Eine Gewissensfrage
Robert Weber: Heinrich, Vorname Hauptfeldwebel
Deutschlandradio Kultur, Mo 07.07.2014, 0.05 bis 0.55 Uhr
Wir befinden uns im Jahr 2015, der Afghanistan-Krieg ist für die Nato vorbei. In der Stadt Masar-i-Scharif stellt sich ein Scharfschütze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr den afghanischen Behörden. Seit dem Abzug seiner Truppe hatte er den Krieg auf eigene Faust weitergeführt und 112 Taliban getötet. Gerne vor großem Publikum, wenn die religiösen Fanatiker ihre Reden schwangen, und fast immer aus sicherer Distanz. Zu seinen Opfern gehören auch Mitglieder der afghanischen Armee und Polizei. Trotzdem wird der Scharfschütze vom Präsidenten Afghanistans begnadigt. In Deutschland wird ihm als erstem Bundeswehrsoldaten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gemacht.
Im Setting eines Gerichtsdramas schildert Robert Weber in seinem 50-minütigem Hörspiel „Heinrich, Vorname Hauptfeldwebel“ den Weg eines Soldaten, der sich in einem letzt¬endlich tragischen Konflikt befindet. Einerseits steht er in einer „friedenserzwingenden Mission“ einer brutalen Soldateska gegenüber, die das eigene Volk tyrannisiert, andererseits darf er den Frieden gar nicht erzwingen, es sei denn, er wird selbst direkt angegriffen. Eine absurde Konstruktion, die zur Folge hatte, das schon 1995 im Bosnien-Krieg das Massaker in Srebrenica nicht verhindert worden war.
„Etwas Besseres als dieser Krieg hätte den Taliban gar nicht passieren können“, sinniert Heinrich, bevor er seine private politische Entscheidung trifft und – nicht ohne die Unterstützung der Zivilbevölkerung – desertiert und Vergeltung übt. Dabei arbeitet er zufällig die sogenannte „Joint Prioritized Effects List“ (JPEL) ab, was der bürokratische Name ist für eine „Capture-or-kill“-Liste der Nato mit den Namen von Taliban-Kämpfern. Nicht gerade hilfreich für Heinrich ist allerdings, dass die eigene Seite (hier die Amerikaner) das Militärgefängnis Bagram zum Abu Ghraib Afghanistans gemacht hatte und somit ihre Ideale aufs Schändlichste verraten und ihre Legitimation nachhaltig geschädigt hatte.
Welchen Typus des irregulären Kämpfers der Ex-Hauptfeldwebel Heinrich verkörpert, interessiert Robert Weber weniger. Ebenso wenig, nach welchen Maßstäben dieser Einzelkämpfer eigentlich zu verurteilen ist. Ein in sich widersprüchlicher Auftrag und die täglichen Schrecken, die er mit ansehen musste, haben zur Traumatisierung Heinrichs geführt, die in Webers Hörspiel so gar nichts Gefühliges hat, sondern als schwere seelische Verwundung ertragen wird. Linderung erfährt Heinrich lediglich, indem er sein Kriegshandwerk möglichst professionell ausübt; jedenfalls so lange, bis er des Tötens müde ist. Er ist einer, den der Krieg behalten hat und der in der bundesdeutschen Gesellschaft des mitleidlosen Heraushaltens nicht mehr heimisch wird.
Eigentlich hat Oliver Urbanski als Heinrich eine viel zu junge Stimme für seine Rolle. Doch man wird sich daran gewöhnen müssen, mit dem Begriff Veteran nicht mehr nur alte Männer in schlecht sitzenden Uniformen zu assoziieren. Der Staatsanwalt (Hansjürgen Hürrig) und der Richter (Gerd Grasse) liegen hingegen ein bisschen zu arg klischeehaft auf ihren Rollen. Sie dürfen weidlich ihre schauspielerischen und rhetorischen Mittel ausnutzen, um zu kompensieren, was ihnen der Text an argumentativer Kraft nicht zur Verfügung stellt. Denn letztlich wird der Konflikt, der ein gesellschaftlicher ist, auf individueller und formaljuristischer Ebene abgearbeitet, anstatt ihn argumentativ auf seinen dilemmatischen, ethischen Kern zuzuspitzen. Kurz vor den Schlussplädoyers bricht denn das Stück einfach ab.
So bleibt es dem Hörer überlassen, seine Haltung zu einem Einsatz zu definieren, den man sich über lange Jahre scheute als das zu bezeichnen, was er war: ein Kriegseinsatz. Es geht also um nichts Geringeres als die „Wiedervorlage einer Gewissenfrage“, die auch in Florian Felix Weyhs im vorigen Jahr ausgestrahltem Feature „Entweigerung“ (vgl. FK 50/13) die entscheidende Rolle spielte. Dieses Feature, das sich komplementär auf das Hörspiel von Robert Weber bezieht, wird am 14. Juli um 0.05 Uhr vom Deutschlandradio Kultur auf dem gleichen Sendeplatz wiederholt. „Heinrich, Vorname Hauptfeldwebel“ steht auf der Website des Senders Kultur noch ein Jahr lang zum Nachhören zur Verfügung.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 28/2014
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