Handel ohne Wandel

Vom Keller bis zum Dachgeschoss führen Manuel Gogos und Christoph Spittler durch eine Warenwelt, die im Begriff ist, zu verschwinden. Ihre „Abschiedstour durchs Warenhaus“ handelt von Konsum und Konkurs, von Leichen im Keller und kulturellen Zwischennutzungen.

Manuel Gogos, Christoph Spittler: Konsum und Konkurs – Abschiedstour durchs Warenhaus

DLF, donnerstags, 24.04. bis 29.05.2025, 20.30 bis 21.00 Uhr

In den 1990er Jahren gab es noch 400 Filialen von Karstadt, Kaufhof, Hertie und Horten mit 130.000 Beschäftigten. Heute gibt es nur noch den Warenhauskonzern Galeria, der in 83 Filialen 12.000 Menschen beschäftigt. Grund genug für Christoph Spittler und Manuel Gogos unter dem Obertitel „Konsum und Konkurs“ für den Deutschlandfunk (DLF) eine sechsteilige „Abschiedstour durchs Warenhaus“ zu machen. Anders als bei den meisten Feature-Serien-Podcasts ist da auch genug Stoff für die sechs halbstündigen Folgen.

Seit Rudolf Karstadt 1881 in Wismar ein Manufaktur-, Konfektions- und Tuchgeschäft eröffnete, begann auch in Deutschland der Siegeszug der Warenhäuser. Es waren Handelshäuser in denen nicht mehr gehandelt wurde. Will heißen: während zuvor die Händler niemals denselben Preis von einem reichen Kunden wie von einem armen Kunden verlangt hätten, gab es von nun an feste Preise, wie der Historiker Klaus Strohmeyer in der Sendung erklärt.

Kaum gab es die ersten Kaufhäuser, erschien 1883 auch schon der erste Kaufhaus-Roman: „Au Bonheur des Dames“ (Das Paradies der Damen) von Emile Zola, aus dem die Autoren die eine oder andere Passage zitieren. Denn so viel hat sich vom späten 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert nicht geändert. Selbst der Beruf des „Substituten“ (eine Art stellvertretender Abteilungsleiter) existiert noch.

Warenhauswelten im Hörspiel

Zolas knapp 600 Seiten starker Roman ist eine wahre Fundgrube und er war auch ein integraler Bestandteil eines der schönsten und traurigsten Dokumentarhörspiele über die Welt der Warenhäuser aus der gesamten Rundfunkgeschichte: „Tag der Verkäuferinnen“ von Lisa Kristwaldt (NDR 1976). Dort sang der NDR-Chor die „Warenhausbetriebsordnung“ und die „Anweisungen für Selbstkassierer“, die Verkäuferinnen berichteten von ihrem Alltag und der Schauspieler Gert Haucke las aus Zolas Roman die Stellen, die die schon damals ausbeuterischen (heute würde man sagen „neoliberalen“) Praktiken beschrieben. 1995 erzählte Walter Filz in „Lost in the Supermarket Oder: Die letzten Tage Europas“ von den Shoppingmalls in Amerika und 2009 inszenierten Frieder Butzmann und Barbara Eisenmann in „Schnuppertag“ Gesänge aus der Welt der Discounter. Doch anders als 1976 wurde dafür kein Rundfunkchor mehr beschäftigt, jetzt mussten die Schauspieler selbst singen.

Gogos und Spittler bewegen sich als Podcasthosts thematisch durch die Etagen eines Kaufhauses. Der Radioautor Michael Gogos (Jahrgang 1970), von Hause aus Literaturwissenschaftler und sein Kollege Christoph Spittler (Jahrgang 1969), von Hause aus Ethnologe, kennen die sinnliche Überwältigung der wunderbaren Warenwelten noch aus eigener Anschauung. Früher, so erzählt einer ihrer Gesprächspartner, habe es in seiner Filiale 76 Schauwerbegestalter gegeben, heute gäbe es nur noch 5 – und das sieht man auch. Wie konnte es so weit kommen, dass aus Feierstätten des Konsums Ramschbuden geworden sind?

„Herr-Sein“

Die Antwort auf diese Frage finden die Autoren im zweiten Stock – der Herrenkonfektion. Dort lassen sie sich von Sebastian Reinhart, einem der Autoren des Buches „Inside Signa – Aufstieg und Fall des René Benko“ erklären, wie Mieterhöhungen zur Immobilienspekulation den eigenen Handelskonzern ruinieren können. Drei Insolvenzen in vier Jahren, zusätzlich alimentiert mit Steuergeldern in dreistelliger Millionenhöhe, wurden auf dem Rücken der Belegschaften ausgetragen. Jobs gäbe es genug, sagt eine der ehemaligen Verkäuferinnen, aber nach 42 Jahren Berufserfahrung möchte sie nicht zum Mindestlohn arbeiten.

