Unverständnis ernten

Monika Rinck: Risiko und Idiotie

Bayern2, Sa, 9.6.2022, 16.00 bis 17.00 Uhr

Monika Rinck hat in ihrem Essay-Bad „Risiko und Idiotie“ beschrieben, wie sich die Figuren des Idioten und der Diva zueinander verhalten und dabei humorvoll das Alberne, das Komische und die Idiotien in der Lyrik-Produktion und –Rezeption analysiert. Doch in der Radiofassung fehlt Regisseur das Vertrauen in den Text

„Woher kommt die Konjunktur des Idioten?“, fragte sich schon 2015 Monika Rinck im Vorwort ihres Essaybandes „Risiko und Idiotie“ (Leseprobe). Und warum tragen sich Denker und Philosophen diesem Außenseiter, „der sie alle, alle überragt“, an? 2015, das war, bevor sogenannten besorgten Bürgern vehement zugehört und kompetenzfreie Welterklärer zu Präsidenten gewählt wurden. Die Hoffnung, dass sich die Stumpfheit des Idioten allen systemischen Ansätzen gegenüber als überlegen herausstellen möge und dass aus dem Gedankenlosen komme, woran noch keiner gedacht habe, hat sich als unbegründet erwiesen.

Das hätte man früher wissen können, denn im großartig durchgeknallten Hörspiel „Was macht eigentlich Harry Absolut?“ von Eugen Egner (WDR 2006) waren es die lallenden Idioten, die uns am Ende der Welt erwarteten. Und deren Part übernimmt in Leopold von Verschuers Inszenierung von Rincks Text der Musiker und Komponist Bo Wiget. Zwischen den vier Teilen des 52-minütigen Hörspiels (Ursendung 9. Juli auf Bayern 2) experimentiert er mit dadaistischen Lautverbindungen.

Dem Rinckschen Idioten, der mehr mit der altgriechischen unpolitischen Privatperson zu tun hat als mit seiner pejorativen Gegenwartsgestalt, steht die Diva gegenüber. „Diva nennt der Idiot ein Prinzip, das der geistesgegenwärtigen Ablehnung von falschen Kooperationsangeboten zugrunde liegt.“ Man muss halt nicht über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalten wird. Bevor sich aber Idiot und Diva dialektisch-synthetisch auf eine höhere Ebene hieven können, stellt sich die Frage, worum es in den „Streitschriften“, als die Rinck ihren Band „Risiko und Idiotie“ untertitelt hat, eigentlich geht. Es geht kurz gesagt um die Verteidigung der Lyrik.

Zunächst liegt zwischen Dichter und Text die Arbeit, die, so Rinck, „ein Chaosgenerator, ein Prisma, eine Verrichtung; die Lektüre, Diebstahl, Entfremdung, Gnade und Verstockung“ ist. Ist der Text erst einmal fertig, bemüht sich „der Idiot als Dichter“, nicht unter das Niveau seiner Texte zu fallen. Und worin besteht nun das Risiko? Begrifflich leitet Rinck das aus dem lateinischen „resecum“ für Felsklippe ab, im übertragenen Sinn meint Risiko „die Gefahr, die verschifften Waren droht“.

Der Schiffbrüchige auf der Klippe spricht Idiotisch, will heißen das eigene Idiom. Sein Risiko ist das Nicht-Verstanden-Werden, was in das tautologische Motto mündet, das Rinck dem „Idiotien“-Kapitel ihres Buches vorangestellt hat: „Jedes Missverständnis ist ein Missverständnis.“ An den Leser oder die Leserin ergibt sich daraus ganz logisch die Anweisung: „Tun Sie idiotische Dinge. Lesen Sie unverständliches Zeugs – und Ihnen wird Zeit geschenkt.“

Es sind wunderbare Sätze und funkelnde Formulierungen, die Rinck geschrieben hat, mal spöttisch das eigene Milieu karikierend, mal mit Prunkzitaten argumentierend. Gerne lässt sie Jean Paul zu Wort kommen – der hier unter dem Namen „Jenny“ firmiert. Sonst wird erfreulich wenig gegendert und die Zitatgeber werden im Hörspiel familiär beim Vornamen genannt – von Elke (Erb) über Friederike (Mayröcker) und Ingeborg (Bachmann) bis hin zu Sigmund (Freud). In der Abmoderation werden die Namen dankenswerterweise vervollständigt.

Die vier Teile des Hörspiels tragen die Titel „Idiotien“, „Das Alberne hat Glück“, „Sehr Komisch“ und „Unverständnis ernten“. Vor allem Letzteres scheint das geheime Ziel von Leopold von Verschuers Inszenierung zu sein. Die Stimmen von Dorothee Metz als Diva und Michael Dick als Idiot sowie die von Liese Lyon, Ulrich Marx, Severin von Hoensbroech und Meike Rötzer als „poetisches Quartett“ teilen den Text unter sich auf. Und Tonmeister Jean Szymczak und der Regisseur selbst kommen als „dünne Stimmen“ auch noch dazu.

Leider verkompliziert das die Sache nur unnötig, wenn sich locker vier Stimmen zu viel einen Text teilen müssen, der von einem lyrischen und/oder idiotischen Ich bestritten wird. Denn so klar sich Rincks Sätze lesen lassen – und es sind Print- und keine Radiosätze – so sehr steht ihnen das Bemühen um eine radiophone Aufladung im Weg. Selbst simpelste Aufzählungen werden über mehrere Stimmen verteilt zu beziehungslos nebeneinander stehenden Wörtern, bevor dann endlich das Verb kommt.

Das Tempo, mit dem hier über wichtige Thesen hinweggesprochen wird, während gleichzeitig im simulierten Dialogischen ein gewisser Schauspielbedarf bedient wird, tut dem Text keinen Gefallen. Ein ökonomischerer Einsatz der radiophonen Mittel, eine weniger hektische Dramaturgie und mehr Vertrauen auf den Humor der Vorlage hätten dem Stück gut getan. So bleibt nur der Satz, den man sonst allzu ofr über Literaturverfilmungen sagen muss: Das Buch war besser.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 14.07.2022

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