Doppelte Paradoxien
Ulrich Bassenge: Bier auf dem Teppich. Ein Menschenexperiment
WDR 3, Mo 28.5.2012, 23.05 bis 23.55 Uhr / WDR 1Live, Di 29.05.2012, 23.00 bis 23.50 Uhr
Am Anfang war eine Paradoxie: Nichts muss so sorgfältig vorbereitet werden wie spontane Improvisationen. Das galt schon für Sabine Steins nach dem „Dogma“-Prinzip der dänischen Filmemacher produziertes Hörspiel „Weekend“ (NDR 2001). Und das gilt noch mehr für Ulrich Bassenges fiktive Doku-Soap „Bier auf dem Teppich“. Was Bassenge da der Dramaturgie ins Pflichtenheft geschrieben hat, gehört nicht zu den üblichen Anforderungen an den Betrieb eines öffentlich-rechtlichen Hörspielstudios: Ein kompletter Probenraum sollte simuliert werden, inklusive mikrofonierter Instrumente und Verstärker; selbst die Gespräche im Vorraum und in den Toilettenräumen sollten abgehört werden. Die Akteure von Bassenges „Menschenexperiment“ (so der Untertitel des Stücks) sollten per „Knopf im Ohr“ ihre Anweisungen erhalten und der Tonmeister sollte als „guter Geist der Band“ einbezogen werden – „um Defektes zu löten, Drogen zu beschaffen und Mitschnitte zu machen“.
Man will gar nicht so genau wissen, ob sich die Produktion wirklich nach diesen Vorgaben abgespielt hat, aber die Effekte, die mit dieser Versuchsanordnung erreicht werden sollten, wurden erreicht. Nämlich, erstens, sich möglichst dichte an das Phänomen „Amateurband“ anzunähern und, zweitens, jene „Authentizität“ zu simulieren, die allnachmittäglich im hiesigen Privatfernsehen mittels komplett erfundener Pseudo-Dokus das Konzept von Authentizität gründlicher demontiert hat, als es jede noch so durchdachte Medientheorie zuvor vermochte hatte
Dass sich Schlagzeuger Yogo (Yogo Pausch), Gitarrist Hannes (Johannes Mayr), Bassist Georg (Georg Karger) und der später hinzukommend Sänger JJ (JJ Jones) so souverän im muffigen Dunstkreis eines Probenraums bewegen, liegt daran, dass sie alle Musiker sind und Unschärfen zwischen Rolle und Person ausdrücklich gewollt waren. Reale Biografien sollten auf einen fiktiven Plot treffen. Der aber war das Unwichtigste und ging so: Jeden Donnerstag treffen sich die Jungs zum Proben (Merke: Eine Band ist ein Jungs-Ding). Georg, der Bassist, kommt immer zu spät und rechtfertigt sich mit abenteuerlichen Ausreden. Es wird gern über Abwesende gelästert, und als ein Produzent kommt, der sich nur für den neuen Sänger und vielleicht noch für den Songschreiber interessiert, zerfällt die Band.
Ganz nach dem Vorbild der Scripted-Reality-Dokus des Fernsehens belauscht man misslingende bandinterne Kommunikation („Ich weiß gar nich’, wie der so is’, ich kenn den bloß vom Übungsraum“), bekommt absurd-komische Interview-O-Töne vorgesetzt („Mich stört an der Band, dass es Musiker sind“) und belacht die Kommentare einer schnippischen Off-Stimme (Katja Bassenge), die als teilnehmende Beobachterin konstatiert: „Musiker machen nicht gern viele Worte – lieber Sprüche.“ Aus beiden Paradoxien, jener der deterministischen Improvisation und der jener simulierten Authentizität, versteht es Ulrich Bassenge (der selbst lange genug in Bands gespielt hat, um zu wissen, wie es da zugeht) ausreichend komisches Kapital zu schlagen um damit 50 unterhaltsame Hörspielminuten zu bestreiten. Angesichts des allgegenwärtigen Castingshow-Konformismus ist das Konzept einer selbstbestimmten Band – so belächelnswert es hier auch scheitert – fast eine wehmütige Reminiszenz an die gute alte Zeit des Rock’n’Roll.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 23/2012
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