Dokumentation: Laudation von Hermann Beil zu „Dshan“ von Lothar Trolle
Am 27. Februar wurde im Frankfurter Literaturhaus „Dshan“ von Lothar Trolle von der Deutschen Akademie der darstellenden Künste (DAddK) als Hörspiel des Jahres ausgezeichnet. Der Jurysprecher Hermann Beil würdigte Trolles Bearbeitung einer Novelle von Andrej Platonow als eine „Überschreibung, die kraftvoll und souverän in ihrer Eigenständigkeit als Hörspiel keine Zweifel ließ.“
Hier mein Beitrag „Ein Hektar turmenischer Wüste – Lothar Trolle und sein Hörspiel Dshan“ (21:55) für den SWR mit Ausschnitten der Preisverleihung.
Hermann Beil: Laudatio zum Hörspiel des Jahres 2016 „Dshan“ von Lothar Trolle
In der Runde der letzten Drei sah die Jury Luise Voigt mit der Gruppe hURRAh!: „THE BLACK HOLE RADIO Gespräche über das Nullwachstum und Lieder aus der Nachbarschaft“ (SWR) und „ORPHEUS IN DER OBERWELT: EINE SCHLEPPEROPER“ der andcompany&Co (WDR), zwei außergewöhnliche, gegenwartsbezogene und konflinkthaltige Originalproduktionen, sowie eine Bearbeitung, nämlich die von Lothar Trolle nach Motiven des Romans von Andrej Platonow in der Übersetzung von Alfred Frank: „DSHAN“ (SWR). Und obwohl uns ein Jahr lang die Originale, die eigens für den Hörfunk geschaffenen Werke, besonders willkommen waren, stimmten wir am Ende einhellig für Lothar Trolles „DSHAN“ – eine Bearbeitung, nein, eine Überschreibung, die kraftvoll und souverän an ihrer Eigenständigkeit als Hörspiel keine Zweifel ließ.
Lothar Trolle, geboren 1944, lebt in Berlin, schreibt Theaterstücke, Hörspiele, Prosa und Lyrik, er arbeitet auch als Übersetzer. Sein Hörspiel „DSHAN“ verwendet entschieden gewählte Motive des gleichnamigen 1933/35 entstandenen und erst 1964 veröffentlichten Romans von Andrej Platonow. In der Sowjetunion lange Zeit unterdrückt und verpönt hat nun Platonows großes episches Werk durch eine vierbändige deutsche Ausgabe auch bei uns Aufmerksamkeit und Beachtung erlangt. Platonows sich auf den sowjetischen Sozialismus mit all seinen trügerischen Verheißungen und Verwerfungen einlassenden Novellen, Erzählungen und Romane präsentieren ein gewaltiges, düster groteskes Gesellschaftstableau, aus dem durchaus auch ein Gegenwartstableau herausgelesen werden kann.
Lothar Trolle und sein Regisseur Walter Adler verwandeln Platonows bedächtig beobachtende Erzählweise radikal und beeindruckend stringent in einen atemlosen Erzählstrom, der sich unweigerlich auch zu einem Hörstrom steigert, mehr noch zu einer fast schon akustischen Simultanität der Stimmen und Ereignisse. Der junge Ingenieur Nasa Tschagatajew erhält in Moskau den Auftrag ein kleines nomadisierendes Wüstenvolk, das sich Dshan – glücksuchende Seele – nennt, zu retten, indem er es aus ihrem Gebiet, das seit jeher als der Höllenboden der Erde gilt, herausführen will. Trolles zugespitzte Erzählweise verschärft auch den Gang der Geschichte. Platonows Menschheitsparabel wird zu einem an die Schmerzgrenze reichenden akustischen Marathon, der die eigentlich in einer früheren und abgelegenen Welt angesiedelte Handlung angesichts der gegenwärtigen Bilder von gewaltigen Flüchtlingsströmen durch Wüsten und über Meere unabweisbar gegenwärtig erscheinen läßt.
Dem Inhalt absolut entsprechend und souverän im Handwerk haben Walter Adler und sein Studioteam den literarischen Text für den Funk eingerichtet und realisiert. Die monumentale Unerschütterlichkeit, mit der Hans Michael Rehberg als Erzähler die Vielstimmigkeit einer scheinbar erratischen Geschichte präsentiert, die hochkarätige Besetzung aller weiteren Stimmen, der pausenlose, präzise Schnitt, der schnelle Rhythmus im Wechsel zwischen den Stimmen, Erzählebenen und Hörbildern, die sparsam wie subtil eingesetzten Gesangsmomente – dringlicher hätte man die surreal-düstere, gleichnishafte Geschichte von den Leiden des heimatloses, getriebenen Nomadenstamms nicht erzählen können. Lothar Trolle hat in einem Interview für „Theater der Zeit“ einmal formuliert, „daß jedes Stück einen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Sprache leisten müße, sonst ist es unwichtig“. Mit seinem Hörspiel „DSHAN“ ist Lothar Trolle dies gelungen, denn Platonows Roman inspirierte ihn zu einer eigenen Sprache, einer Sprache für ein genuines HÖR-SPIEL.
27.2.2016, Literaturhaus Frankfurt
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