Geschichten von Rassismus und Völkermord
Penda Diouf: Pisten
NDR Kultur, 15.6.2022, 20.00 bis 21.20 Uhr
In ihrem Stück „Pisten“ verknüpft die französische Schauspielerin und Dramatikerin Penda Diouf die Geschichte des Genozids an den Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika mit gegenwärtigen Fragen des Rassismus. Die Inszenierung von Christine Nagel wurde zum Hörspiel des Monats Juni gewählt.
Wie erzählt man Geschichten über Ereignisse, von denen man abstrakt weiß, dass sie passiert sind, deren konkrete Umstände man aber lieber verdrängen will? Und wie erzählt man so, dass bei der Rezeption nicht die antrainierten „Schlimm-Schlimm“-Reflexe ausgelöst werden und man sich dem nächsten Punkt auf der Tagesordnung zuwendet?
Die französische Dramatikerin Penda Diouf, 1981 als Tochter senegalesisch-ivorischer Eltern geboren, erzählt in ihrem Text „Pisten“ aus dem Jahr 2017, dessen Hörspielfassung am 15. Juni auf NDR Kultur urgesendet wurde, von ihrer Reise nach Namibia. Als allein reisende schwarze Frau erntet sie missbilligende bis verwunderte Blicke, wenn sie ein Hotel nicht durch den Dienstboteneingang betritt oder die Personaltoilette benutzt. Doch diese Reise ist nur der Endpunkt von Dioufs teilweise autobiografischer Erzählung, in der sie von alltäglichen Rassismen seit der Kindergartenzeit berichtet und der darin kulminiert, dass die spätere Autorin durch die mündliche Abiturprüfung in Französisch fällt – besser: fallen gelassen wird.
Es ist nicht einmal die inhärente Bösartigkeit der Ungleichbehandlung, sondern ihre als unabwendbare Normalität akzeptierte Selbstverständlichkeit, die ihre Schilderungen so bedrückend macht. Gegen den Malus der „falschen“ Hautfarbe oder Herkunft helfen auch doppelte Anstrengungen nicht. Für ein Kind, das sich wie jedes Kind integrieren und einfach nur dazugehören will, ist das umso schmerzhafter. Doch so verheerend sich die Ausgrenzung auf eine kleine Kinderseele auswirken kann, so dramatisch wird es, wenn sich der Rassismus Bahn bricht und ihr Onkel im brutalsten Wortsinn totgeschlagen wird.
Die Schauspielerin Abak Safaei-Rad meistert das 80-minütige Hörspiel fast im Alleingang vom Flüstern des Prologs über die erschütternden Schilderungen erlittener Grausamkeiten bis hin zu einem fast sachlich-featurehaften Ton. Dabei überzieht sie nie, sondern findet unter der Regie von Bearbeiterin Christine Nagel immer den richtigen Ton. Sie weiß ihre Empathie zu dosieren, denn „Pisten“ ist kein herkömmlicher Hörmonolog, sondern vereinigt in sich verschiedenste Textgattungen – von der Ich-Erzählung bis zum Totengespräch, von der Reisereportage bis zum Tatsachenbericht, was das Stück ebenso abwechslungs- wie lehrreich macht.
Wer wusste schon von dem ersten deutschen Konzentrationslager auf Shark Island in Namibia, wo man die Gefangenen durch planvolle Unterernährung regelrecht verhungern ließ, ihnen anschließend die Köpfe abschnitt, sie auskochte, das Fleisch mit Glasscherben abschabte, um sie dann zu erbbiologischen Forschungen nach Deutschland zu schicken. Kein Wunder, dass die Beteiligten später im Nationalsozialismus Karriere machten.
Doch Penda Diouf erzählt auch vom Widerstand, den der Nama-Anführer Hendrik Witbooi gegen die Deutschen anführte, nachdem der preußische Generalleutnant Lothar von Trotha einen Vernichtungsfeldzug gegen die Herero geführt hatte, dem drei Viertel der Bevölkerung zum Opfer fielen. Erst in jüngster Zeit ist der Völkermord seitens der Bundesrepublik Deutschland anerkannt worden.
Der Sound des Hörspiels von Komponist Niko Meinhold gibt dem Stück eine Struktur und einen variablen Rhythmus. Sorgsam gesetzte Gesänge und Originaltöne aus dem Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums Berlin ergänzen das Ensemble, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste hat „Pisten“ von Penda Diouf zum Hörspiel des Monats Juni gewählt – zu Recht.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 7.7.2022
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