„Erfind dich neu und drück REPEAT“
In ihrem Hörspiel „REPEAT“ bestreitet Claudia Weber einen Autodiebstahl, eine Amputation, eine Sitcom, einen Horrorfilmabend und ein Rockkonzert mit ein und demselben Textkorpus. Das ist beeindruckend – und gesungen wird auch noch.
Claudia Weber: REPEAT
SRF 2 Kultur, Mittwoch, 3.9.2025, 20.00 Uhr bis 20.50 Uhr
Was haben ein Autodiebstahl, eine Amputation, eine Sitcom, ein Horrorfilmabend auf dem Sofa und der Backstagebereich eines Rockkonzerts miteinander zu tun? Im Prinzip gar nichts. Oder alles, wenn man dem neuen 49-minütigen Hörspiel „REPEAT“ von Claudia Weber folgt. Denn in diesem Stück werden alle fünf Szenen mit exakt demselben Text bestritten. Marek Harloff, Patrick Güldenberg, Anne Müller und Marie Dziomber spielen die insgesamt zwanzig Rollen.
Funktionieren kann das nur, wenn der Text maximal unspezifisch ist. Wenn Floskeln zum Einsatz kommen wie „Ich weiß nicht, ob das ein guter Plan ist“ oder Dialogzeilen wie „Es geht ums Prinzip“ – „Es geht sicher nicht ums Prinzip“ oder „Ich hab‘ das noch nie gemacht“ – „Ich hab‘ auch noch nie einen Porsche geklaut“. In Actionfilmen können solche Sprüche Kultcharakter erlangen, wenn sie in einem besonders absurden Gegensatz zu einer Situation stehen. In Claudia Webers Hörspiel sind es Leertexte, die auf verschiedenste Situationen passen, und damit die alte Germanistenweisheit dementieren, nach der man nichts in Text hinein- sondern nur herausinterpretieren kann.
Schauspielerisch aufgeladen
Claudia Webers Sätze ergeben buchstäblich keinen Sinn, aber sie machen welchen, wenn man sie schauspielerisch auflädt, in eine Geräuschkulisse setzt, die ihrerseits eine Geschichte erzählt, und wenn man sie um eine musikalische Dimension erweitert. Wenn schon mal der Markenname Porsche fällt, ist es natürlich naheliegend, einen Fahrzeugeinbruch als Plot für die erste Szene zu installieren. Das ist von Regisseur Mark Ginzler, der zusammen mit der Autorin das Stück inszeniert hat, sehr aufwendig produziert. Man kann sich in etwa vorstellen, wie viele Audiospuren da übereinanderliegen, um ein derart komplexes Sounddesign zu realisieren.
Die einzelnen Szenen werden von einer im schnellen Rücklauf zwitschernden Bandmaschine getrennt, bevor es beim nächsten Durchlauf wieder von vorne losgeht. In Szene Zwei geht es um eine Amputation auf einer chirurgischen Intensivstation. Also an einem Ort an dem man Sätze wie „Versuch macht klug“ nicht unbedingt hören möchte.
Szene Drei spielt bei der Aufzeichnung einer Sitcom vor Publikum und die funktioniert in diesem Kontext leider am wenigsten. Es wird etwas gekocht, was ordnungsgemäß im Desaster endet. Aber es ist nicht allein das Lachband, das Dialoge komisch macht. Die müssen schon auf Pointe gesprochen werden und brauchen einen gewissen Hang zur Rampensau, um den nächsten Lacher zu erzielen.
Fiktiver Splatterfilm
In Szene Vier „Horror im Wohnzimmer“ ist der Text auf zwei Ebenen aufgeteilt. Ein Teil spielt in dem fiktiven Splatterfilm „Rotorblattraserei – die Jagd nach Fleisch und Blut“, mit dem sich ein Pärchen einen gemütlichen Fernsehabend macht. Und plötzlich merkt man, wie sich die in den vergangenen drei Szenen gelernten Texte zu transformieren beginnen. Denn plötzlich ist man bereit über den mangelnden Sinngehalt der Sätze im Film hinwegzusehen – und ironischerweise funktionieren andere Sätze als Kommentar zum Filmgeschehen überraschend gut.
Während man sonst beim Hören vergisst, dass man hört, um den Inhalten zu folgen, wird hier die Aufmerksamkeit auf die Rezeption selbst gelenkt. Man kann sich quasi selbst beim Vervollständigen der Handlung beobachten.
Besonders eindrucksvoll wird dieser Mechanismus in der fünften Szene, die Backstage auf einem Rockkonzert spielt. Immer wieder wird der alte Hit „Allein das Risiko in deinen Augen, macht dich zum Held für das was zählt“, gespielt und man fragt sich bei diesen Zeilen: Ist das noch Herbert Grönemeyer oder schon Max Giesinger? Denn dass Schlagertexte von trivialen Eindeutigkeiten unter Umgehung metaphorischen Redens direkt in der Bedeutungslosigkeit landen können, konnte man bei den sogenannten „Deutschpoeten“ wie Max Giesinger, Tim Bendzko und anderen hören, die Jan Böhmermann 2018 mit seinem Song „Mensch Leben Tanzen Welt“ parodiert hat.
Echte Rockband statt KI
In Claudia Webers Hörspiel wird aus den Zeilen ein veritabler Rocksong und auch wenn der Schauspieler, der ihn performt kein Rocksänger ist, überträgt sich unmittelbar die Energie des Songs, die in der Aufforderung: „Erfind‘ dich neu und drück REPEAT“ mündet. Es ist erstaunlich, wie viel Poetizität man diesen Leertexten zutraut. Möglicherweise liegt das auch daran, dass den Song eine echte Rockband eingespielt hat und nicht die Musik-KI „Suno“, deren synthetische Songs man jetzt überall hören kann. Noch sind die digitalen Authentizitätssimulationen schlechter als die der analogen Welt.
Claudia Webers Hörspiel „REPEAT“ reiht sich in gleich zwei Traditionslinien ein. Zum einen in die der französischen Werkstatt für Potentielle Literatur Oulipo („L’Ouvroir de Littérature Potentielle“), die sich in ihrer Textproduktion verschiedenen formalen Zwängen („contraintes“) unterwarfen. Zum anderen in die Tradition eines Mauricio Kagel, der in seiner Hörspielperformance „Der Tribun“ (WDR 1979) Versatzstücke der Rede eines Diktators aneinanderreihte und damit eine gespenstisch realistische Rede produzierte. In Claudia Webers Hörspiel kann man hören, was das Hörspiel kann, wenn es seine Elemente so klug anordnet und miteinander interagieren lässt, dass selbst ein weitgehend sinnloser Text überraschend handlungsreich und selbstreflexiv wirkt.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 04.09.2024

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