Hör! Spiel!-Festival in Wien 10.-31.3.2025
Hör!Spiel! 10., 17., 24., 31. März 2025
Alte Schmiede, Schönlaterngasse 9, Wien
»Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! / Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!« Diesen imperativischen Schluss gab Günter Eich seinem Hörspiel Träume als Reaktion auf den Entrüstungssturm nach der Ursendung im Jahr 1951: Das Hörspiel zeigt Gewalt und Leid als existenzielles Grundprinzip und schrieb Gattungsgeschichte. Im Eich’schen Sinn Sand und unnützen Liedern gleichen auch die Hörstücke dieses Programms. Erkundet wird, wie Gert Jonkes eigengesetzliche Sprachwelt im akustischen Medium tönt (10.3.). Live-Hörstücke erproben den Ausstieg aus Kapitalismus und Patriarchat (17.3.). In Erinnerung an Gewalt gegen Rom*nija geht es um öffentlichen Diskurs und Medienethik (24.3.). Natascha Gangl & Rdeča Raketa stellen Klangcomics nach Bildern des Surrealisten Roberto Matta vor (31.3.).
Annalena Stabauer
Mo, 10.3.2025
19.00 // Gert Jonkes Hörfunken
Cornelia Hülmbauer, Martin Kubaczek, Chris Zintzen
hören Gert Jonke
Beiträge mit akustischen Zitaten, Diskussion
Moderation: Annalena Stabauer
»Ich möchte mit der Sprache nicht nur erzählen, sondern auch Musik machen«, so Gert Jonke. Wäre diesem Musikmachen die gesprochene Sprache in Theater und Hörspiel näher als die Schrift? Dem Theater widmete sich Gert Jonke ab Ende der 1990er Jahre intensiv, dem Hörspiel vergleichsweise wenig. Dennoch sind aus Bearbeitungen von Prosa- und Theatertexten neunzehn Hörspielproduktionen entstanden, u.a. mit Beteiligung des Autors. Wie Jonkes klangvolle, rhythmisierte Sprache, wie sein barocker Satzbau und wie nicht zuletzt die imaginären Räume seiner Literatur im akustischen Medium tönen – kurz: Gert Jonkes Hörfunken (ORF 1977) erkundet dieser Abend.
Cornelia Hülmbauer, *1982; Autorin, Sprachwissenschaftlerin. Zuletzt (u.a.): oft manchmal nie. Roman (2023).
Martin Kubaczek, *1954 in Wien, Autor, Literaturwissenschaftler, Violinist. Zuletzt: Die Süsze einer Frucht. Pflanzenikonen (2018; m. Rosemarie Hebenstreit).
Chris Zintzen, Autor, Kulturwissenschaftler in Wien. Zahlreiche Arbeiten zur Hörkunst, 2001–2015 Kurator/Producer der Reihe Literatur als Radiokunst im ORF-Kunstradio.
Mo, 17.3.2ß25
19.00 // Es zwitschern und plätschern die Revolten
Die Bühne wächst
Mathias Müller Text, Stimme
Sebastian Six Sounds, Stimme
Mathias Müller und Sebastian Six nehmen in ihrem Live-Hörstück die alte Idee eines Theatrum Mundi beim Wort und lassen die Welt Szene für Szene als Bühnenkonstruktion neu erstehen. Kaum sind Himmel und Meer voneinander geschieden, ist auch schon unschwer unsere Jetztzeit zu erkennen: Die Mechanik ist überbordend, die Ressourcen werden knapp – aber nicht alle Bühnenarbeiter*innen folgen dem Text.
Melusine starrt – eine Hommage an Irmtraud Morgner
Carolin Krahl Text, Stimme, Regie
Unter Mitwirkung der Mitglieder des Leseklubs der feministischen Bibliothek MONAliesA in Leipzig: Alexandra Ivanova, Robin Weisbach und Olivia Golde – sowie mit Marika.
Moderation: Annalena Stabauer
Carolin Krahl widmet ihr Hörstück Irmtraud Morgner (1933-1990), die in der DDR im Nachhall von Zensurerfahrungen feministische Gesellschaftskritik im Gewand fantastischer, mythologischer und historischer Stoffe verhandelte. Dem Roman Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura (1974) entstammt ihre emanzipatorische Version der Sagengestalt Melusine. Carolin Krahl holt Morgners Melusine in die Gegenwart, wo sie noch immer gebraucht würde, aber entkräftet daliegt. In der widerspenstigen, formal offenen akustischen Erzählung kündigt sich eine Lösung an.
Mathias Müller, 1988. Autor, Teil des Übersetzerinnenkollektivs Versatorium und des Ilse-Aichinger-Hauses, Teilnahme am DRAMA FORUM. 2021 erstes Buch Birnengasse.
Sebastian Six ist ein multidisziplinärer Künstler. Teil seiner Arbeiten sind akustische Experimente, skulpturale Assemblagen, prozessuale Interventionen, die physische Komponente von Klang.
