Dokumentation, Werner Fritsch: Haikus am Sandstrand
Am 17. Mai wurde im Funkhaus des Deutschlandfunks, der 66. Hörspielpreis der Kriegsblinden an Lucas Derycke für sein Stück „Screener“ verliehen. Werner Fritschs Hörspiel „Mein Herz ist leer“ gehörte zu den drei Finalisten. Hier seine Anmerkungen zum Stück, die zuerst in der Medienkorrespondenz 09/2017 erschienen sind.
Anmerkungen zu „Mein Herz ist leer / Die wilden Wogen / Kommen und gehen“
Von Werner Fritsch
Seit ich 2005 an der Keio-Universität in Tokio mein 24-Stunden-Filmgedicht
„Faust Sonnengesang“ vorstellen durfte, schreibe ich selber Haikus. Meist mit 17 Silben, wenn auch mit eigenem Zugriff. In den Herbstferien 2012 wollte ich dezidiert mal einige Tage an der Ostsee nichts arbeiten und auch nichts die Arbeit direkt Betreffendes lesen. Das hatte ich meiner Familie versprochen. Ich nahm nur – zur Entspannung im Urlaub – aus der Staatsbibliothek zwei englische Haiku-Editionen von Santoka Taneda mit, denn mich interessierte seine Erneuerung, sprich: Verknappung des Haikus auf weniger als 17 Silben… Nun zogen die Zugvögel aus dem Norden Tag und Nacht über den Himmel gen Süden und ich las am Sandstrand die Haikus Santoka Tanedas… Ich fühlte mich sofort angesprochen von der Ehrlichkeit, ja, Lauterkeit Santokas, so dass ich anfing, bestimmte Haikus oder nur Verse aus diesen Haikus nachzudichten.
Die Hauptarbeit des Hörstücks „Mein Herz ist leer / Die wilden Wogen / Kommen und gehen“ bestand dann darin, diese Haikus in eine neue Konstellation zu bringen, eine dramaturgische Situation zu schaffen, wo die Haikus gleich Einzelbildern aus Santokas Leben zu Sequenzen eines letzten Films, zu einem Lebens-Film werden, der, japanischer Tradition gemäß, durch die Jahreszeiten geht…
Im Zuge dieser Dramaturgie musste immer wieder mal ein Haiku aus Sätzen seines Habuns (Tagebuchs) kristallisiert oder gar frei aus seiner Biografie heraus erfunden werden. Manche Verse wurden leicht modifiziert, mitunter noch weiter verkürzt, wenn die Sounds von Miki Yui das Wort weiterführen und in Klang/Natur übersetzen und vice versa. Miki Yui und Kae, meine japanischen Mitarbeiter, sowie befreundete Professoren in Tokio sagten, immer, wo ich etwas Eigenes eingefügt hätte, würde es dem Geist Santokas entsprechen und den biografischen beziehungsweise zeithistorischen Rahmen aufzeigen.
In Michael Altmann, dem Sprecher des Hörstücks, hatte ich jemand gefunden, der jahrzehntelang mit Boot und Zelt in der Natur unterwegs gewesen war und dem man jede Silbe glaubt, wenn er davon spricht, wie es sich etwa anfühlt, die ganze Nacht im Regen unterwegs gewesen zu sein… Im Studio verbanden wir dann seinen Atem mit dem Wind und seinen Husten mit dem Grollen des Donners – Metaphern für eine „Conjunctio von Mikrokosmos und Makrokosmos“.
Marcus Gammel und das Team um Thomas Monnerjahn vom Deutschlandradio Kultur waren äußerst entgegenkommend, respektvoll und sensibel. Wir fuhren sogar selbsechst nächtens an den Müggelsee, um im Freien Zugvögel, Wind im Schilf und Schritte im Laub mit Michaels Stimme live in Alchemie zu bringen. Kurzum, eine durchweg beglückende Produktion, die meinem Herzen nah ist.
Santoka Tanedas Motto:
Werd nicht zornig
Schwätz nicht
Sei nicht gierig
Geh langsam
Geh gleichmäßig
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