Hörspiel des Monats 2022 – Die Jury

Jährlich beruft die Deutsche Akademie der Darstellende Künste (DADK) auf Vorschlag des gastgebenden Sender die dreiköpfige Jury zum Hörspiel des Monats / des Jahres. Der gastgebende Sender 2022 ist Deutschlandfunk Kultur. Hier ist die Jury, der die DADK fünf Fragen gestellt hat.

Ania Mauruschat. Foto: Maria Dorner.Ania Mauruschat ist Radiojournalistin, Medienkulturwissenschaftlerin und Hochschuldozentin mit den Schwerpunkten Sound und Ästhetik. Nach ihrer Ausbildung zur Redakteurin an der Deutschen Journalistenschule in München arbeitete sie zehn Jahre lang hauptberuflich für den Hörfunk der ARD und forschte, lehrte und promovierte danach zu Hörspiel und Radiokunst in Basel und Zürich. Seit September 2021 forscht sie im Rahmen eines Marie-Curie-Stipendiums der Europäischen Kommission an der Universität Kopenhagen zum Verhältnis von Klang und Klimakrise in Dänemark/Grönland und Australien. http://aniamauruschat.de

1. Was hören Sie am liebsten?

Eigentlich alles, von John Cages 4’33‘‘ über Maryanne Amachers „Ear Tones“ bis zu Arsenij Avraamovs Symphonie der Sirenen in der Inszenierung von Andreas Ammer und FM Einheit. Anders gesagt: Ich höre vom kleinsten Geräusch bis zum größten Lärmspektakel alles gerne, was mein Interesse erregt und mich innhalten lässt. Oder um es mit John Cage zu sagen: „Wherever we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs us. When we listen to it, we find it fascinating. – Wo immer wir auch sind, wir hören meist Geräusche. Ignorieren wir sie, stören sie uns. Wenn wir hinhören, finden wir sie faszinierend.“
Abgesehen davon liebe ich es, Menschen zu interviewen, ihre Stimmen und Geschichten zu hören und für meine Forschung, eine Radiosendung oder einen Podcast mit meinem Aufnahmegerät die unterschiedlichsten Geräusche einzufangen oder Audio-Archive zu durchstöbern. Wissenschaftlich beschäftige ich mich momentan mit der Rahmentrommel und dem Kehlkopfgesang der Inuit, was ich mir stundenlang anhören kann.

2. Wie hören Sie am liebsten?

Sitzend, liegend, stehend, gehend, fahrend und tanzend: Am Schreibtisch konzentriert unter Kopfhörer oder in der Berliner Philharmonie, nachts im Bett über das Smartphone, beim Kochen über das UKW-Küchenradio, über die Ohrstöpsel beim Spaziergang oder auf dem Weg zur Arbeit, über das Autoradio beim Fahren durch Stadt und Land und im Konzert oder Club über eine gute PA-Anlage, die die Schallwellen eines Basses auf meiner Haut vibrieren lässt und meine Beine zum Tanzen bringt. Kurz: Ich liebe es, auf ganz unterschiedliche Weise zu hören. In der ersten Januarwoche 2022 war meine schönste Hörsituation jedoch ein Strandspaziergang, bei dem ich – ohne dazwischen geschalteter Technik – allein mit meinen Ohren dem Plätschern der Ostseewellen am Øresund gelauscht habe.

3. Wo finden Sie Hörspiele, die Sie interessieren?

Zum Glück sind wir dank der Digitalisierung nicht mehr allein auf Kassettenmitschnitte von Freund:innen und Kolleg:innen oder langwierige Archivanfragen angewiesen. Wenn ich für meine Seminare oder einen wissenschaftlichen Artikel bestimmte Stücke suche, stöbere ich gerne auf den Hörspielseiten der ARD-Sender, auf den Websites von Hörspielmacher:innen und in den Archiven von freien, nationalen und internationalen Audio Art Festivals. Meist geht es bei Raritäten aber trotzdem immer noch nicht ohne kollegiale Hilfe und den Austausch von Audiofiles, was eigentlich auch ganz schön ist.

