoch fühlt man sich in der knapp einstündigen Funkadaption des 220-Seiten-Romans permanent zwischen hochtourigem Leerlauf und atemloser Hetze hin- und hergeworfen.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 5-6/204
Schreibe einen Kommentar