Nur ganz leicht neu

Jochen Meißner: Die rote Tür – Ein heiteres Doomscrolling-Hörspiel jenseits der Linearität des Radios

Deutschlandfunk Kultur, So, 23.10.2022, 18.30 bis 20.00 Uhr

Von Elisa Schüler

Während eines Hörspiels woanders hinswitchen? So was geht gar nicht! Oder doch? Im Hörspiel „Die rote Tür“ ist es sogar extra erwünscht. Zwar gab es für die Ursendung im Deutschlandfunk Hürden dafür, aber die Botschaft des Stücks kam trotzdem rüber und brachte so mache (Filter-)blase zum Platzen.

Dass sich Kritiker hin und wieder an der Materie versuchen, über die sie üblicherweise urteilen, ist nichts Neues. Auch für Jochen Meißner nicht. In seinem jüngsten Hörspiel „Die Rote Tür“ inszeniert er im Auftrag des Deutschlandfunk statt theatralem Stoff das Radio in seiner „Post-Medium Condition“. Angelehnt an Eran Schaerf folgt die 90-minütige Premiere der Geschichte des Radios vom institutionalisierten Staatsmedium zum banalisierten Consumer-Produkt. In der Dekonstruktion erwartet den Hörer aber gerade keine Resignation, sondern ausgerechnet ein gesellschaftspolitisch optimistischer Ausblick. Einzige Hürde: die fehlende Kulturtechnik des Umschaltens.

Zwischen Übertragungstechnik, Sample-Kultur und Fußballhymnen erstreckt sich in Meißners „Die Rote Tür“ ein Netz aus unzähligen Fäden klanglichen Seins. Neun dieser Fäden verwebt er als Abschnitte einer von vielen möglichen Radiogeschichten miteinander. Dabei wird das Cover zum Strukturprinzip: Alles war schon einmal, wird im medialen Raum immer wieder und dabei „nur ganz leicht neu“ adaptiert. Sogar die namensgebende rote Tür, die zunächst von den Rolling Stones und später in der deutschen Cover-Version Karel Gotts schwarz angestrichen wird, ist nur eine von vielen möglichen Türen. Erst beim Hörer werden im „Resonanzraum zwischen den Ohren“ Bezüge und Differenzen erkannt und so Bedeutung erschlossen.

Konsequent arbeitet sich Meißner an Konzepten der Dekonstruktion ab und legt in der Form seines Hörspiels als intertextuelle Spielweise zugleich dessen Entstehungsweise offen. Ganz der Kritiker lässt er dabei Eran Schaerf, Rafael Jove und Orson Welles für sich sprechen, schneidet sinnverändernd zusammen und sendet neu codiert in die Welt. Frieder Butzmann liefert mit einem Mix aus ikonisch gewordenen Sounds und zahlreichen Kontrafakturen den passenden Klangteppich. Das Resultat kann sich wahrlich sehen lassen: Anstatt der metaphorischen rote Tür abermals einen neuen Anstrich zu verpassen, wird hier die Schwelle in den endlosen Raum des Intertextes überschritten. So weit so performativ.

Der Switch ist nicht möglich

Tatsächlich hätte es noch weitaus performativer werden können, wären da nicht die urheberrechtlichen Bedenken des Deutschlandfunks. Inmitten seiner Radiogeschichte platziert Meißner 90-sekündige Löcher für zufallsgesteuerte Programmwechsel. „Wir übernehmen das Switchen für Sie“, verspricht Bettina Kurth zur Melodie von Sades „Smooth Operator“ ein Radio-Erlebnis der neuen Art, das maßgeblich am Aufbrechen institutionalisierter Determination beteiligt sein will. Weil das allerdings nicht ins juristische Regelwerk passt, muss sich der Hörer – am Druckknopf des Radiogeräts oder vor dem Webbrowser – selbst ums Umschalten zur durchgegebenen Frequenz kümmern und wieder zurückfinden. Abseits gehörte Neuerscheinungen, Werbeslogans und Cover-Songs treten da glatt in den Hintergrund. Smooth Operator? Fehlanzeige.

So enttäuschend der Rückzieher des Auftraggebers ist, so bezeichnend ist er im Kontext von Meißners Aufruf hin zu einer zufällig generierten Öffentlichkeit. Dabei ist die Grundannahme inzwischen ein alter Hut: Anstelle staatlicher Manipulation durch das Radio seien die Sozialen Medien als Manipulationsinstrumentarium für „milliardenschwere Medienkonzerne“ wie „graswurzelbewegte Aktivisten“ getreten. Mit dem „Switchen“ als Kulturtechnik will „Die Rote Tür“ im Rundfunk eine Perforation des Programms erreichen, die dem Feindbild Filterblase eine im wahrsten Sinne demokratische Öffentlichkeit gegenüberstellen könnte. Doch der Hintergrund des Radios scheint in der Institution Deutschlandfunk fortzuleben – und wäre das wirklich so überraschend?

Vielleicht liegt auch gerade darin der Witz. Schon die Selbstbezeichnung als „heiteres Doomscrolling-Hörspiel“ markiert Meißners Stück als Spektakel jenseits binärer Kategorien von Ernsthaftigkeit und Spaß. Sogar auf dieser Ebene wird subvertiert, denn es erwarten den Hörer weder eine Unmenge negativer Schlagzeilen, noch wird auf der auditiven Bühne wirklich gespielt. Wenn Markus Hoffmann und Bettina Kurth im leicht verdaulichem Radiosprech durch die neun Fäden moderieren, erinnert das eher an ein Radio-Feature und bietet so gleichermaßen dramaturgischen Ruhepol wie selbstreferenzielle Komik. Im nicht enden wollenden Subversionskreislauf von „Die Rote Tür“ regiert der Spaß am Spiel.

Am Schluss führen Hoffmann und Kurth die Fäden der Erzählung in ungebrochener Ambivalenz zusammen und erinnern an die weiterhin im Resonanzraum des Gedächtnisses wabernden Versatzstücke eines ersten, zweiten und dritten Kapitels. So kann das Lineare zugleich „das Erhabene, das Banale und das Schöne“ sein und so können Abgesang und Feier des Radios friedlich koexistieren. Völlig aus der Linearität kann sich aber auch Meißners Hörspiel nicht lösen: Erst im Anschluss verlinkt er im Rahmen eines Twitter-Threads die zugehörige Spotify-Playlist – für die „Party danach“.

Letztlich erfindet Meißner in seinem Hörspiel dank hörfunkseitigen Rückziehers das Rad nicht völlig neu. Wobei es, nimmt man „Die Rote Tür“ für bare Münze, ja sowieso immer „nur ganz leicht neu“ geht. Sollte es je zu einer vollumfänglichen Umsetzung des Konzepts kommen, darf man sicher gespannt sein, wieviel Subversion noch möglich ist.

KNA Mediendienst, 27.10.2022

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