4. Welches Hörspiel hat Sie mal schwer beeindruckt?

Da gibt es so viele, dass ich nicht eins allein hervorheben möchte wie z.B. „Fünf Mann Menschen“ (1969) von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, „Die Befreiung des Prometheus“ (1986) von Heiner Goebbels und Heiner Müller oder „Memory Loops“ (2010) von Michael Melián, die mich alle stark beeindruck haben. Stattdessen möchte ich gerne drei Hörspiele aus dem vergangenen Jahr nennen, die mich als Mitglied der Jury des Hörspielpreises der ARD 2021 besonders beeindruckt haben, und denen ich viele Hörer:innen wünsche:
„Adolf Eichmann – Ein Hörprozess“ von Noam Brusilovsky und Ofer Waldmann, „Atlas“ von Thomas Köck und „Afrodeutsch“ von Cynthia Micas.

5. Auf was freuen Sie sich als Jurymitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste für das Format „Hörspiel des Monats/Jahres“ im Jahr 2022 am meisten?

Darauf, dass es in meinem E-Mail-Postfach – hoffentlich ganz oft! – „Pling“ macht, wenn wieder ein Hörspiel für den Preis eingereicht wurde. Dass ich all diese Stücke dann nicht nur sehr genau anhören, sondern auch noch mit Vito Pinto und Neo Hülcker in der Jury des Jahrgangs 2022 diskutieren und zwölf davon zum Hörspiel des Monats und eines sogar zum Hörspiel des Jahres küren darf, ist mir eine große Freude und Ehre, auf die ich mich außerordentlich.


Neo Hückler. Foto: Silvia Maggi.
Neo Hückler ist ein* Komponist* – Performer*, dessen* Fokus auf Musik als anthropologische Untersuchung in alltäglichen Lebensumgebungen liegt. Seine* Kompositionen nehmen meist in Form von Situationen, Performances, Installationen, Videos, Aktionen und Interventionen Gestalt an und beschäftigen sich mit digitalen Praxen (wie z.B. ASMR), Kindheit, Tier-Mensch-Beziehungen, queeren Handlungsweisen und kulturellem Hacking. Hückler studierte Komposition bei Dieter Mack und Harald Muenz an der Musikhochschule Lübeck und bei Manos Tsangaris und Franz Martin Olbrisch an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden www.neohuelcker.de

 

1. Was hören Sie am liebsten?

Experimentelle Musik, Alte Musik, Hörspiele. Bach, Wendy Carlos, Éliane Radigue, Daphne Oram, Julius Eastman, Friday Dunard …

2. Wie hören Sie am liebsten?

Mit anderen Menschen gemeinsam oder auch alleine, liegend oder sehr bequem sitzend, wach, in konzentrierter Atmosphäre.

3. Wo finden Sie Hörspiele, die Sie interessieren?

Bei Deutschlandfunk Kultur, dem Berliner Hörspielfestival, beim Deutschen Hörspielpreis der ARD und bei „Das totale Schallspiel“ (von Friedemann Dupelius kuratierte Reihe zum gemeinsamen Hörspiel hören in Köln).

4. Welches Hörspiel hat Sie mal schwer beeindruckt?

„Das große Heft“ von Ágota Kristóf, „Das akustische Kleist Denkmal“ von Paul Plamper, „Séance Vocibus Aveum“ von Wolfgang Müller

5. Auf was freuen Sie sich als Jurymitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste für das Format „Hörspiel des Monats/ Jahres“ im Jahr 2022 am meisten?

Darauf, sehr viel konzentriert zu hören und zu entdecken und mich darüber auszutauschen.


