Loriotsche Qualität
Patricia Görg: Es bleibt spannend — Ein Wahlabend-Oratorium
NDR Info, So 07.08.2016, 21.05 bis 22.00 Uhr
Die Floskel „Es bleibt spannend“ gehört wohl zu den am häufigsten geäußerten unfreiwillig komischen Sätzen der Wahlberichterstattung. Natürlich weiß das Patricia Görg und es zeugt von einer Ironie zweiter Ordnung, dass sie dieses allzu oft nicht einzulösende Versprechen als Obertitel über ihr „Wahlabend-Oratorium“ gesetzt hat (hier nachzuhören). Wenn sich im Hörfunkstudio der namenlose Moderator (Ingo Hülsmann) mit dem Wahlforscher Jochen Rohleder von der Universität Kehlheim (Hans Peter Korff) über die von Jörg Löwenhorn (Mathias Lange) soufflierten Hochrechnungen unterhält, dann dürfen auch da die Floskeln nicht fehlen, denn natürlich handelt es sich um „eine Richtungswahl“, wenn auch in Zeiten des „Hauruck-Stillstands“ nicht klar ist, in welche Richtung es geht. Schon die Namen sämtlicher Parteien in Patricia Görgs rund 50-minütigem Hörspiel lauten auf „au“, was eine gewisse Homogenität und Richtungslosigkeit suggeriert. Trotzdem bzw. gerade deswegen wird die gegenwärtige Parteienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland ziemlich genau abgebildet.
Die Schlauen Lauen (Wahlslogan: „Das können wir“) sind laut der ersten Hochrechnung mit 28,9 Prozent immer noch stärkste Kraft. Für die Grauen, ihren Koalitionspartner („Ruhe mit 52“), hat es diesmal nur für 18 Prozent gereicht. Die Blauen („Freiheit für freie Bürger“) werden mit 4,8 Prozent wohl nicht den Einzug ins Parlament schaffen, anders als die Genauen, die aus dem Stand 8,2 Prozent erreichen und damit nur wenig hinter den Rauen („Kapital grillen“) mit 10,4 Prozent und den Flauen („Fett ist wenig nett“) mit 10,0 Prozent liegen. Die Sonstigen kommen auf 19,7 Prozent. Und die Wahlbeteiligung ist mit 36 Prozent sensationell niedrig.
Die Struktur von Patricia Görgs Hörspiel orientiert sich am üblichen Prozedere eines Wahlabends im Radio. Vom Sender wird zu Außenreportern geschaltet, die von den Wahlpartys der Parteien berichten. Statements der Spitzenkandidaten werden eingeholt und Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern sollen eingefangen werden. Außenreporterin Maxi Schautzer (Sascha Icks) steht in Sorum hinterm Deich („Nach hinten das Meer, nach unten der Matsch“) und beklagt, dass dort alles Senkrechte fehle, von dem es in anderen Gegenden nur so wimmele. Schöner kann man die Tristesse des platten Lands wohl kaum auf den Punkt bzw. auf die Fläche bringen.
So einfach die erzählerische Struktur, so komplex ist die Sprache. Bei Patricia Görg entstellen falsche Verben die vorgestanzten Formeln der Spitzenkandidaten zur Kenntlichkeit — was, nebenbei bemerkt, natürlich nichts anderes als eine typische Kritikerfloskel ist. Da werden aufopferungsvolle Jobs „entfacht“ oder Stimmenverluste „entsaftet“. Dem kommentierenden Wahlforscher gehen im Lauf des Abends immer öfter die Metaphern durch. Die Vorsitzende der Schlauen Blauen, Gerda Fackelmann, nennt er „eine beherzte Nachtschwester, in deren adipösen Falten die Schere der Dialektik schnarcht“. Eine Fusion der Schlauen Blauen und der Grauen habe man sich einfach als die Konfusion vorzustellen, die das Land zusammenhalte, kommentiert Rohleder, und auf die Nachfrage, wie man sich das konkret vorzustellen habe, antwortet er: „Wie eine Handtasche, die sich Schlaflieder vorsummt beim abendlichen Spaziergang um eine ausgebrannte Fabrik.“
Patricia Görg zieht verschiedene Register des Komischen, vom simplen Kalauer bis zur fein ziselierten Pointe. Dialoge wie Beschreibungen und selbst die sorgfältig ausgewählten Figurennamen sind mit der richtigen Dosis Humor geimpft. Der Text ist von einer Loriotschen Qualität und hätte auch eine Inszenierung von dessen penibler Genauigkeit verdient gehabt. Hat er aber nicht bekommen. Selten hat man die Mehrheit der 19 Schauspielerinnen und Schauspieler in den knapp 30 Rollen so uninspiriert ihre Texte aufsagen hören — mit falschem Duktus und unglaubwürdigen Dialekten, unechter Tonalität und mangelndem Timing. Es klingt, als habe Regisseur Hans Gerd Krogmann, der fast die Hälfte der mehr als 20 Hörspiele von Patricia Görg ins Radio gebracht hat, diesmal mit dem Text nicht so recht etwas anzufangen gewusst.
Nicht einmal ausreichend differenzierte akustische Räume hat Krogmann den verschiedenen Schauplätzen gegönnt, was direkt auf Kosten der Glaubwürdigkeit des ganzen Stücks geht. Was wirklich funktioniert sind die Kompositionen und Chöre von Michael Riessler, die die Gattungsbezeichnung „Oratorium“ rechtfertigen, auch wenn man sich mehr Gesänge gewünscht hätte. Insgesamt belegt diese Inszenierung, dass der Satz „Es bleibt spannend“ oft das Gegenteil von dem bedeutet, was er aussagt, und das hat der Text von Patricia Görg nun wirklich nicht verdient.
Jochen Meißner — Medienkorrespondenz 17/2016
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