Ein barockes Hörspiel-Emoji

Johannes Mayr, Wolfram Höll: Die eingebildete Maske

SRF 2, Sa, 05.11.22, 20.00 bis 20.51 Uhr

Manche Ideen sind so naheliegend, dass man erst mal draufkommen muss. In der satirischen Corona-Komödie „Die eingebildete Maske“ von Johannes Mayr und Wolfram Höll trifft eine maskenverweigernde Busfahrerin auf einen Arzt wider Willen und einen veganen YouTube-Koch. Dazu gibt es barocke Gesangseinlagen und eine hohe Pointendichte.

Eine Zeit, in denen ein US-Präsident Bleichmittel gegen eine aggressive Gefäßerkrankung pandemischen Ausmaßes empfiehlt und menschliche Patienten Pferde-Entwurmungsmittel zur Selbsttherapie verwenden, schreit geradezu nach einer Satire auf einen Stand, der sich gegenwärtig einer Beliebtheit erfreut, wie zuletzt im 17. Jahrhundert. Gut, das sich schon damals der französische Dramatiker Molière liebevoll um die in Küchenlatein und -griechisch bewanderten Quacksalber gekümmert hat, bevor er ironischerweise an einem Blutsturz gestorben ist, als er die Hauptrolle in seinem letzten Stück „Le malade imaginaire“ (Der eingebildete Kranke) gespielt hat. Das war im Jahr 1673.

Der Schweizer Hörspieldramaturg und Autor Johannes Mayr, der ebenfalls beim Schweizer Radio beschäftige deutsche Schriftsteller Wolfram Höll und der deutsche Komponist und Regisseur Ulrich Bassenge haben nun nach Motiven von Molieres Stücken eine 51-minütige Komödie mit Gesang erstellt, die am 5. November auf der Kulturwelle SRF 2 urgesendet wurde.

Verehrtissimi Damensis et Herrensis
Qui hic varsammelati estis
Wir Presentarum Radio Fabula
de Doctore Schwurbel Magika
et Patientis habendis
Stupiditas infinitis

Ein Video der Busfahrerin Anett (Charlotte Müller), die einen Fahrgast aus dem Bus wirft, weil der seine Maske zur Kontrolle des Monatsabos nicht abnehmen will, geht viral. Und weil sie selbst auch keine Maske getragen hat, wird sie suspendiert. Als sie sich ein Masken-Befreiungsattest ausstellen lassen will, trifft sie auf den Lüstling Sganarelle (Hans-Georg Panczak), wie bei Molière eine Art Arzt wider Willen, der ihr eine imaginäre Maske verkauft. Im nächsten viralen Video sieht man dann, wie Anett von den Fahrgästen aus dem Bus geworfen wird – trotz beziehungsweise wegen ihrer imaginären Maske.

Das gibt Applaus von Querdenkern, Verschwörungstheoretikern und sonstigen Schwurblern, unter anderem von einem veganen YouTube-Koch namens Hilda Attelmann – gesprochen von Christoph Maria Herbst und ohne Zweifel eine Anlehnung an den realen Corona-Leugner-Koch Attila Hildmann. Hilda nistet sich natürlich sofort bei Busführerin Anett ein. Anetts Tochter Lucy (Lucia Kotikova) versucht mit Hilfe ihres Lehrers Herrn Urs (Heinrich Schafmeister) dem Treiben Einhalt zu gebieten. Ähnlich wie Sganarelle ist Hilda eine windige Figur jener Kategorie, die öffentlich Veganismus predigt und heimlich Hackfleisch frisst.

Die temporeiche Inszenierung von Ulrich Bassenge, der auch die eigens eingespielte Barockmusik komponiert hat, spart sich unnötige Charakterdifferenzierungen und lässt stattdessen das Ensemble mit Hingabe die Klischees ausspielen. Auf Hildas YouTube- oder Telegram-Kanal werden die Rezepte gesungen und die Moliere-typischen Liebeshändel bekommen genau die metaphorische Eindeutigkeit wie die Auberginen- oder Pfirsich-Emojis im Netz.

Nach dem Hörspiel kann man sich fragen, ob die Herren Mayr, Höll und Bassenge Molière tatsächlich als Trash-Autor wiederentdeckt haben, der heute Comedy-Shows schreiben würde. Material gäbe es genug.

SRF-Interview mit Moliere

Jochen Meißner – KNA Mediendienst  10.11.2022

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