Die Kunst des Eigentumsdelikts
Michel Decar hat als Theater-, Hörspiel- und Romanautor auf sich aufmerksam gemacht. Seine Genreparodie „Die Kobra von Kreuzberg“ von 2021 hat Regisseurin Mara May mit einem Soundtrack aus weiblichem Hiphop jetzt verhörspielt.
Michel Decar: Die Kobra von Kreuzberg
DLF, Sa, 14.06.2025, 20.05 bis 21.35
DLF Kultur, So, 15.96.2025, 18.30 bis 20.00 Uhr
Michel Decar, Jahrgang 1987, hat als Theater- und Hörspielautor („Schere Faust Papier“) auf sich aufmerksam gemacht und inzwischen drei Romane geschrieben. Nun gibt es den zweiten, „Die Kobra von Kreuzberg“ aus dem Jahr 2021, als Hörspiel. Die Hauptfigur, Beverly Kaczmarek (Lea Ostrowskij) hat’s nicht eben leicht. Als Spross einer polnischen Einbrecher-Dynastie muss sie sich von ihren Brüdern, die gerade ein paar Fabergé-Eier aus der St. Petersburger Eremitage geklaut haben, anpflaumen lassen. Und das nur, weil beim Einbruch in das Potsdamer Marmorpalais eine der beiden erbeuteten Wedgwood-Vasen kaputt gegangen ist.
Zu dumm, dass die Vasen ausgerechnet einem König der Berliner Unterwelt gehören, der außerdem in einer stillgelegten U-Bahn-Station den angesagtesten Club der Stadt betreibt. Noch dümmer, dass sie ausgerechnet auf diesen Bösewicht Boy Maximo angewiesen ist, um ihr nächstes großes Ding zu drehen, mit dem sie es allen – und vor allem ihrer Familie – zeigen will. Sie will etwas klauen, das sechzehn Beine, fünf Köpfe und zwei Flügel hat: die Quadriga vom Brandenburger Tor mitten in der Hauptstadt. Dass sie bei ihrer Zählung die Beine der Siegesgöttin Viktoria vergessen hat, ist für ihre „Operation Q“ irrelevant.
Love-Interest und Profikillerin
Um das Ensemble zu vervollständigen, braucht es noch den Großvater Silvester (Steffen „Shorty“ Sheumann), den gelegentlich besorgten Vater Floyd, und den Europol-Kommissar Ferenz Hothfilter (Boris Aljinovic). Als Love-Interest – „sein Vollbart leuchtet wie ein Sonnenaufgang über dem Mars und seine Schneidezähne blitzen auf wie zwei kollidierende Sterne“ – und Helfershelfer kommen noch der Wetter-Anarchist Dragan Vidović und eine auswärtige Profikillerin hinzu.
Überflüssig zu erwähnen, dass die Protagonistin genauso gerne Sprüche klopft wie ihr Autor. Denn in dieser Genre-Parodie geht es nicht in erster Linie um den Erfolg des Unternehmens. Wie sollte es auch bei einer Protagonistin, die im Alter von fünf Jahren ihr erstes Eigentumsdelikt begangen hat, anders sein. „Ein Fluss, der nie ins Meer führt, wird von den meisten Leuten See genannt. Für mich ist Berlin der See unter den Flüssen – hier führt wirklich gar nichts irgendwohin“, fasst eine Nebenfigur, der vermutlich korrupte Polizeipräsident, die Geschichte zusammen.
Unterirdische Sintflut
Natürlich kommt es am Schluss zu einer unterirdischen Sintflut, die das Imperium von Maximo hinwegfegt. Beverly und Dragan befinden sich derweil roadmoviehaft in einem Lada Niva mit monegassischem Kennzeichen jenseits der polnischen Grenze. Das Ganze ist also gute Unterhaltung, akustisches Popcorn-Kino mit coolen Dialogen, die einfach Spaß machen und nicht mehr sein wollen, als sie sind.
Interessant wird es, wenn man auf den von Tommy Neuwirth arrangierten Soundtrack hört, der zur „Punkattitude“ der Hauptfigur einen Female-Rap with attitude hinzufügt. Das schafft eine Atmosphäre, die immer wieder auf angenehmste Abwege führt und eher kommentierend als illustrierend funktioniert: „Mit Gewalt geht alles, außer einzuschlafen“, heißt es in einem Hiphop-Track.
Für die ARD-Audiothek ist das Stück in drei halbstündige Teile geschnitten worden. Im Deutschlandfunk und auf Deutschlandfunk Kultur kann man die vollen 90 Minuten am Stück hören, was unbedingt empfehlenswert ist. Schon um die elenden Cross-Promotion-Trailer herumzukommen, die den Fluss der Geschichte unnötig behindern, das ARD-Marketing aber leider für unverzichtbar hält.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 13.06.2025
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