Schwarz zu Blau
Thorsten Nagelschmidt: Arbeit
RBB radio3, 6., 13., 27. April, 4. Mai, jeweils 14.03 bis 15.00 Uhr
Wiederholung: 7., 14., 28. April, 5. Mai, jeweils 14.00 bis 15.00 Uhr
In Thorsten Nagelschmidts Roman steckt viel Arbeit drin. Wahrscheinlich heißt er deswegen so. Er beschreibt ein buntes Figurenensemble in einer Frühlingsnacht in Berlin, die unter anderem durch die Touren eines Rettungswagens miteinander verbunden sind.
Die Hörspielabteilung des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB) labelt ihre Produktionen seit einiger Zeit als „Das Berlin-Hörspiel“, was man sowohl als Drohung wie auch als Versprechen auffassen kann, als Fluch wie als Verpflichtung. Für den RBB und die Koproduzenten MDR und WDR hat Thorsten Nagelschmidt zusammen mit dem Hörspielmacher und Komponisten Ralf Haarmann seinen Berlin-Roman „Arbeit“ für das akustische Medium adaptiert. Sein Debüt gab Haarmann 1999 mit dem Hörspiel „Der Schweinekopfschädel“. Das Stück spielte zwar in Wuppertal-Oberbarmen, aber das scheint nicht so weit von Berlin „Kreuz-Kölln“ entfernt zu sein.
Nagelschmidts Hörspielfassung feierte als 8-teiliges „ARD Audiothek Original“ seine Premiere im Netz, bevor es als 4-teiliges Hörspiel auf der linearen Kulturwelle des RBB, die seit dem 2. April nicht mehr „Kulturradio“ sondern „radio3“ heißt gesendet wird. Da blockieren die vier Folgen gleich acht Hörspielsendeplätze am Freitag und Samstag. Das ist billiger, weil die Autoren für die doppelte Nutzung ihrer Werke innerhalb von 24 Stunden nicht entlohnt werden müssen. Der Unterschied zwischen der Podcast- und Hörspielfassung besteht darin, dass man sich für jede der 20- bis 30-minütigen Podcast-Episoden einen Cliffhanger ausgedacht hat, der dann von einem uninspirierten Werbeclip für irgendeinen anderen Podcast zunichte gemacht wird – also für etwas, was man genau jetzt auf gar keinen Fall hören will.
Was man hören will, ist, wie es mit dem vielfältigen Figurenensemble weitergeht. Mit Felix, dem Dealer, genannt Flix, der von Autor Thorsten Nagelschmidt selbst gesprochen wird und seinem verpeilten Freund Peppi, einer Schwätzbacke, die Schorsch Kamerun verkörpert. Mit der Notfallsanitäterin Tanja (Alina Sokhna M’Baye), die nebenbei ihr Abitur nachmacht, um Medizin zu studieren, und ihrem heimlich in sie verliebten Kollegen Tarek (Asad Schwarz). Mit dem verschuldeten Taxifahrer Bederitzky (Axel Prahl), der auf seiner Tour nach Halle an der Saale von seinem Fahrgast um den Lohn geprellt wird. Mit dem 16-jährigen Osman (Mo Issa), der bei seinem ersten Überfall auf einen Späti an dessen Besitzerin Anna (Jasmin Tabatabai) scheitert. Mit Polizeianwärterin Christina (Sandra Bezler) und ihrem Vorgesetzten Schüngelmann (Thomas Arnold). Mit Ten, dem Türsteher eines Techno-Clubs (Ole Lagerpusch), mit der kolumbianischen Fahrradbotin Marcella (Isabel Dornheim) und der Flaschensammlerin Ingrid (Imogen Kogge), deren Buchladen nach dem Krebstod ihres Mannes gerade pleitegeht. Zusammengehalten wird das alles vom Erzähler (Matthias Matschke), der unverständlicherweise als „Host“ abmoderiert wird.
Eine Portion Dreck
Alle diese Figuren treten irgendwann in dieser einen Freitagnacht im März miteinander in Kontakt. Es ist die Tag- und Nachtgleiche zwischen 18.12 Uhr und 6.12 Uhr, in der sich die verschiedenen Handlungsstränge überkreuzen – in jenem Schwarz-zu-Blau-Berlin, das Hip-Hop-Musiker Peter Fox schon 2009 besungen hat. Thorsten Nagelschmidts Schilderungen der Verhältnisse sind genau. Die Orte zwischen Ossa- und Reichenberger Straße kann man wiedererkennen, die Sprache, mit der sich das Rettungsdienstpärchen unterhält, stimmt ebenso wie der Slang, dessen sich die Drogis aus Flix und Peppis Umfeld bedienen. Wahrscheinlich heißen Roman und Hörspiel nicht nur deshalb „Arbeit“, weil fast sämtliche Figuren darin nachts arbeiten müssen, sondern weil da hörbar viel Arbeit drinsteckt.
Erstaunlicherweise klingt das Stück dabei weniger vielstimmig als ein anderes Berlin-Hörspiel des RBB, nämlich Berzel Görings Kreuzberger Fassung „Unter Milch Wald“ nach Dylan Thomas (vgl. MD 02/24). Was wahrscheinlich daran liegt, dass man all diesen Figuren schon einmal in anderen Werken und Kontexten begegnet ist, seit Alfred Döblin mit der „Geschichte vom Franz Biberkopf“ 1930 das Berlin-Hörspiel erfunden hat. Und so sind auch die einzelnen Handlungen in ihren Entwicklungen wenig überraschend.
Dabei haben weder Thorsten Nagelschmidt noch Ralf Haarmann etwas falsch gemacht. Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen hinein top. Der Soundtrack, dem Nagelschmidt, Sänger und Texter der Punkband Muff Potter, seine Stimme leiht, passt genauso zum Feeling, wie Tempo und Timing des Stücks zum Rhythmus Berliner Nächte. Es fehlt vielleicht nur eine Portion Dreck, die man in die akustische und erzählerische Perfektion dieses Stückes hätte hineinschaufeln müssen, um aus 230 Minuten guter Unterhaltung ein Zeitdokument Berlins kurz vor dem Corona-Lockdown zu machen.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst 04.04.2024
Schreibe einen Kommentar