Da beiden Autoren Kulturwissenschaftler sind, geht es auch noch um durch Kleidung codierte Männerbilder, wofür sie sich als Expertin mit Antonella Giannone eine Professorin für Modetheorie, -geschichte und Bekleidungssoziologie geholt haben: „Durch den Anzug gehört man zur tätigen Männlichkeit“. Nebenbei erfährt man auch noch wie einer der Autoren, der sich selbst als „55-jährigen Mode-Analphabeten“ bezeichnet, von einem 18-jährigen Aushilfsverkäufer lernt, wie man sich richtig anzieht. Während man in der Herrenabteilung beigebracht bekommt, wie „Herr-Sein“ geht – und inwiefern der neureiche René Benko in dieses Schema passt -, handelte die Damenabteilung im ersten Geschoss unter anderem von der Verführbarkeit der Frauen – und ihrer Einhegung durch die männlichen Begleiter. Und natürlich kommt da auch ein Warenhausdetektiv zu Wort, der den Journalisten bei seinen Aufnahmen erwischt hat.

In der dritten Etage, der Spielwarenabteilung, geht es unter anderem um die Kaufhausbrandstiftungen 1968 in Frankfurt, die eben dort ihren Ausgangspunkt nahmen und zu denen der Altkommunarde Rainer Langhans befragt wurde. Der hatte Wochen vorher als Reaktion auf einen Kaufhausbrand in Brüssel ein Flugblatt verfasst, auf dem gefragt wurde: „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?“ Von da aus geht es ins Basement der Warenhäuser und ihre politische Geschichte. Die Leichen, die man in diesen Kellern findet, sind die der sogenannten „Arisierung“ jüdischer Geschäfte wie der Warenhäuser der Gebrüder Tietz (Hertie). Antisemitische Pamphlete gegen jüdische Kaufleute gab es schon vor 1933, die gleichzeitig antikapitalistische Töne anschlugen, aber nur deshalb, weil man die Geschäfte lieber selbst machen wollte. Doch in den Kellern passiert nicht nur Schreckliches. Die Stahlkammer des ehemaligen Warenhauses Wertheim am Leipziger Platz, entwickelt sich nach der deutsch-deutschen Vereinigung als „Tresor“ zu einem Tempel der Technokultur.

Die Zukunft des Warenhauses

Die letzte Etage ist das Dachgeschoss, auf dessen Terrasse die beiden Autoren einen Ausblick auf die Zukunft des Warenhauses wagen. Dabei stellen sie kulturelle Zwischennutzungen der ehemaligen Einkaufspaläste fest. Das alte „Tietz“ in Chemnitz ist bereits seit 2004 zu einer soziokulturellen Begegnungsstätte geworden, der gegenüber liegende Glaspalast der Galerie ist seit 2024 geschlossen und steht leer. Die Karstadt/Galeria-Filiale am Berliner Hermannplatz beherbergt jetzt auch ein Repair-Café. Aber auch die traditionellen Warenhäuser setzen auf eine Kulturalisierung und veranstalten Events wie Nightshopping mit einer Modenschau für Damen- und Herrenwäsche. Es was sogar in der Diskussion, die 2024 geschlossene Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße zum Ort einer neuen Zentralbibliothek zu machen.

Regisseur Philippe Brühl hat die sechsteilige Reihe zurückhaltend inszeniert und gerade deshalb lohnt es sich, genau hinzuhören. Das Stück ist für Kopfhörer in Dolby Atmos produziert und da hört man auch die in der Stereofassung oft nach hinten gemischten Musiken besser. So sind die radiofeature-notorischen „Gymnopédies“ von Eric Satie in einer schrägen Version für Banjo (oder Steelguitar?) zu hören und in der Männlichkeitsfolge aus der Herrenkonfektion kommentiert die Regie das Geschehen ironisch mit dem Boléro von Maurice Ravel.

Das alles wirkt angenehm beiläufig. Die Autoren haben sich dem Podcast-Format angepasst. Man erfährt zwar etwas über sie, aber auch nicht zu viel. Als erfahrene Feature-Autoren interessieren sich die beiden immer noch mehr für ihr Thema als für sich selbst. So wirkt die Serie dramaturgisch überzeugend, bereitet das Thema interessant auf und sorgt punktuell immer wieder für Überraschungen.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 24.04.2025

 

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