Knorpel, Brocken, Kohle

Nach einer Revue und einem Vaudeville-Stück schließen Lyriker Jan Wagner, Komponist Sven-Ingo Koch und Regisseur Leonhard Koppelmann mit einer Burleske ihre Hörspiel-Trilogie über fiktive Gestalten in verschiedenen Darstellungsformen ab.

Nach der „Gold. Revue“ über den amerikanischen Goldrausch und „Mandeville. Vaudeville“ über den mittelalterlichen Reise-Ritter John Mandeville, ist es mit dem 50-minütigen Hörspiel „Echo. Burlesque“ jetzt eine Burleske, mit der Jan Wagner die mythische Bergnymphe besingt beziehungsweise besingen lässt. Die Gattungsbezeichnungen, die Wagner für seine Stücke verwendet sind allerdings weniger hilfreich, als man vermuten könnte. Es ist nicht immer drin, was draufsteht – jedenfalls wenn man die herkömmlichen Erscheinungsformen von Revue, Vaudeville und Burlesque erwartet.

Echo wurde von Zeus-Gattin Hera dergestalt die Sprache genommen, dass sie nur noch die letzten Worte ihres Gegenübers wiederholen konnte. So vermochte Echo Narziss ihre Liebe nicht zu gestehen, und die Verschmähte zog sich in eine Höhle zurück, wo sie verkümmerte und ihre Sprache verlor: „Eines Tages die Wörter nicht einmal mehr erinnern, nicht einmal mehr denken können, nicht eines oder zwei, sondern regalweise, ganze Bibliotheken von ihnen. Silben verlieren wie Kleingeld.“ Echos Knochen wurden zu Stein und nur ihre Stimme blieb lebendig. Eine Figur also wie geschaffen für das Radio und ein Plot wie geschaffen für ein Melodram. Nichts könnte weiter entfernt von der parodistischen Frivolität einer Burlesque-Show sein als das.

Stattdessen bekommt man bei Jan Wagner ein Potpourri ausgefeilter Wortverbindungen von „Asseln, Dachse, Marder“ über „Ibisse im Schilf“ bis zu „Knorpel, Brocken, Kohle“, die die Entwicklung des Naturwesens der Nymphe schon in der Exposition, oder sollte man sagen der Ouvertüre, nachzeichnen. Die Rolle der Echo ist auf vier Stimmen verteilt, auf die Schauspielerinnen Maren Eggert, Lou Strenger, Bettina Engelhardt und auf die ukrainischen Sopranistin Viktoriia Vitrenko.

Jan Wagner erzählt die Geschichte der Echo von Ende her: „Erst verflucht, dann die Flucht; verfallen sein, dann der Verfall; nach dem Sich-Sehnen bald nichts mehr als Sehnen und Knochen, schließlich Knochen, Steine, Sand; am Ende überall, überall, nirgendwo.“

Im auf mehrere Stimmen verteilten Dialog mit sich selbst, macht sich Echo Vorwürfe über ihre Scheu, wenn sie Narziss nachstellt: „Wenn er plötzlich verharrte, sich umdrehte – dann wurde ich Findling und ging im Geröll auf, verwuchs mit dem Stamm der Eibe, verschwand in den Murmeltiermulden der Berge und rührte mich nicht.“ Aber wenn Echo nicht so in das „entsetzlich hübsche Gesicht mit all der Leere dahinter“ vernarrt gewesen wäre, dann „wäre schon irgendeiner vorbeigekommen, der dich genommen, ach was, sogar geliebt hätte, was sage ich, nicht einer, mehrere, Dutzende, einer nach dem anderen, und sogar dein absurder Sprachfehler hätte nicht gereicht, um sie alle abzuschrecken.“

Doch nach so Prosaischem wie „Essen kochen. Lappen wringen. Boden fegen. Dielen wischen. Rettich schälen. Kinder kämmen. Socken stopfen. Nasen putzen“, stand Echo nicht der Sinn. Sie reagiert ganz ihrer verfluchten Natur gemäß auf „Wacholder“ mit „ach holder“, auf „Kleiber“ mit „Leiber“, auf „flüstern“ mit „lüstern“ und auf „Krokus“ mit „Kuss“.

Erfreulicherweise steht der Echocharakter ihrer Äußerungen nicht im Zentrum der Inszenierung, die mit der Komposition von Sven-Ingo Koch und Carl Rosman an der Klarinette auf den musikalischen Text von Jan Wagner reagiert. Und der endet echohaft mit dem Höhepunkt des Liebesrausches, der die Nymphe wie ein Blitz getroffen hat: „Als gelänge erst in dieser Sekunde und mit dem Jubel sämtlicher Nerven, als würde alles und jedes erst jetzt wirklich und wahrhaftig und in genau diesem Augenblick wach“ – mit dem Laut, der seit der deutschen Romantik alles zwischen Erfüllung und Wehmut bedeuten kann: „Ach“

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 23.03.2023

 

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