Die Sprache als Plastiksprengstoff
Michael Lentz: Hotel zur Ewigen Lampe – operative Vorgänge. Eine Sprechplastik
SWR 2, Sa 18.10.2014, 15.30 bis 16.03 Uhr
Ein Mann des Wortes war Erich Mielke nicht, der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR von 1957 bis 1989. Vor der Volkskammer hat er nie gesprochen, bis auf das eine Mal am 13. November 1989, vier Tage nach dem Mauerfall, als er schon nicht mehr Minister war. Ein ebenso hilfloser wie zynischer Sprechakt Mielkes sollte dabei in die Geschichte eingehen: „Ich liebe … ich liebe doch alle … alle Menschen. Na, ich liebe doch … ich setze mich doch dafür ein.“ Die Wiederholungen und der verschleppte Rhythmus erinnern ein wenig an den rhetorischen Totalschaden, den der frühere CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber mit seiner berühmt gewordenen „Transrapid-Rede“ angerichtet hatte und die vom Schlagzeuger Jonny König als dadaistische Sprachperformance erkannt und zum YouTube-Hit gemacht wurde.
In seiner auf den Donaueschinger Musiktagen (17. bis 19. Oktober) im Rahmen des dreiteiligen Konzerts „Musiksprechen“ live aufgeführten Sprechplastik „Hotel zur Ewigen Lampe – operative Vorgänge“ benutzt Michael Lentz die Stimme Erich Mielkes als Melodie-Instrument. Darauf reagiert ein von Uschi Krosch geleiteter 30-köpfiger Chor, bestehend aus Studentinnen und Studenten des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, indem er die Äußerungen Mielkes „durch den anagrammatischen Fleischwolf dreht“, so Lentz in Donaueschingen im Gespräch mit Walter Filz (SWR). Axel Kühn an Bassklarinette und Sopransaxophon sowie Gunnar Geisse an der Live-Elektronik verlängern das Sprechstück ins Musikalische, wobei auch ein von Geisse entwickelter „Transphonator“ zum Einsatz kommt. Diese Software kann in Echtzeit die vom Chor oder den Instrumenten verursachten Schallereignisse unter anderem dadurch manipulieren, dass andere Schallereignisse ausgelöst werden, was zu einer Synthese von Sprache und Musik führt.
Der Titel von Lentz’ Hörspiel, „Hotel zur Ewigen Lampe“, geht auf eine sarkastische Bezeichnung des Stasi-Gefängnisses in Hohenschönhausen zurück, in dessen Kellern Tag und Nacht das Licht brannte. „Operative Vorgänge“ wurden jene Maßnahmen genannt, bei denen es um die „Zersetzung“ von sogenannten „feindlich-negativen Kräften“ ging, und gegen den Feind war bekanntlich jedes Mittel recht. „Das Wort ‘Opposition’ entbehrt der objektiven sozialen und politischen Grundlage“, zitiert Lentz Mielke.
Doch 25 Jahre nach dem Ende der DDR hat Lentz nicht die Absicht, noch einmal die alten Schlachten zu schlagen, sondern er setzt sich mit dem „erklärten Antiintellektualismus“ Mielkes auseinander. Der Minister verfing sich regelmäßig in dem Drahtverhau aus im Nominalstil verfasster MfS-Prosa, die ihm zum öffentlichen Vortag aufgeschrieben worden waren. Es war weniger eine Sprache der Macht als die Sprache der Gewalt, die Mielke gebrauchte und der er seinerseits Gewalt antat. Mielke ging mit der Sprache um wie mit einem plastischen Sprengstoff; der muss auch nicht schön sein, solange er seinen Zweck erfüllt. O-Ton Mielke: „Aber das Geschwafel von wegen nicht hinrichten und nicht Todesurteil, alles Käse, Genossen. Hinrichten die Menschen ohne Gesetze, ohne Gerichtsbarkeit und so weiter.“ An diesem Sprechakt interessiert Michael Lentz nicht die Deformation von Syntax und Grammatik oder die Negation jeden Rechts, sondern der Schrecken der Permanenz des „und so weiter“. In dieser Floskel findet er die Anagramme „Ort sei Wunde“ und „Wunde sei rot“ und formt sie plastisch zu einem Gedicht um, das mit den Zeilen endet: „und so weit er / reite so wund / wie unser Tod / etuden wir so / weiter und so / tun wir Oedes.“ Leider gehen einige der durch die Buchstabenumstellungen entstandenen neuen Sinneinheiten im Flüstern des Chors und dem Sound der Komposition unter.
Nach dem gleichen Verfahren permutiert Lentz die Formel „Ja oder Nein“, die als ein Zwang zum Bekenntnis jenen abverlangt wurde, die man in den Stasi-Knästen buchstäblich zur Rede stellte. Denn das „Ja oder Nein“ ist eine Chiffre für die Denkfigur des „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ – ein Element jeder totalitären Sprachpolitik. Höhepunkt des 33-minütigen Hörstücks ist ein Anagrammgedicht aus sechs Strophen mit jeweils zehn Zeilen, der um das Verb „desorganisieren“ kreist. Von einem fatalistischen Ausgangspunkt („So resignieren. Da“) führt der Weg über die Anweisung („So erringe Dasein“) und den Zweifel („Da siegen! So irren!“) bis zum Befehl der Auslöschung („Radiere, Genossin“), bevor in der letzten Strophe Abschied genommen wird („Ade, rosig Inneres / […] / Irres Ego, Sinn ade“). Das ‚operative‘ Verfahren der plastischen Umformung erzeugt allein durch die strenge formale Vorgehensweise – und natürlich durch die kombinatorische Auswahl der Anagramme – einen historisch-politischen Echoraum, den man so nicht erwartet hätte.
Der studentische Chor agiert im rhythmischen Wechselspiel auch bei extrem schnellen Passagen mit fast Einar-Schleefscher Synchronizität. Die Hochspannung, unter der das Ensemble auf der Bühne in Donaueschingen gestanden hat, teilt sich bei der Live-Übertragung im Radio so unmittelbar mit, dass man am liebsten vor Ort dabei gewesen wäre. Sehr wünschenswert wäre indes eine Neuabmischung (oder eine Studiofassung) des Stücks, die den Raumklang etwas zurücknähme und ein paar kleinere, textlich unverständliche Passagen hervorhöbe.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 43-44/2014
Schreibe einen Kommentar