Vito PintoVito Pinto arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studiengangsbeauftragter am Seminar für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin. Zudem ist er in unterschiedlichen Kontexten als Kulturarbeiter (Projektmanager, Dozent, Moderator) und Textwerker (Autor, Lektor) tätig, u.a. als Feature-Autor, als Moderator (DLF Kultur »Hörtheater«, 2015-2019), als Mitveranstalter des »Berliner Hörspielfestivals« (2013-2017). Vito Pinto studierte Theaterwissenschaft sowie Französische Philologie und arbeitete am Sonderforschungsbereich »Kulturen des Performativen« an der FU Berlin, wo er eine theaterwissenschaftliche Dissertation zum Thema »Stimmen auf der Spur. Zur technischen Realisierung der Stimme in Theater, Hörspiel und Film« verfasste. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören u.a.: Dramaturgien und Ästhetiken des Hörspiels, zeitgenössisches Theater, Selbstinszenierungen im Pop. www.vitopinto.com

1. Was hören Sie am liebsten?

Radio-Features, historische Hörspiele (Monohörspiele), nicht klassisch inszenierte Hörspiele / Hörstücke, Freies Hörspiel.

2. Wie hören Sie am liebsten?

Zu Hause in Ruhe oder beim Spaziergang mit dem Kopfhörer.

3. Wo finden Sie Hörspiele, die Sie interessieren?

In der ARD Audiothek, über die Archive der ARD-Rundfunkanstalten sowie Deutschlandfunk / DLF Kultur und über kollegiale Empfehlungen, zudem bei den beiden wichtigsten Independent-Festivals: dem Berliner Hörspielfestivall und dem Leipziger Hörspielsommer. Zudem habe ich die Ausspielwege quasi aller deutschsprachigen Rundfunkanstalten bei iTunes abonniert, was aber nicht heißt, dass ich auch alle Stücke hören würde – dafür fehlt mir schlichtweg die Zeit.

4. Welches Hörspiel hat Sie mal schwer beeindruckt?

Eines zu nennen wäre nun zu wenig, hier eine kleine Auswahl:
– Antonin Artaud: Pour en finir avec le jugement de Dieu (1947)
– Orson Welles: The war of the Worlds (1938)
– Alfred Döblin: Die Geschichte vom Franz Biberkopf (1930)
– Walter Ruttmann: Weekend (1930)
– Ernst Jandl / Friedrike Mayröcker: Fünf Mann Menschen (1968)
– Ferdinand Kriwet: Apollo Amerika (1969)
– Walter Adler: Centropolis (1974)
– Andreas Ammer / F.M. Einheit: Crashing Aeroplanes (2001)
– Ammer & Console: Spaceman ’85 (2005)
– Paul Plamper: Hochhaus (2006)
– Paul Plamper: Top Hit leicht gemacht (2002)
– Paul Plamper: RUHE 1 (2008)
– Elfriede Jelinek: NEID (2011)
– Felix Kubin: Mother in the Fridge (2012)
– Felix Kubin: Phantomspeisung (2017)
– Milo Rau / Milena Kipfmüller: Hate Radio (2013)
– Susann Maria Hempel: Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen (2018)
– tbc …

5. Auf was freuen Sie sich als Jurymitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste für das Format „Hörspiel des Monats/ Jahres“ im Jahr 2022 am meisten?

Ich freue mich schon sehr auf die große Anzahl an aktuellen Stücken aus der öffentlich-rechtlichen Rundfunkproduktion in der Hoffnung, dass es ein „guter“ Jahrgang wird. Es ist schön, Monat für Monat die unterschiedlichen Hörspiel-Handschriften bzw. Klanglandschaften der Radiosender gegenüberstellen zu können. Vor allem aber freue ich mich sehr darüber, mit den beiden Co-Juror*innen zu diskutieren, mich mit ihnen auszutauschen und letztlich eine mal mehr, mal weniger schwere Auswahl für das „Hörspiel des Monats“ treffen zu dürfen.

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