Carolin Krahl, *1988 in Dresden, lebt in Leipzig. Szenische Lesungen, Hörstücke; Teil des Redaktionskollektivs der Zeitschrift PS – Politisch Schreiben. 2024 erstes Buch Wühlen – siehe dazu 18.3.
Mo, 24.3.2025
19.00 »… vom Nichtigen zum Vernichteten«
// Ö1 – Radiophone Werkstatt
Elfriede Jelinek: Stecken! Stab! und Stangl! Eine Leichenrede
Regie: Hans Gerd Krogmann; ORF/BR/NDR 1996
Walter Reiss, Christian Fischer
Gespräch mit Hörproben
Mit Stecken! Stab! und Stangl! reagierte Elfriede Jelinek auf die Ermordung von vier Roma in Oberwart am 4. Februar 1995. Die abwehrenden, sensationslüsternen oder offen rassistischen Spekulationen der Medienöffentlichkeit über die noch unbekannten Täter*innen macht Jelinek mittels radikaler Zuspitzung in ihrer historischen Kontinuität kenntlich.
Im Gespräch mit Walter Reiss und Christian Fischer soll es um mediale Darstellung von Gewalt, publizistische Arbeitsprozesse und journalistisches Ethos im Umgang mit polarisierenden Themen gehen – und darum, wie sich die Antworten auf diese Fragen in den vergangenen 30 Jahren verändert haben.
Walter Reiss, 1951, 1974–2014 Redakteur, Regisseur, Gestalter beim ORF. Moderator und Publizist zu politischen und gesellschaftspolitischen Themen, u.a. Filmdokumentation mit Zeitzeuginnen zum Jahr 1938.
Christian Fischer, *1963. Fotografie-Studium bei Friedl Kubelka, 1992–1999 Leitung der Fotoredaktion des Falter, heute Videojournalist bei Der Standard.at.
Andreas Jungwirth, *1967; Hörspiel-, Theater-, Buchautor. Viermal im Jahr stellt er in der Alten Schmiede radiophone Werke aus der Produktionswerkstatt von Ö1 vor.
20.30 Peter Pessl: Am Bildrand ein oder zwei verwischte Mädchen
ORF 2023
Gespräch mit Hörproben
Konzept, Moderation: Andreas Jungwirth, Annalena Stabauer
Eine Fotografie aus den 1930er Jahren, die Rom*nija während einer Polizeirazzia in ihrer Siedlung im südburgenländischen Buchschachen zeigt, gab Peter Pessl den Anstoß zur Realisierung eines lange geplanten Hörstücks. Evokative, jedoch nicht dokumentarische Sounds montiert er mit einem von ihm gesprochenen Langgedicht, das einer Anrufung gleicht: »Mein Interesse gilt dabei ganz besonders den gleichsam an die Grenze der Sichtbarkeit und darüber hinaus Gedrängten (…), die in dem Moment, in dem wir sie zu betrachten suchen, dabei sind, sich in den Nebeln der Geschichte für immer zu verlieren.«
Peter Pessl, *1963; Autor, Radiokünstler. Zuletzt: Ah, das Gasthaus der Wilderness! Prosagedichte (2023).
In Kooperation mit Ö1 und mit freundlicher Unterstützung der Literar-Mechana
Mo, 31.3.2025
19.00 Soundtracks für die innere Revolution
The Cosmic Strips Klangcomics frei nach Roberto Matta
Natascha Gangl Texte, Stimme
Rdeča Raketa aka Maja Osojnik & Matija Schellander
Elektronik, Elektroakustik, Stimme
Bildprojektionen mit freundlicher Zustimmung des Bank Austria Kunstforums Wien
Moderation: Annalena Stabauer
Auf Einladung des Kunstforums Wien vertonten Gangl/Osojnik/Schellander eine Auswahl an Bildern des chilenischen Künstlers Roberto Matta (1911–2002), der sich in surrealistischer Bildsprache mit zivilisatorischen Bruchlinien befasste und die Politisierung der Betrachter*innen anstrebte. Natascha Gangl und Rdeča Raketa antworten in ihren Klangcomics auf die Suggestivität, Räumlichkeit und Dynamik der Bildkompositionen. In der Alten Schmiede sind die Stücke erstmals in einer erweiterten Live-Fassung zu hören, ergänzt um die Vertonung von Passagen aus Natascha Gangls »multidirecionaler Rede auf Matta«.
Natascha Gangl, 1986; Theatertexte, Prosa, Essays, Performances, Installationen, Hörstücke, Kunstbücher. Zuletzt u.a.: Das Spiel von der Einverleibung. Frei nach Unica Zürn (m. Bildern v. T. Camuñas, 2020).
Rdeča Raketa (Rote Rakete, nach einem Gedicht von Srečko Kosovel) ist das Duo von Maja Osojnik und Matija Schellander, beide international tätige Musikerinnen und Komponist*innen. Musik für Stummfilm und Choreographie, Film-Soundtrack; Beiträge für Kunstradio (Ö1), Klanginstallationen.
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